Systemwechsel?

Neues in Sachen Staatsleistungen an die Kirchen
Waldhoffs erfrischende Gedanken zu den Staatsleistungen könnten in unserer Gesellschaft eine Debatte darüber auslösen, was ihr die Religionsgemeinschaften wert sind.

Die Staatsleistungen sind lästig. Jedenfalls wenn öffentlich davon die Rede ist. Alle Jahre wieder, häufig im Sommerloch, empören sich Medienleute darüber, dass es sie "immer noch" gibt. In der Tat erscheinen die teilweise auf sehr alten Rechtstiteln beruhenden staatlichen Zahlungen an die großen Kirchen, die pro Jahr etwa 460 Millionen Euro (!) betragen, auf den ersten Blick nicht plausibel. Auf den zweiten schon, denn, um den Sachverhalt mit einem banalen Beispiel zu erläutern: Ein Mieter, selbst wenn er schon über zweihundert Jahre Miete gezahlt hätte, dürfte ein Haus trotzdem nicht sein eigen nennen. Er müsste es für eine Inbesitznahme dem Eigentümer immer noch abkaufen. Ein solcher Abkauf wäre die einmalige Ablösezahlung, die laut Grundgesetz - und so stand es auch schon in der Weimarer Reichsverfassung - den jährlichen Staatsleistungen ein Ende setzen soll. Die Grundsätze, nach denen eine solche Ablösezahlung erfolgen könnte, müsste das Reich beziehungsweise seit 1949 der Bund aufstellen, doch seit fast hundert Jahren passiert nichts. Das ist verständlich, denn nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen müsste den Kirchen staatlicherseits im Falle einer Ablösung auf einen Schlag ein Vielfaches der jährlichen Leistung als Kompensation gezahlt werden. Bei Experten ist von einem "Faktor 40" für die Ablösung die Rede, also das Vierzigfache der bisherigen Summe. Auf einen Schlag wären so fast 18 Milliarden Euro für die Kirchen fällig. Das ist aus vielen Gründen schwer vorstellbar, geschweige denn der Öffentlichkeit vermittelbar. Der Veränderungsauftrag des Grundgesetzes erweist sich in diesem Falle genau gegen seine ursprüngliche Absicht, ein Ende der Zahlungen zu erreichen als "Veränderungssperre" - ein Formulierung des katholischen Staatsrechtslehrers Josef Isensee. Nun lässt ein Vorschlag von Christian Waldhoff aufhorchen: Der Berliner Juraprofessor und Finanzrechtsexperte schlägt in einem Dossier vor, dass die Staatsleistungen für die Kirchen offiziell in staatliche Subventionen umgewandelt werden sollten. Funktional seien sie das eigentlich sowieso schon, so seine Begründung. Eine Neuregelung im Sinne einer allgemeinen staatlichen Religionssubvention aber brächte die Möglichkeit, in größerem Umfang auch andere Religionsgemeinschaften zu fördern. Damit, so Waldhoff, könnte verhindert werden, dass die gesetzlichen Bestimmungen in Sachen Staatsleistungen als ein "Abwehrbollwerk der einstigen Volkskirchen gegen ,nachgeborene' Religionsgemeinschaften werden, gewissermaßen als ,Vergeldlichung' des kulturalistischen Topos vom ,christlichen Abendland'." Dabei ist Waldhoff durchaus der Meinung, dass regelmäßige finanzielle Leistungen an die Kirchen angebracht sind, denn sie seien "zivilitätsstiftend". Nur sollten sie eben auch anderen Religionen offenstehen, doch dass geht nur, wenn die staatlichen Zahlungen nicht mehr an Rechtstitel aus lang vergangenen Zeiten gebunden sind. Ob diese Sichtweise, die einen Systemwechsel impliziert, mehrheitsfähig ist und zur Grundlage einer allgemeinen Gesetzgebung werden könnte, erscheint fraglich. Aber Waldhoffs erfrischende Gedanken könnten in unserer Gesellschaft eine Debatte darüber auslösen, was ihr die Religionsgemeinschaften im Lande buchstäblich wert sind. Diese Debatte wird sowieso kommen - früher oder später.

Reinhard Mawick

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