Freiheit, Leiblichkeit, Schönheit

Fürs Reformationsjubiläum kann die evangelische Kirche von Heinrich Heine lernen
Foto: epd-bild/Rolf Zoellner Beim „Festival of Lights“ erinnerte im vergangenen Jahr eine Projektion auf den Berliner Dom an das Reformationsjubiläum. In der Mitte Martin Luther und links von ihm seine Frau Katharina von Bora.
Foto: epd-bild/Rolf Zoellner Beim „Festival of Lights“ erinnerte im vergangenen Jahr eine Projektion auf den Berliner Dom an das Reformationsjubiläum. In der Mitte Martin Luther und links von ihm seine Frau Katharina von Bora.
Der Dichter und politische Journalist Heinrich Heine (1797–1856), ein Protestant jüdischer Herkunft, hatte weniger Skrupel, Martin Luther zu loben als heutige evangelische Kirchenmänner. Daran erinnert der Hamburger Theologe Hans-Jürgen Benedict.

Ruhm dem Luther! Ewiger Ruhm dem teuren Mann, dem wir die Rettung unserer edelsten Güter verdanken und von dessen Wohltaten wir heute noch leben?“ Was treibt einen deutschen Schriftsteller jüdischer Herkunft und notorischen Spötter über Kirche und Religion dazu, Martin Luther überschwänglich zu loben? Heine, der aus einer liberalen jüdischen Familie stammte, löste 1825 „das Entreebillet zur europäischen Kultur“ und ließ sich in Heiligenstadt evangelisch taufen. Und mit der Veröffentlichung des Buchs der Lieder bei Campe in Hamburg wurde er zwei Jahre später fast über Nacht ein berühmter Dichter. Und so hätte es weitergehen können.

Doch 1830, als er von der Julirevolution in Frankreich hört, fasst er den Plan nach Paris zu emigrieren. um von dort aus ins restaurative Deutschland hineinzuwirken. 1834 veröffentlicht Heine in der Pariser Zeitschrift Revue des deux mondes in drei Folgen De L‘ Allemagne depuis Luther. Und diese Artikelreihe erschien dann 1835 unter dem Titel Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland Mitte Januar bei Hoffmann und Campe in Hamburg. Leider ist dieses Buch hierzulande fast unbekannt. Dabei ist nie wieder so leicht und geistreich eine deutsche Theologie- und Philosophiegeschichte geschrieben worden. Verfasst wurde es für ein französisches Publikum, das verstehen sollte, warum die Deutschen in der Theorie so radikal sind und in der politischen Praxis so schrecklich rückständig. „Mich dünkt, ein methodisches Volk wie wir mußte mit der Reformation beginnen, konnte erst hierauf sich mit der Philosophie beschäftigen und durfte nur nach deren Vollendung zur politischen Revolution übergehen.“

Die Schrift enthält die schönsten Lobreden auf deutsche Dichter und Denker. Aber besonders treffend und amüsant ist das Kapitel über Luther und das neu entstehende evangelische Christentum. „Luther war zugleich ein träumerischer Mystiker und ein praktischer Mann in der Tat. Seine Gedanken hatten nicht bloß Flügel, sondern auch Hände; er sprach und handelte. Er war nicht bloß die Zunge, sondern auch das Schwert seiner Zeit. Auch war er zugleich ein kalter scholastischer Wortklauber und ein begeisterter, gottberauschter Prophet. Wenn er des Tags über mit seinen dogmatischen Distinktionen sich mühsam abgearbeitet, dann griff er des Abends zu seiner Flöte und betrachtete die Sterne und zerfloss in Melodie und Andacht(…). Er war voll der schauerlichsten Gottesfurcht, voll Aufopferung zu Ehren des heiligen Geistes, er konnte sich ganz versenken ins reine Geisttum; und dennoch kannte er sehr gut die Herrlichkeiten dieser Erde und wusste sie zu schätzen, und aus seinem Munde erblühte der famose Wahlspruch: Wer nicht liebt Wein, Weiber und Gesang, der bleibt ein Narr sein Leben lang. Er war ein kompletter Mensch, ich möchte sagen, ein absoluter Mensch, in welchem Geist und Materie nicht getrennt sind.“

