„Wir haben exotisch gewirkt“
zeitzeichen: Herr Bischof Noack, der damalige mecklenburgische Landesbischof Christoph Stier hat im November 1990 in Travemünde bei der Synode der damals noch auf West-Deutschland und West-Berlin beschränkten EKD im Namen des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR ein Grußwort gesprochen. Und er hat dabei die Befürchtung geäußert: „Von uns bleibt nichts, nichts hat Bestand. Wir sind aus der Gefangenschaft befreit, aber wir sind nicht frei, unsere Wege neu zu gestalten. Die Baupläne sind vorgegeben, es gilt das Normalmaß: Bundesrepublik Deutschland ehemals und auch EKD.“ Hat Stier Recht behalten?
AXEL NOACK: Der erste Eindruck war ja generell, dass im Osten nichts mehr bleibt, weder gesellschaftlich noch kirchlich. Was soll aus einer Diktatur in einer freien Gesellschaft auch weiter gelten können? Um die Äußerung von Christoph Stier richtig einordnen zu können, muss man aber berücksichtigen, dass im Sommer zuvor ein Gutachten des Tübinger Staatskirchenrechtlers Martin Heckel veröffentlicht worden war. Darin hat Heckel festgestellt: „Die Reaktivierung der Mitgliedschaft der östlichen Gliedkirchen kann durch einseitigen …, an die EKD-Organe gerichteten formellen Statusakt der betreffenden Landeskirche geschehen.“ Wir hatten zunächst auf eine gemeinsame neue Grundordnung gehofft. Die Gründung des DDR-Kirchenbundes - so das Gutachten - durch die östlichen Mitgliedskirchen im Jahr 1968 sei gewissermaßen illegal gewesen. Diese Aussage hat uns natürlich vor den Kopf gestoßen, selbst wenn sie juristisch korrekt gewesen ist.
Ist die EKD vor 25 Jahren mit der kirchlichen Wiedervereinigung nur um einige Landeskirchen größer geworden, oder hat sie sich verändert?
AXEL NOACK: Die EKD-Synode ist zum Beispiel anders geworden. Wir aus dem Osten haben auf manche im Westen ja exotisch gewirkt. Wir sind politisch-ethisch oft links und zugleich fromm gewesen. Ich habe mich als linken Pietisten verstanden und bezeichnet. Und so haben wir schwer in die verschiedenen Gruppen gepasst, die es innerhalb der EKD-Synode gegeben hat. Ich gehörte der Gruppe Offene Kirche an, hätte aber auch in die stärker evangelikal geprägte Gruppe Lebendige Gemeinde gepasst. Das hat das Klima zwischen den Gruppen in der Synode verändert und verbessert. Und verändert hat sich durch uns zumindest langfristig auch noch etwas, das immer wieder diskutiert wurde, ob die EKD überhaupt Kirche ist. Für uns ist der DDR-Kirchenbund selbstverständlich Kirche gewesen. Wir waren ja schon dabei gewesen, eine „Vereinigte Kirche in der DDR“ zu begründen.
Gibt es Errungenschaften des DDR-Kirchenbundes, deren Verschwinden Sie bedauern?
AXEL NOACK: Unsere Landeskirchen sind ärmer und kleiner gewesen. Und so haben sie zum Beispiel schlankere Kirchenämter gehabt als im Westen. Und gleichzeitig haben die Synoden eine wichtige Rolle gespielt. In der EKD beobachte ich, dass die Synode, in der ja vorwiegend Laien sitzen, also Nichtordinierte, an Bedeutung verliert. Und gleichzeitig gewinnt die Kirchenkonferenz, der die Vertreter der Landeskirchen, Bischöfe und Kirchenjuristen angehören, an Bedeutung.
In Westdeutschland ist die Kirche in vielen Landstrichen immer noch eine klassische Volkskirche. Man wird als Kind in sie hineingetauft und ist Mitglied wie in einem Verein. In der DDR hat dagegen Mut dazu gehört, sich zur Kirche zu halten. Und manchmal hat man den Eindruck bekommen, die Protestanten in der DDR hätten sich als Bekennende Kirche verstanden und die Volkskirche im Westen als lau und angepasst empfunden.
