Die Daten der Anderen

Warum der Bundesinnenminister keinen Migrationshintergrund hat
Foto: dpa_Infografik
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Wie viele Menschen mit Migrationshintergrund leben in Deutschland? Wer zählt dazu? Wie ist ihr sozialer und gesetzlicher Status? Fragen und Antworten zu einem heiß diskutierten Thema.

Das Spektrum der Einwanderer in Deutschland ist groß. Sei begegnen uns in der Bundesregierung ebenso wie in der Fupballnationalmannschaft, im Fernsehen und im Flüchtlingsheim. Ebenso vielfältig sind die Gefühle, die das Thema Einwanderung bei den Einheimischen auslöst. Deshalb zu Anfang ein kühler Blick in die Statistik.

Wieviele Einwanderer leben in Deutschland?

Um diese Frage zu beantworten, muss zunächst geklärt werden, wer als Einwanderer definiert wird. Denn es gab im Laufe der Geschichte zahlreiche Einwanderungswellen nach Deutschland, und die Nachkommen der Hugenotten, die im 17. Jahrhundert aus Frankreich flohen, leben ebenso seit langem integriert wie die Enkel und Ur-Enkel ehemals polnischer Bergarbeiter im Ruhrgebiet. Wohl niemand würde Bundesinnenminister Thomas de Maizière noch zur Gruppe der Einwanderer zählen, aber was ist mit den Fußballnationalspielern Lukas Podolski oder Mesut Özil, die den Weltmeistertitel für Deutschland holten? Beendet die deutsche Staatsbürgerschaft den Einwanderungsstatus? Und was ist mit den Flüchtlingen?

Um das Problem zu lösen, wird in offiziellen Statistiken, wie etwa dem Mikrozensus, seit 2005 der Begriff "Menschen mit Migrationshintergrund" benutzt. Er bezeichnet "alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil". Folgt man dieser Definition, leben laut Mikrozensus 2013 etwa 16,5 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland, was einem Anteil an der Bevölkerung von rund 20 Prozent entspricht. Der überwiegende Teil (9,7 Millionen) besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. Ein Drittel der Menschen mit Migrationshintergrund ist in Deutschland geboren, zwei Drittel haben eigene Migrationserfahrung.

Woher stammen sie?

Die meisten Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland sind in der Türkei geboren oder haben mindestens einen Elternteil, bei dem dies der Fall ist. 2,8 Millionen Menschen zählen zu dieser Gruppe. Polen (1,6 Millionen Menschen) liegt bei den Herkunftsländern an zweiter Stelle, es folgen Russland (1,2 Millionen), Kasachstan (0,9 Millionen) und Rumänien (0,6 Millionen). Diese Reihenfolge ändert sich jedoch, wenn man die aktuellen jährlichen Zuwanderungsstatistiken betrachtet. Die türkische Community wächst nicht mehr, die aktuell meisten Einwanderer stammen aus Ost- und Südosteuropa. Dieser Trend wird sich aber voraussichtlich durch die aktuellen Flüchtlingszahlen verändern, denn die meisten der rund eine Million Menschen, die im vergangenen Jahr über das Asylverfahren und die Genfer Flüchtlingskonventionen nach Deutschland eingereist sind, stammen aus Syrien.

Wie ist ihr sozialer Status?

Selbstverständlich ist diese Fragestellung viel zu allgemein, denn in allen sozialen Gruppen Deutschlands dürften sich Menschen mit Migrationshintergrund finden lassen. Kinder von Einwanderern und Flüchtlingen begegnen uns in Spitzenstellungen in der Politik, Kultur, Sport oder in der Wirtschaft. Doch mit Blick auf den statistischen Durchschnitt lassen sich folgende Aussagen treffen: Zunächst einmal sind sie mit einem Durchschnittsalter von 35 Jahren elf Jahre jünger als diejenigen ohne Migrationshintergrund, was mit Blick auf den demographischen Wandel und einer alternden Gesellschaft von Bedeutung ist.

Problematisch ist allerdings, dass es mit Blick auf die Stellung von Migranten im Bildungssystem noch immer deutliche Unterschiede gibt. Etwa 15 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund haben keinen Schulabschluss, bei denen ohne Migrationshintergrund sind es zwei Prozent. 45 Prozent haben keinen berufsqualifizierenden Abschluss, womit die Quote fast doppelt so hoch liegt wie bei dem anderen Teil der Bevölkerung (20 Prozent).

