Singen, tanzen, entschwinden

Über die Himmelfahrt der Helene Fischer
Foto: pixelio/Dietmar Meinert
Der Himmel der Sixtinischen Kapelle, Version 2.0. Mittendrin strahlt Helene.

Ergriffenheit und Ekstase, Glück und Tränen, drei Stunden lang - das muss man erstmal schaffen. In Gottesdiensten klappt das meist noch nicht mal in einer Stunde. Erstaunlich, denn auch Helene Fischer greift bei ihren Konzerten ungeniert in die Schatzkiste der christlichen Religion. Sie geriert sich als göttliche Heilsbringerin.

Präexistenz im Pop-Zeitalter geht so: Fünf vor acht, 12.000 Menschen fiebern. Die Schweinwerfer gehen aus, doch kein Spot geht an. Stattdessen erscheinen Schemen auf der riesigen Leinwand. Augen, Mund, klar: Es ist Helenes Antlitz, glitzernd wie der Sternenhimmel. Die Leinwand wird zur Seite geschoben, auf einer Riesenschaukel schwebt sie herein - umgeben von eine Heerschar Akrobaten, die die Gesetze der Schwerkraft aufzuheben scheinen. Das Bild ward Fleisch. Sie klettern, lassen sich fallen, werden wundersam aufgefangen. Der Himmel der Sixtinischen Kapelle, Version 2.0. Mittendrin strahlt Helene. Sie singt, tanzt in der Luft, vollbringt akrobatische Höchstleistungen. Schließlich landet sie auf den Bühnenbrettern. Der Himmel berührt die Erde. Gott wird Mensch. Diesmal in weiblicher Gestalt. Auch nett.

Die liebe Helene. Hübsch bis zum Geht-nicht-mehr, zugewandt, freundlich, empathisch. Klein steht sie auf der Bühne, zwölf Meter hoch ist sie auf den Leinwänden daneben zu sehen. Ihr Strahlen erhellt auch den hintersten Winkel, die letzten Ränge, die billigen Plätze - die immer noch sündhaft teuer sind. Gott nahe zu sein, hatte schon immer seinen Preis.

Unten in der Arena sitzen die, die am meisten ausgegeben haben. Wie zwei Stege ragen Bühnengänge in die Menschenmasse. Hier kommt Helene dem Publikum nah - und bleibt doch unantastbar. Security wuselt vor der Bühne herum, niemand möge die Gottgleiche antasten. Von Liebe singt sie, „die nie zerbricht“, und vom Herzbeben. Zwischendurch Zeichen und Wunder. Ein Kleid aus Wasser? Gibt’s. Plötzlich schwebt sie im Springbrunnengewand über der Bühne. Schwerelosigkeit? Na klar! Aber sie belässt nicht alles beim Gloria. „Keiner ist fehlerfrei“, singt sie und spendet Trost: „Wir feiern die Schwächen.“

Helene - ganz Gott, ganz Mensch. Einmal, vielleicht der stärkste Moment der Show, durchbricht sie die Distanz. Sie räumt die Bühnenbegrenzung zur Seite, beugt sich hinunter zu einem Kind. Und - dem Publikum stockt der Atem - sie herzt es, gibt ihm sogar einen Kuss auf die Wange. Kurz darauf entschwindet sie wieder in unerreichbare Gefilde.

Der Höhepunkt: Sie besteigt eine Art Raumschiff. „Ich bin ein Mensch wie ihr“, sagt sie, „mit denselben Gefühlen, Hoffnungen, Sehnsüchten, Wünschen“. Und schwebt langsam höher und höher. Die Himmelfahrt der Helene. So geheimnisvoll wie ihr Auftauchen am Anfang, so mysteriös auch ihr Entschwinden ins Dunkel der Hallendecke hinein. Und das Volk wunderte sich sehr. Ich bin wie ihr, aber ihr werdet nie wie ich sein. Psychologen würden das als klassischen Double-Bind bezeichnen. Liebt mich, aber lasst mich bloß in Ruhe.

Wie auferstanden erscheint Helene kurz darauf im neuen Outfit auf der Bühne: Dies ist „unser Tag“, „jedes Wunder wird auf einmal wahr“, singt sie: „Mach die Türen auf, der Himmel ist so klar.“

Dann die Erlösung, der Hit, auf den alle gewartet haben: „Atemlos durch die Nacht.“ Diesmal nicht im Vierviertel-Schlager-Groove, sondern zart wie sanftes Säuseln. Vermutlich weiß Helene Fischer nicht, dass auch dieses Lied eine biblische Vorlage hat: „Atemlos jage die Sonne nachts zurück an den Ort, wo sie wieder aufgehe“, heißt es in Kohelet 1,5. Einst wurde das Christentum hellenisiert. Geschadet hat es ihm nicht. Bei der Helenisierung könnte es anders ausgehen.

Das nächste Konzert der Helene-Fischer-Show 2018 findet am 7. Dezember in der Messehalle 6 in Düsseldorf statt.

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Uwe Birnstein

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