AXEL NOACK: Das haben uns unsere „linken“ Freunde aus dem Westen einzureden versucht, und wir haben es auch ein wenig geglaubt. Aber mit der Zeit sind wir ernüchtert worden. Denn wir haben gemerkt, dass wir uns nicht gesund-, sondern eher krankgeschrumpft haben. Das heißt: Die Landeskirchen im Osten sind ebenfalls Volkskirche, nur auf niedrigem Niveau. Unterschiede gibt es nur bei den Konfessionslosen. Im Westen haben sie - in aller Regel - einmal der Kirche angehört und sind dann ausgetreten. Im Osten sind sie dagegen ja oft nicht einmal ihre Eltern und Großeltern Kirchenmitglieder gewesen. Und diese Leute haben zur Kirche ein etwas unverkrampfteres Verhältnis, als diejenigen, die sich - wie manche Konfessionslose im Westen - über die Kirche oder über einen Pfarrer geärgert haben und ausgetreten sind.
Wie bitte? Ein Atheismus, der den Glauben als „Priester- und Pfaffenbetrug“ und als unvereinbar mit der Wissenschaft betrachtet, ist in der ehemaligen DDR doch viel stärker ausgeprägt als im Westen.
AXEL NOACK: Überhaupt nicht. Als der MDR für eine Sendung über die Frage, ob die Gesellschaft noch die Kirche braucht, einen kämpferischen Atheisten gesucht hat, der zum Kirchenaustritt aufruft, ist er nur im Westen fündig geworden. Ähnlich ist das bei der Jugendweihe. Im Westen wird sie von kämpferischen Atheisten veranstaltet. Den Humanistischen Verband gibt es natürlich auch hier. Aber er spielt keine große Rolle. So ist die Jugendweihevereinigung in Halle an der Saale sehr bürgerlich. Und in dem Dorf, in dem ich lebe, gibt es einen Verein, der die Feste organisiert, und da ist die Kirche immer beteiligt, obwohl ihr nur eine Minderheit der Einwohner angehört. Ein schönes Beispiel, das illustriert, was ich sage, zeigt eine Imagekampagne des Handwerks.
Inwiefern?
AXEL NOACK: Da sollte auf einem der tollen Plakate stehen: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde, den Rest haben wir gemacht.“ Aus Nordrhein-Westfalen kam der Einwand der religiösen Neutralität. So musste die Aufschrift verändert werden, und sie lautet nun: „Am Anfang waren Himmel und Erde, den Rest haben wir gemacht.“ Das wäre im Osten - so meine These - nie passiert, nie.
Kehren wir zur Wiedervereinigung der evangelischen Landeskirchen zurück. Welche Haltung haben Sie damals eingenommen? Haben Sie gedacht und gehofft, die Kirchensteuer, die das Finanzamt einzieht, verbessert die finanzielle Lage der Kirche, und der Religionsunterricht an der Schule bietet eine große Chance, Kindern und Jugendlichen den christlichen Glauben zu vermitteln?
AXEL NOACK: Die Kirchensteuer ist für mich - im Unterschied zu anderen Kirchenleuten im Osten - nie ein Problem gewesen. Denn mir ist bewusst gewesen, dass das Geld, mit dem uns die westlichen Landeskirchen unterstützt haben, der Kirchensteuer zu verdanken war. Meines Erachtens haben viele ostdeutsche Kollegen die Kirchensteuer abgelehnt, weil sie enttäuscht gewesen sind, dass wir es nie geschafft haben, eine eigene Form der Kirchenfinanzierung zu entwickeln und finanziell auf eigenen Beinen zu stehen. Wenn der Westen uns nicht finanziell geholfen hätte, hätte in der DDR kein einziger Pfarrer einen Dienstwagen besessen, den er brauchte, wenn er auf dem Land die vielen Gemeinden versorgen wollte, für die er zuständig war.
Hat es im Verhältnis von Kirche und Staat in Westdeutschland Regelungen gegeben, die Sie abgelehnt haben?