Das hat Auswirkung auf die Beschäftigungssituation: Der Anteil der Erwerbslosen oder nur in einem Minijob Beschäftigten liegt bei Menschen mit Migrationshintergrund fast doppelt so hoch wie bei denen ohne Migrationshintergrund. Der Anteil der Arbeiter und Arbeiterinnen liegt ebenfalls fast doppelt so hoch, Angestellte und Beamte mit Migrationshintergrund sind deutlich seltener. Wenn also Einwanderer die negativen Folgen des demographischen Wandels abfedern sollen, muss das deutsche Schul- und Ausbildungssystem weiter reformiert werden.

Wie ist die Gesetzeslage?

Der allergrößte Teil der hier lebenden Menschen mit Migrationshintergrund, rund 11,5 Millionen Menschen, stammt aus Ländern, die zur Europäischen Union gehören. Für sie gilt das so genannte Freizügigkeitsrecht, wonach Unionsbürger in den Mitgliedstaaten der EU ein Recht auf Ausreise aus ihrem Herkunftsmitgliedstaat und auf Einreise und Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat haben. Bedingung ist, dass sie an ihrem neuen Wohnort als Arbeitnehmer oder Selbstständige im Wirtschaftsleben erwerbstätig, auf Arbeitssuche sind oder über ausreichende Existenzmittel und ausreichenden Krankenversicherungsschutz verfügen. Das Freizügigkeitsrecht gilt auch für begleitende oder nachziehende Familienangehörige.

Für die anderen, die aus einem sogenannten Drittstaat außerhalb der EU einreisen und dafür ein Visum benötigen, gilt seit 2004 das sogenannte Aufenthaltsgesetz, das zwischen einer Aufenthalts- und einer Niederlassungserlaubnis unterscheidet. Die Aufenthaltserlaubnis ist befristet und wird für Ausbildung, Erwerbstätigkeit oder aus familiären Gründen erteilt. Eine Niederlassungserlaubnis ist zeitlich und räumlich unbeschränkt. Sie wird demjenigen gewährt, der seit fünf Jahren eine Aufenthaltsgenehmigung hat, für seinen eigenen Lebensunterhalt und den seiner Angehörigen sorgen kann und über ausreichende Deutschkenntnisse verfügt.

Für Hochqualifizierte, also Personen mit Hochschulabschluss oder vergleichbarer Qualifikation, gibt es die so genannte BlueCard, die zunächst auf vier Jahre befristet ist, aber auch unbefristet ausgegeben werden kann. Voraussetzung für die BlueCard ist aber neben dem Hochschulabschluss die Vorlage eines Arbeitsvertrages oder eines verbindlichen Angebotes und ein Mindestbruttogehalt von 48.400 Euro, bzw. 37.752 Euro für Mathematiker, Ingenieure oder Ärzte. Familienangehörige dürfen nachziehen. Knapp 19.000 Ausländer aus Nicht-EU-Ländern leben auf dieser Grundlage in Deutschland. Mit dieser Regelung sollen seit 2012 hochqualifizierte Fachkräfte nach Deutschland beziehungsweise in die EU gelockt werden. Allerdings werden neun von zehn in der EU ausgegebenen BlueCards in Deutschland ausgegeben, die anderen Staaten setzen weiterhin auf nationale Anwerbeinstrumente.

Die rund eine Millionen Flüchtlinge, die im vergangenen Jahr nach Deutschland kamen, können über das Asylrecht oder die Genfer Flüchtlingskonvention ein Bleiberecht oder eine Duldung in Deutschland erhalten, in der Regel zunächst für drei Jahre. Dieses Bleiberecht kann verlängert oder in ein dauerhaftes Recht umgewandelt werden, sollte sich danach die Situation in ihrem Heimatland nicht geändert haben. Auch ein abgelehnter Asylbewerber kann eine Duldung bekommen, wenn eine Abschiebung in sein Herkunftsland nicht möglich ist. Diese kann immer wieder verlängert werden, aber auch irgendwann enden. Diese sogenannte "Kettenduldung", die einen Zeitraum von mehreren Jahren umfassen kann, ist für die Betroffenen oft sehr problematisch, weil die Abschiebung stets als Damoklesschwert droht und es ihnen nur unter bestimmten Bedingungen erlaubt ist zu arbeiten.

Es gibt in Deutschland 77 befristete und 15 unbefristete sogenannte Aufenthaltstitel, also unterschiedliche rechtliche Status, mit denen Einwanderer in Deutschland leben können. Experten halten das für zu kompliziert und fordern ein neues Einwanderungsrecht. Die Debatte darüber wird derzeit in der Politik geführt.

Literatur

Karl-Heinz Meier-Braun: Einwanderung und Asyl. Die 101 wichtigsten Fragen. C. H. Beck Verlag, München 2015, 160 Seiten, Euro 10,95 (Rezension siehe Seite 62).

Stephan Kosch

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