Ein solches Lob Luther hört man selten von Lutheranern, auch wenn der Wahlspruch nicht von Luther stammt, sondern wohl von Johann Heinrich Voß, dem Übersetzer Homers. Heine ist eben ein Dichter: Wie er Luthers Auftritt auf dem Reichstag zu Worms beschreibt, ist köstlich. Der Reformator musste seine lange Verteidigung auf lateinisch wiederholen, weil der Kaiser kein Deutsch verstand. „Ich ärgere mich jedes mal, wenn ich daran denke; denn unser teurer Meister stand neben einem offenen Fenster, der Zugluft ausgesetzt, während ihm der Schweiß von der Stirne troff. Durch das lange Reden mochte er wohl sehr ermüdet und sein Gaumen trocken gewesen sein. Der muß jetzt großen Durst haben, dachte gewiß der Herzog von Braunschweig; wenigstens lesen wir, daß er dem Martin Luther drei Kannen besten Einbecker Biers in die Herberge zuschickte. Ich werde diese edle Tat dem Hause Braunschweig nie vergessen.“

Sicher irrte sich Heine bei der Darstellung der Ereignisse auch gelegentlich. So meinte er, Luther und seine Begleiter seien mit dem Schlachtlied Ein feste Burg ist unser Gott in Worms eingezogen. „Der alte Dom zitterte bei diesen neuen Klängen, und die Raben erschraken in ihren obskuren Turmnestern. Jenes Lied, die Marseiller Hymne der Reformation, hat bis auf unsere Tage ihre Kraft bewahrt.“ Tatsächlich hat Luther den Choral, den Heine in seiner Schrift ganz zitiert, erst 1528/29 gedichtet, als die Sache der Reformation sich in einer kritischen Phase befand. Aber Luther schrieb, kurz bevor er Worms erreichte, an Spalatin: Wir werden „in Worms einziehen, auch gegen den Willen aller Pforten der Hölle und der Gewalten der Luft“.

Heine gelingt es, das Neue an Luther zu beschreiben und dabei die Theologie, sprich die Lehre von der Rechtfertigung, ganz auszusparen. Er ordnet den Reformator vielmehr in eine Entwicklungsgeschichte des deutschen Geistes ein, so wie er sie sah. Will sagen: Indem Luther den Satz aussprach, „daß man seine Lehre nur durch die Bibel selber, oder durch vernünftige Gründe, widerlegen müsse, war der menschlichen Vernunft das Recht eingeräumt, die Bibel zu erklären und sie, die Vernunft, war als oberste Richterin in allen religiösen Streitfragen anerkannt. Dadurch entstand in Deutschland die sogenannte Geistesfreiheit, oder, wie man sie ebenfalls nennt, die Denkfreiheit.“

Nun, bis zur Verwirklichung der Denkfreiheit war es noch lange hin. Und wer im reformatorischen Lager nicht so dachte wie er, bekam Luthers Zorn zu spüren, Täufer, Bilderstürmer, rebellierende Bauern, Zwinglianer und Humanisten. Nach Heine hatte Luther „etwas Ursprüngliches, Unbegreifliches, Mirakulöses, wie wir es bei allen providentiellen Männern finden“. Und seine Fehler waren für den Dichter auch Vorzüge: „Die Feinheit des Erasmus und die Milde des Melanchthon hätten uns niemals so weit gebracht wie manchmal die göttliche Brutalität des Bruder Martin.“

Luther ist für Heine aber nicht nur der Freiheitsheld, der die deutsche Kirche von Rom löste, er ist vor allem auch „ein kompletter Mensch“. Als Kennzeichen des Christentums sieht Heine dessen leib- und sinnenfeindliche Einstellung, das Asketische und Weltflüchtige, das die Materie schlecht macht, aber den Geist verherrlicht. Die christliche Kirche hat zwar die Manichäer und die Gnostiker, die diesen Dualismus aufgebracht haben, zu Ketzern erklärt. Aber ihre Lehre von den einander bekämpfenden Prinzipien, dem Guten und dem Bösen, hat sich trotzdem in der Kirche durchgesetzt. Aber das wird in der Reformation teilweise aufgehoben. „Indem die notwendigsten Ansprüche der Materie nicht bloß berücksichtigt sondern auch legitimiert werden, wird die Religion wieder eine Wahrheit. Der Priester wird ein Mensch und nimmt ein Weib und zeugt Kinder, wie Gott es verlangt. Dagegen Gott selbst wird wieder ein himmlischer Hagestolz ohne Familie; die Legitimität seines Sohnes wird bestritten; die Heiligen werden abgedankt; den Engeln werden die Flügel beschnitten; die Muttergottes verliert alle ihre Ansprüche an die himmlische Krone, und es wird ihr untersagt, Wunder zu tun.“