AXEL NOACK: Ja, die Soldatenseelsorge. Manche westdeutsche Pfarrer haben den Militärseelsorgevertrag abgelehnt, weil sie Pazifisten waren. Mich hat dagegen die Frage um-getrieben, ob die Verkündigung der Kirche in der Bundeswehr frei ist. Aber ich habe den Eindruck, dass unsere Bedenken schließlich dazu geführt haben, dass die Soldatenseelsorge viel kirchlicher geworden ist, als sie es in der alten Bundesrepublik war.
Hat es Sie nach der Wende gereizt, mal Pfarrer im Westen zu sein?
AXEL NOACK: Nein, dazu war ich zu lange Pfarrer im Osten und dort verwurzelt. Und außerdem ist es damals ja gar nicht so einfach gewesen, von einer Landeskirche in eine andere zu wechseln. Da haben es heutige Pfarrer einfacher. Und meine Studenten schauen darauf, welche Landeskirche ihnen das beste Angebot macht.
Wie sehen Sie die Lage der mitteldeutschen Kirche, deren Bischof sie gewesen sind?
AXEL NOACK: Wir haben noch gar nicht so richtig zur Kenntnis genommen, wie gut es uns geht.
Meinen Sie die Amtsträger oder die Gemeindemitglieder?
AXEL NOACK: Das gilt für alle, auch die Mitarbeiter der Kirche. 75 Prozent der ostdeutschen Bevölkerung haben nach der Wiedervereinigung berufliche Brüche erlebt, sei es, dass sie arbeitslos gewesen sind, einen neuen Beruf lernen oder wegziehen mussten, um Arbeit zu finden. In der Kirche haben wir nicht einem einzigen Mitarbeiter betriebsbedingt gekündigt. Und wir hätten es in der DDR nie für möglich gehalten, dass wir unsere Kirchengebäude mal in einem solchen Zustand erleben würden. Fahren Sie mal übers Land, Sie sehen doch nur erneuerte Kirchen.
Und das ist auch Konfessionslosen zu verdanken.
AXEL NOACK: Ja, wenn ich die Leute frage, warum sie sich für die Renovierung ihrer Kirche einsetzen, obwohl sie nicht zur Kirche gehen, sagen sie mir oft, das sei ihre Kirche. Und manche fügen hinzu, dort sei ihre Großmutter getauft worden. Eine bleibend wichtige Aufgabe ist es heute, zwischen Kirchenbauvereinen und Kirchengemeinden zu vermitteln. Die ersteren möchten mit der Kirchenrenovierung gleich anfangen, während die letzteren oft Bedenken wegen der Kosten haben.
Sie haben die kirchliche Wiedervereinigung hautnah miterlebt. Was war Ihr schönstes Erlebnis bei diesem Prozess?
AXEL NOACK: Die menschliche Nähe im Rat der EKD, in den ich 1991 gewählt worden bin. Ich bin ja der erste Gemeindepfarrer gewesen, der diesem Gremium angehört hat. Da gab es viel Solidarität, auch bei ganz schwierigen Themen: Wir haben zum Beispiel entscheiden müssen, ob alle Pfarrer in Ostdeutschland auf eine Stasiverstrickung überprüft werden. Und wir haben diese Frage einvernehmlich gelöst. Aber natürlich sind auch theologische Unterschiede zwischen West und Ost deutlich geworden. Ich erinnere mich an eine Sitzung in Berlin, bei der uns ein westdeutscher Staatskirchenrechtler aufgefordert hat, dafür zu sorgen, dass die neuen Schulgesetze der neuen Bundesländer bestimmen, dass die Schulen „zur Ehrfurcht vor Gott erziehen“. Als wir Bedenken geäußert haben, hat jener Jurist gemeint, Gott sei eine „Chiffre für Anstand, Moral und Sitte“, und auf sie könne man sich doch mit jedermann verständigen. Und wir haben ihm entgegengehalten, dass Gott der Vater Jesu Christi ist.
Haben Sie auch negative Erfahrungen gemacht?
AXEL NOACK: Ich bin zumindest erstaunt gewesen, dass im Westen nicht geprüft worden ist, ob Pfarrer mit der Stasi verstrickt waren. Denn auch hier hat es ja Spitzel gegeben. Und dann ist uns immer mal wieder die Formel „Kirche im Sozialismus“ um die Ohren gehauen worden, so als ob wir stets für den DDR-Sozialismus gewesen wären. Dabei hat es eine Gruppe „Christen für den Sozialismus“ nur im Westen gegeben, nicht im Osten.
