„Das Kirchesein steht auf dem Spiel“

Gespräch mit dem Moderator des Reformierten Bundes zum Umgang mit Flüchtlingen
Foto: epd-bild/Friedrich Stark
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Anders als in der Schweiz sind die Reformierten, die Protestanten, die das Erbe der Reformatoren Ulrich Zwingli und Johannes Calvin pflegen, in Deutschland in der Minderheit. Ihr Zusammenschluss, der Reformierte Bund, erregte 1982 durch ein Bekenntnis gegen die Nachrüstung für Aufsehen. Nun hat er sich in der Flüchtlingsfrage positioniert.

zeitzeichen: Die meisten Kirchen haben sich schon zur Flüchtlingsfrage geäußert und positioniert. Und warum haben sich nun auch noch die Reformierten zu Wort gemeldet?

MARTIN ENGELS: Die Kirchen in Deutschland haben sich glücklicherweise eindeutig zur Verantwortung für die Flüchtlinge bekannt. Für uns Reformierte ist die Frage indes mehr als eine ethische Herausforderung, sie trifft uns im Kern unserer Theologie. Das hat viel mit unserer Geschichte zu tun. Denn die Reformierten, also die Protestanten, die durch den Genfer Reformator Johannes Calvin geprägt wurden, sind ja selbst oft Flüchtlinge gewesen. Denken Sie nur an die Hugenotten in Frankreich und an die Waldenser, die in Savoyen wegen ihres Glaubens verfolgt wurden und in Deutschland Zuflucht fanden und es zu Anfang alles andere als leicht hatten.

Das Bewusstsein, eine Kirche von früheren Flüchtlingen zu sein, ist bei den Reformierten also noch lebendig.

MARTIN ENGELS: Das stimmt, aber mehr noch: Reformierte Theologie ist gewissermaßen als eine Migranten-Theologie zu verstehen. Der Flüchtling Calvin etwa predigt in Straßburg zu einer Gemeinde von Flüchtlingen. Und diese Erfahrung, die eigene und die der Gemeinde, geht ein in seine Lehre. Davon geben sein Psalmenkommentar, aber auch seine Lehre von der Prädestination Zeugnis: Wer nichts mehr hat, wer nirgendwo gewollt ist, der soll sich in besonderer Weise unter Gottes Schutz gestellt sehen.

Die Reformierten wollen in der Flüchtlingsfrage einen theologischen Impuls geben. In der Erklärung des Reformierten Bundes zum Thema „Flucht und Exil“ heißt es, beim Umgang mit Flüchtlingen steht „für die Kirche immer auch ihr eigenes Kirchesein auf dem Spiel“. Was heißt das?

MARTIN ENGELS: Das heißt, die Existenz von Menschen, die zu Flüchtenden geworden sind, aus einer ganz bestimmten Perspektive wahrzunehmen. Nämlich mit den Augen einer Kirche, die selbst seit der Vertreibung aus dem Paradies im Exil lebt und die deshalb in den Gesichtern der Ausgesetzten und Vertriebenen sich selbst erkennt.

Heißt das, die Kirche steht und fällt mit ihrer Antwort auf die Flüchtlingsfrage?

MARTIN ENGELS: Zu Ende gedacht: Ja, und das ist ein radikaler Gedanke. Aber wir verfehlen unser eigenes Sein, wenn wir meinen, die Situation von Flüchtenden gehe uns nur bis zu einem gewissen Maß etwas an. So, wie die Verkündigung von Gottes Wort und so, wie das Austeilen der Sakramente Kennzeichen der Kirche sind, gehört unserem Verständnis nach auch die Sorge für Verfolgte zur Grundbestimmung der Kirche.

Ist die Frage, wie man mit den Flüchtlingen umgeht, eine Bekenntnisfrage, also mehr als eine ethische Frage?

MARTIN ENGELS :Diesen Begriff verwenden wir bewusst nicht, weil wir zumindest innerhalb der Kirchen keine Situation sehen, in der man sich mit einem Bekenntnis von einer falschen Lehre abgrenzen muss. Aber die Debatte um Flüchtlinge und Schutzsuchende wird in Deutschland inzwischen hoch emotional geführt. Und auch innerhalb der Kirchen gibt es diffuse Ängste. Wir wollen da deutlich machen: Der Einsatz für Schutzsuchende wurzelt im biblischen Zeugnis. Daher haben wir auch deutlich gemacht, dass wir uns gegen die sukzessive Aushöhlung des Asylrechts stellen.

Der Reformierte Bund beklagt in dem Papier „Flucht und Exil“ eine „innenpolitische Aufrüstung“ in der Bundesrepublik und warnt in diesem Zusammenhang, dass die Kirche sich auf „Konflikte und Verfolgung“ einstellen muss. Rechnen Sie wirklich, ernsthaft damit, dass das Eintreten der Kirche für Flüchtlinge in Deutschland zu einer Verfolgung der Kirche führt?

MARTIN ENGELS: Der Ton in der politischen Debatte ist rauer geworden. Die Konfliktlinien zwischen dem biblischen Zeugnis und der rhetorischen Aufrüstung gegenüber Flüchtenden sind unverkennbar. Wenn der Bundesinnenminister fordert, dass wir jetzt einige harte Bilder von leidenden Flüchtlingen einfach ertragen müssen, kann das nicht unwidersprochen bleiben. Als Kirche wollen wir unsere Gesellschaft mitgestalten, und im Ringen um den richtigen Weg wird der Konflikt nicht ausbleiben.

Aber noch zum Begriff „Verfolgung“. Wollen Sie damit sagen, dass sich diejenigen, die für Flüchtlinge eintreten und ihnen helfen, auf harte Auseinandersetzungen einstellen müssen, darauf, dass sie Shit-storms ausgesetzt und auch sonst diffamiert werden?

MARTIN ENGELS: Haupt- und Ehrenamtliche werden dafür angefeindet, dass sie sich für Flüchtlinge einsetzen. Das zeigt sich in E-Mails und Kommentaren im Netz, in offener Ablehnung im Bekanntenkreis, aber schockierender Weise auch in gewaltsamen Übergriffen. Und das sind keine Einzelfälle. Da braucht es einen guten Standpunkt, um dem widerstehen zu können und sich seiner Sache sicher zu sein. Hierzu soll unser Impuls „Flucht und Exil“ einen Beitrag leisten und zur Diskussion anregen.

Das Gespräch führte Jürgen Wandel am 9. Mai.

Information:

Reformierter Bund, Calvinzentrum,Knochenhauerstraße 42, 30159 Hannover, Telefon: 0511/47399, Fax: 0511/47399428.

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