Wenn ich landauf, landab Abendmahlsgottesdienste besuche oder in Pfarrkonventen über das Abendmahl diskutiere, tun sich vor meinem Innern viele – durchaus kontroverse – Bilder auf.
Zum einen ist großer Ernst zu beobachten. Und manchmal legt sich ein grauer Schleier über die Gemeinde, die gerade noch fröhlich gesungen hat. Alles erinnert an ein Totengedenken, oder eine Henkersmahlzeit. Ganz anders geht es beim Feierabendmahl auf dem Kirchentag zu oder in Kirchengemeinden, die das Abendmahl schon länger mit Kindern feiern. Oder in afrikanischen Kirchen, wo schon bei der Gabenbereitung um den Altar getanzt wird.
Ein wichtiger Faktor ist die Musik. Wenn im Samba-Rhythmus „Lelo-lelo“ oder „Du bist heilig, du bringst Heil“ anstelle eines traditionellen Sanctus gesungen wird oder sich die Gemeinde die Einladung „Schmecket und sehet“ zusingt, entsteht eine fröhliche Atmosphäre. Und auch dort, wo ein Tischabendmahl gefeiert und tatsächlich gegessen wird, löst sich manche(s) Starre.
Gehört zum Abendmahl aber kein heiliger Ernst, sondern heitere Hochstimmung? Diese Frage lässt sich nicht einfach beantworten. Denn Menschen bringen sich beim Abendmahl mit, ihre Nöte, inneren Kämpfe und Zweifel. Und auch das Kirchenjahr ist relevant: Man wird man am Buß- und Bettag eben anders feiern als am Ostersonntag.
Aber es ist bedauerlich, wenn Menschen die Kirche so bedrückt verlassen, wie sie sie betreten haben. Und noch schlimmer ist, wenn diejenigen Leichtigkeit oder gar Jubel unterdrücken, die die Gottesdienstgestaltung verantworten. Dann hat es der Heilige Geist schwer, österliche Freude zu bewirken. Dabei ist das Abendmahl doch ein Fest der Freude. Wir gedenken nicht in erster Linie eines toten Mannes, sondern freuen uns an Gottes Sieg über den Tod.
Die biblischen Texte, die von den Mahlzeiten Jesu und vom himmlischen Mahl bei Gott sprechen, weisen deutlich in diese Richtung: „Und der Herr Zebaoth wird auf diesem Berge allen Völkern ein fettes Mahl machen, ein Mahl von reinem Wein, von Wein, darin keine Hefe ist. Und er wird auf diesem Berge die Hülle wegnehmen, mit der alle Völker verhüllt sind, und die Decke, mit der alle Heiden zugedeckt sind. Er wird den Tod verschlingen auf ewig“ (Jesaja 25).
Grenzenlose Hingabe
Und von den ersten christlichen Gemeinden heißt es: „Sie brachen das Brot hin und her in den Häusern, nahmen die Speise mit Freuden und lauteren Herzen, lobten Gott und fanden Gnade bei dem ganzen Volk“ (Apostelgeschichte 2).
Bei allen theologischen Kontroversen um das Abendmahl ist eines zentral: Im Abendmahl schenkt sich Gott in Christus selbst. So ist das neutestamentliche „Für euch gegeben“ die große Überschrift jeder Mahlfeier. Gottes Liebe weicht nicht der Gewalt, dem Terror und der menschlichen Angst. Im Gegenteil. Sie durchdringt auch die dicken Mauern liturgischer Starre und geistlicher Gesetzlichkeit.