Hat es noch andere kritische Punkte in der Wahrnehmung der östlichen Kirchen durch die westlichen gegeben?
AXEL NOACK: Ja. Die ostdeutschen Landeskirchen haben Pfarrer, die ohne Erlaubnis ihrer Kirchenleitung in den Westen geflohen sind, disziplinarisch belangt, so dass sie im Westen keine Pfarrstelle bekommen konnten. Das ist im Westen akzeptiert, aber nicht wirklich verstanden worden. Auch darüber haben wir in der wiedervereinigten EKD noch heftig gestritten.
Hat es noch weitere Streitpunkte gegeben?
AXEL NOACK: Ich bin sicher: Hätte sich der Bundestag vor 25 Jahren nicht für Berlin als Hauptstadt entschieden, würden zentrale Einrichtungen der evangelischen Kirche und ihrer Diakonie immer noch ausschließlich im Westen liegen. So ist es nicht einfach gewesen, die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen und das Diakonische Werk von Stuttgart nach Berlin zu verlegen. Dass das gegen große Widerstände möglich war, ist nur dem Hauptstadtstatus Berlins zu verdanken.
Lassen Sie uns einen Blick in die Zukunft werfen. Nach menschlichem Ermessen dürfte es in Deutschland keine kirchenfeindliche Diktatur mehr geben. Gibt es aber trotzdem etwas, das die wiedervereinigte evangelische Kirche aus den Erfahrungen der Kirchen in der DDR lernen kann?
AXEL NOACK: Wenn die Lage der Kirche schwieriger wird und Mitglieder und Einnahmen zurückgehen, muss man die Kirchenverwaltung und nicht die Zahl der Pfarrerinnen und Pfarrer in der Fläche verschlanken und man muss den Gemeinden mehr Eigenverantwortung geben. So haben wir das in der DDR versucht. Im Osten merken wir, dass sich bei Kirchenmitgliedern und Außenstehenden das Bild von Kirche auf die Ortsgemeinde und das zu ihr gehörende Kirchengebäude reduziert. Die wissen nichts von Kirchenkreis, Landeskirche, EKD, UEK und VELKD. Und noch eines: In einer Situation, in der Menschen den Eindruck bekommen, Religion sei mit Gewalt verbunden, ist es wichtig, dass die Leute sehen, dass Konfessionen und Religionen gut miteinander auskommen, ja, dass sie einen wichtigen Beitrag zum Frieden leisten.
Aber zwischen den christlichen Konfessionen herrscht doch ein gutes, friedliches Klima.
AXEL NOACK: Sicher. Aber wir müssen das immer wieder zeigen. In den Franckeschen Stiftungen in Halle ist eine berühmte Landesschule untergebracht, die Latina. Zu Beginn des Schuljahres, beim Elternabend, werden der Ethikunterricht, der evangelische und der katholische Religionsunterricht vorgestellt. Und da wird deutlich: Eltern, die - ganz unsicher - meinen, dass der Religionsunterricht gut für ihre Kinder ist, fällt es schwer zwischen katholisch und evangelisch zu unterscheiden. Die konfessionelle Vielfalt ist natürlich schön. Aber sie verwirrt Außenstehende.
Sie fordern mehr Dezentralisierung in der Kirche. Sollen Gemeinden das Recht bekommen, ihre Pfarrer ohne Vorauswahl durch die Landeskirche zu wählen? Soll also derjenige, der eine Gemeindepfarrstelle übernehmen will, sich direkt bei der Gemeinde bewerben und nicht beim Landeskirchenamt?
AXEL NOACK: Auf jeden Fall sollten die Gemeinden und Kirchenkreise an der Bezahlung der Pfarrerinnen und Pfarrer wirklich beteiligt sein. Wenn das Geld von oben kommt, rufen alle nach neuen Stellen. Wenn die Gemeinden mitbezahlen, reduziert sich die Zahl der freien Stellen schlagartig. Die Kirche muss Freiheit geben und Gemeindeegoismus und Kirchturmhorizont aushalten. Die sind nämlich sehr effektiv. Aufgabe der Kirchenleitung ist es dann, solchen Egoismus wieder etwas christlich zu dämpfen und die Solidarität unter den Gemeinden zu befördern. Im Übrigen bin ich der Meinung, (gewisse) Unterschiede in der Besoldung der Pfarrer zuzulassen. Auch hier läge eine motivierende Kraft.