Gastfreundliches Pfarrhaus

Durch den Protestantismus werden die Menschen tugendhafter und edler. Heine stellt die sittliche Bedeutung des protestantischen Pfarrhauses heraus: „Man muss zu Fuß, als armer Student, durch Norddeutschland wandern, um zu erfahren, wieviel Tugend, (und damit ich der Tugend ein schönes Beiwort gebe), wieviel evangelische Tugend manchmal in so einer scheinlosen Pfarrerwohnung zu finden ist. Wie oft, des Winterabends, fand ich da eine gastfreie Aufnahme, ich, ein Fremder, der keine andere Empfehlung mitbrachte, außer daß ich Hunger hatte und müde war. Wenn ich dann gut gesessen und gut geschlafen hatte und des Morgens weiterziehen wollte, kam der alte Pastor im Schlafrock und gab mir noch den Segen auf den Weg, welches mir nie Unglück gebracht hat; und die gutmütig geschwätzige Frau Pastorin steckte mir einige Butterbröte in die Tasche, welche mich nicht minder erquickten; und in schweigender Ferne standen die schönen Predigertöchter mit ihren errötenden Wangen und Veilchenaugen, deren schüchternes Feuer, noch in der Erinnerung für den ganzen Wintertag mein Herz erwärmte.“

Nach dieser Abschweifung kommt Heine aber gleich auf das zurück, was ihm an der Reformation vor allem wichtig war, dass der menschlichen Vernunft das Recht eingeräumt wird, die Bibel zu erklären und dass damit in Deutschland die Geistes- oder Denkfreiheit entstand. Angesichts der Zensur im Vormärz merkt Heine an, dass „die Preßfreiheit, (…) nichts anderes (ist) als die Konsequenz der Denkfreiheit und folglich ein protestantisches Recht“. Denn Luther „gab dem Gedanken auch das Wort. Er schuf die deutsche Sprache. Dieses geschah, indem er die Bibel übersetzte.“ Heine ist es sehr wichtig zu erwähnen, dass die Juden, „dieses gemordete Volk, dieses Volks-Gespenst in seinen dunklen Ghettos saß und dort die hebräische Bibel bewahrte“. Und deutsche Gelehrte stiegen hinab, um die hebräische Sprache zu lernen. Dank des Einsatzes des Humanisten Johannes Reuchlin gegen die von den Dominikanern angestrengte Bücherverfolgung am Rhein konnte Luther seine Übersetzung des Originaltextes beginnen.

Mit Luther beginnt die schöne Literatur, meint Heine. Seine geistlichen Lieder seien nicht mehr die Verbindung aus germanischer Nationalität und katholischem Christentum, sondern „eine neue Ordnung der Dinge gestaltet sich, der Geist macht Erfindungen, die das Wohlsein der Materie befördern, (…) der dritte Stand erhebt sich; die Revolution grollt schon in den Herzen und Köpfen“.

Man sieht, Heine presst die Reformation in das Schema der frühbürgerlichen Revolution. Und doch ist es eine schöne Formulierung und eine Vorwegnahme der These Ernst Troeltschs von Luthers Bedeutung für die Subjektbildung, wenn Heine sagt: „Der Mensch steht jetzt allein seinem Schöpfer gegenüber und singt ihm sein Lied. Daher beginnt diese Literatur mit geistlichen Gesängen.“ Dass Heine Luther vor allem aus einer ästhetisch-literarischen Position beurteilte, macht auch die Charakterisierung Lessings im nächsten Kapitel der Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland deutlich. Sie beginnt wie das Lutherkapitel: „Seit Luther hat Deutschland keinen größeren und besseren Mann hervorgebracht als Gotthold Ephraim Lessing. Diese beiden sind unser Stolz und unsere Wonne.“ In der Sicht Heines hat der Aufklärer Lessing den Reformator Luther fortgesetzt. „Nachdem Luther uns von der Tradition befreit und die Bibel zur alleinigen Quelle des Christentums erhoben hatte“, befreite Lessing uns von dem starren Buchstabenglauben der lutherischen Orthodoxie.

Hans-Jürgen Benedict

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Foto: privat

Hans-Jürgen Benedict

Hans-Jürgen Benedict war bis 2006 Professor für diakonische Theologie an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie des Rauhen Hauses in Hamburg. Seit seiner Emeritierung ist er besonders aktiv im Bereich  der Literaturtheologie.


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