Im Abendmahl feiert die Gemeinde den Gott, der sich ihr in Christus zuwendet und zusagt: „Ich geb‘ mich selber ganz für dich“ (EG 341,7). Diese Hingabe ist grenzenlos und der Grund, dass Schuld und Tod nicht mehr schrecken können. Christen sind freie Menschen. Das erfahren sie beim Abendmahl. Sie werden beschenkt und müssen nicht gleich etwas dafür tun. Und daher ist auch der Dank für das Abendmahl substanziell. Er fließt aus der Erfahrung heraus, dass Gott uns beschenkt, an Leib und Seele. So kann ich von Eucharistie reden und fühle mich dabei mit Luther wie einer, der „dankt, lobt und fröhlich ist, dem ein guter Freund tausend oder mehr Gulden geschenkt hat“ (Sermon von den guten Werken). Ja, die Eucharistia ist das Ziel der ganzen Feier und mündet in den Gottesdienst des gelebten Lebens. Zugleich ist das Mahl auch Versöhnung unter Menschen, die sich fremd (geworden) sind. Deshalb ist der Friedensgruß so wichtig. Und deshalb gibt es auch keine ethnischen oder spirituellen Grenzen. Wer sich von Jesus an seinen Tisch eingeladen weiß, darf teilnehmen. Abendmahl ist „all inclusive“, im besten Sinn des Wortes.
Diese herausragende Qualität gilt es zu inszenieren. Dafür stehen in den Landeskirchen mit zahlreichen Variationen zwei Agenden zur Verfügung: die Evangelische Messe und die Oberdeutsche Form. Bei beiden stehen die Einsetzungsworte in der Mitte. Und dazu gehören das Vaterunser und ein Abendmahlsgebet. Die Messform stimmt die Gemeinde mit Lob und Dank an den Schöpfer hymnisch ein, während die oberdeutsche sich meditativ betrachtend auf das konzentriert, was das Abendmahl in seinem Kern ist.
Beide Formen sind schön und evangelisch. Es wäre daher verkehrt sie gegeneinander auszuspielen. Aber auch freie Formen oder Mischformen sind denkbar. Aber der Kern der Abendmahlsfeier ist das „Christus für uns“. Die Einsetzungsworte können als Zusage gesungen oder gesprochen werden, aber dies sollte immer der Gemeinde zugewandt geschehen. Und hin und wieder könnten die Einsetzungsworte auch in „leichter Sprache“ vorgetragen werden, wie: „Es war Nacht. Jesus saß mit seinen Freunden am Tisch. Er feierte mit ihnen das Abendmahl. Er nahm das Brot und brach es. Er dankte Gott und sagte: Nehmt und esst. Das bin ich für euch. Danach nahm er den Becher. Er dankte Gott und sagte: Nehmt und trinkt. Das bin ich für euch. Ich gebe mich für alle. So könnt ihr leben. Tut das immer wieder. Erinnert euch an mich.“
Reiche Mahl- und Feierkultur
Um die Einsetzungsworte herum gibt es seit etlichen Jahren auch die Praxis des Abendmahlsgebetes mit dem Lobpreis des Schöpfers, dem Gedächtnis der Heilstat Jesu und der Bitte um den Heiligen Geist. Die Herabrufung des Heiligen Geistes, die „Epiklese“, die für die Orthodoxen die Mitte der Mahlfeier ist, haben auch viele Protestanten wiederentdeckt, siehe EG 640: „Sende, o Gott, deinen Geist. Gib der Welt ein neues Gesicht. Schenke Frieden, überall wo Menschen wohnen, Frieden, der höher ist als alle Gewalt, deinen Frieden, der uns verheißen ist in Jesus Christus. Dir sei Ehre in Ewigkeit.“
Am Ende der Mahlfeier, die ab und zu im großen Kreis stattfindet, aber auch den Blick zum Kreuz, zum wiederkommenden Christus freilassen kann, steht der Dank.
Wenn wir miteinander Abendmahl feiern, stellen wir uns in den großen Traditions- und Segensstrom der Bibel und der Kirche. Er beginnt bei Abraham und dem jüdischen Volk am Sinai und reicht über die Visionen der Propheten bis hin zu den Sündermählern Jesu und seinem Abschiedsmahl mit den Jüngern am Gründonnerstag. Die nachösterlichen Erzählungen zeigen uns den auferstandenen Christus, der sich seinen Freunden im gemeinschaftlichen dankbaren Essen vor Gott offenbart.