Warum ist es dem SED-Regime relativ leicht gefallen, eine starke Entkirchlichung durchzusetzen? Liegt das an einer ekklesiologischen Schwäche des Protestantismus? Oder ist die Gegend östlich der Elbe nie richtig christianisiert worden?
AXEL NOACK: Die Kirchlichkeit ist in vielen Regionen östlich der Elbe schon immer schwach ausgebildet gewesen. Und vielleicht geht das sogar bis ins Mittelalter zurück. Von den sieben Kurfürsten, die unter Karl IV. kreiert worden sind, haben die drei geistlichen im Westen regiert und die vier weltlichen (abgesehen von der Kurpfalz) im Osten, darunter in Sachsen und Brandenburg. Aber wie auch immer: In der DDR-Zeit sind Vertriebene aus Ostpreußen in unsere Gegend gekommen, und die sind viel kirchlicher gewesen als die Einheimischen. Ohne sie hätten wir noch heute ein Drittel weniger Gemeindeglieder. Uns fehlt heute vor allem der Kontakt zu Kindern aus dem Sekundarschulbereich. 70 Prozent der Konfirmanden sind Gymnasiasten. Das heißt, wir sind nicht nur zahlenmäßig klein, sondern die wenigen Leute, die wir ansprechen, gehören auch nur einer Schicht an.
Aber die Kirchengebäude sprechen auch Leute an, die nicht zur Kirche gehören.
AXEL NOACK: Ja. Aber wir sind auch im Osten oft zu sehr auf die Kerngemeinde fixiert. Diejenigen, die nicht regelmäßig den Gottesdienst und andere Gemeindeveranstaltungen besuchen, betrachten wir schon sprachlich negativ, bezeichnen sie als „U-Boot-Christen“ oder „Weihnachtschristen“. Hier wirken das Erbe der Bekennenden Kirche und sicher auch unsere Situation in der DDR nach. Wir stehen da in einem Prozess der Öffnung. Kirchliche Aktivitäten für nichtkirchliche Gruppen, wie etwa Motorradfahrer, Jäger, Handwerker etc. werden immer wichtiger werden. Segensfeiern für Schülerinnen und Schüler, die - familiär bedingt - nicht konfirmiert werden (wollen), sind unter uns noch heftig umstritten, werden aber auch wichtiger werden. Und da bieten die Kirchengebäude, die wir haben - wie gesagt - große Chancen.
Die evangelische Kirche muss also Volks-kirche bleiben oder erst noch werden?
AXEL NOACK: Ja, die Kirche muss ans Volk denken, nicht dass sie den Leuten sagt, wo es langgeht, sondern dass sie sich in den gesellschaftlichen Diskurs einbringt und zeigt, dass sie dabei etwas einzubringen hat.
Drei Monate nach dem Fall der Mauer, im Januar 1990, haben sich im niedersächsischen Loccum Vertreter der EKD West und des DDR-Kirchenbundes getroffen. In der gemeinsam verabschiedeten Loccumer Erklärung heißt es: „Wir haben in diesem Monat neu erfahren, welche politischen Wirkungen der geistliche Auftrag der Kirche Jesu Christi hat.“ Das hat sich auf den Mauerfall bezogen und die Friedensgebete, die ihn mitbewirkt haben. Heute ist die Flüchtlingsfrage die große politische Frage. Wirkt auch da „der geistliche Auftrag der Kirche Jesu Christi“ politisch?
AXEL NOACK: Ja. Unzählige Gemeindeglieder kümmern sich um Flüchtlinge. Das reicht bis zum Deutschunterricht für Flüchtlinge, den selbst kleine Gemeinden anbieten. Und die EKD und die Landeskirchen haben sich klar an die Seite der Flüchtlinge gestellt und gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus ausgesprochen.
Das Gespräch führten Reinhard Mawick und Jürgen Wandel am 27. April in Halle an der Saale.