Wir entdecken und achten den Reichtum der Mahl- und Feierkultur einer gemeinsamen, Jahrtausende alten Geschichte des Judentums und der Kirche. Das lutherische Profil besteht darin, dass wir das Abendmahl primär als eine Gabe des sich schenkenden Gottes begreifen und nicht als Gedächtnis, Danksagung oder gar Opfer der Kirche. Unser Glaube macht sich an der bedingungslosen Zusage Christi fest, der seine Liebe mitteilt. Aber auch das Andere ist wichtig: Christi Zusage folgt Dankbarkeit und Freude.
Miteinander Abendmahl feiern heißt aber auch, dass wir an die Menschen denken, die mit uns leben. Ganz gleich ob sie gern oder ungern zum Gottesdienst kommen, häufig, selten oder gar nicht. Sie haben Sehnsucht nach Frieden und Versöhnung in dieser Welt und einem gelingenden Zusammenleben und – manche davon – auch nach der Gemeinschaft mit Gott.
Für den Apostel Paulus war es selbstverständlich, dass beim Abendmahl Reiche und Arme, Starke und Schwache, Frauen und Männer, Juden und Griechen beieinander waren und aufeinander Rücksicht nahmen. Deshalb kritisiert er die Gemeinde in Korinth, die in dieser Hinsicht nicht achtsam war. Und so muss der Gedanke eines inklusiven Abendmahls (auch im Sinne buchstäblicher Barrierefreiheit) für die evangelischen Kirchen in Deutschland selbstverständlich sein: Alle Getauften sind eingeladen. Wer als Ausgetretener (wieder)kommt und teilnimmt, zeigt damit, dass er wieder zur Kirche gehören will. Wir vergeben eine Chance, wenn wir das Abendmahl in dieser Hinsicht nicht als wunderbare Möglichkeit begreifen, als ein Fest, das für alle offen ist. Immer wieder geschieht es, dass sich zerstrittene Paare oder verlorene Freunde an Christi Tisch versöhnen oder dass sich innere Verbitterung löst.
Ich möchte die Erwartungen, Befindlichkeiten und Ängste der Menschen ernst nehmen. Deshalb sind auch Unsicherheiten ernst zu nehmen, wie die Angst, beim Gemeinschaftskelch eine ansteckende Krankheit zu bekommen oder eine mentale Aversion gegen den Genuss von Blut. Es wäre schade, wenn dies Gründe wären, dem Mahl fernzubleiben. Sicher sollten Pfarrerinnen und Pfarrer sich, ihre Theologie und ihre Erwartung an die Mahlfeier nicht verleugnen. Aber sie sollten sie auch nicht absolut setzen. Gerade bei den Gebeten ist darauf zu achten, dass Menschen nicht durch dogmatische Floskeln oder einseitige Gottesbilder ausgeschlossen werden.
Lassen wir uns von neuen Erfahrungen beschenken. Und Kinder können dabei eine Hilfe sein. Sie spüren intuitiv, wie man sich beim Abendmahl verhält. In froher Erwartung, ja Spannung und Freude, ein Geschenk zu bekommen, das es sonst nirgendwo gibt, gehen sie zum Altar. Wer sie wegschickt, verachtet das Reich Gottes.
Gemeinsam Abendmahl feiern heißt auch: gemeinsam singen und musizieren. Lieder und Gesänge sollen nicht von der Teilnahme ausschließen. Deshalb braucht es unterschiedliche Musikstile.
Die Austeilungsform ist im Blick auf ihren Erlebnisgehalt nicht zu überschätzen. Kann ich das Gemeinsame so inszenieren, dass es sich sinnlich abbildet? Der Kreis oder ein Oval mit Öffnung zum Kreuz hin sind die stimmigste Form.
Der Reichtum der biblischen und theologischen Tradition – Abendmahl als Sündenvergebung und Vergegenwärtigung Jesu Christi, Gemeinschaft mit Gott, Versöhnung untereinander, Fest des Reiches Gottes – ist so groß, dass man nicht immer dieselbe Form praktizieren sollte. Dies wäre angesichts dessen, was uns geschenkt ist, eine Verkürzung und Verarmung, aber auch – im Blick auf die Menschen, die wir einladen wollen – eine vertane Chance.
Jochen Arnold
Jochen Arnold
Jochen Arnold ist Professor für Evangelische Theologie an der FH Hannover.