Ein stetes Verhandeln

Was Integration in der postmigrantischen Gesellschaft bedeuten kann
Hier wird die bunte Republik Deutschland zelebriert: Karneval der Kulturen in Berlin. Foto: dpa
Hier wird die bunte Republik Deutschland zelebriert: Karneval der Kulturen in Berlin. Foto: dpa
"Der Fremde kommt nach Deutschland und muss sich anpassen und einfügen." Diesem platten Muster folgen noch immer viele Diskussionen über Integration von Migranten. Doch diese Vorstellung ist überholt, macht Damian Ghamlouche, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung, deutlich. Statt dessen gehe es darum, Konzepte für die postmigrantische Gesellschaft zu entwickeln.

Der Sommer 2015 war durch eine erhebliche Solidarität mit Geflüchteten geprägt; es herrschte Euphorie, Empathie und Optimismus. Als aber immer mehr Menschen kamen, die vor Krieg, Repressalien und Ausgrenzung flohen, kippte diese Stimmung. Es wurde ein Ausnahmezustand konstruiert, dessen mentale Ikonographie aus Bildern wie "Lawinen von Menschen" (Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble) bestand. Während die Medien lange das Credo der Bundeskanzlerin Angela Merkel, also ein "Wir schaffen das" vermittelten, beschwor csu-Vorsitzender Horst Seehofer Bilder von "muslimischen, jungen Männern", die das Land überrennen, die wie eine selbsterfüllende Prophezeiung das Scheitern der historischen Aufgabe der "Flüchtlingskrise" evozieren. Die terroristischen Anschläge des so genannten Islamischen Staates (IS) in Paris vom November 2015 schüren ebenso die Ängste vor muslimischen Geflüchteten, wobei oft der Islam unreflektiert mit den Taten des IS gleichgesetzt wird, was zu einer weiteren Erhöhung der Islam- und Muslimfeindlichkeit führen kann. Andere Anschläge des IS wie in Beirut zwei Tage vor denen in Paris werden in den Medien vergleichsweise marginal verhandelt. Dabei sind es genau diese menschenverachtenden Taten des IS in der Region, die Menschen - die als muslimisch wahrgenommen werden oder Muslime sind - zur Flucht zwingen. Mittlerweile wird in Deutschland sogar über eine Obergrenze der Aufnahme von Geflüchteten gesprochen, was dem Grundrecht auf Asyl widerspricht. Migration wird also derzeit vor allem als Krise, Ausnahmezustand oder Gefahr diskutiert. Tatsächlich ist Migration allerdings ein historischer Normalfall. Auch in der jüngsten deutschen Geschichte - bis auf die Phase der nationalsozialistischen, totalitären Herrschaft - sind Migrationsströme keine Ausnahme, sondern eher die Regel. Deutschland ist auch nach dem Zweiten Weltkrieg durch Migrationsströme geprägt: Vertriebene, so genannte Gastarbeiter, Aussiedler, Kriegsflüchtlinge oder Hochqualifizierte sind nur einige Stichpunkte dieser Migrationsbewegungen (siehe auch S. 24 ff). Das Selbstverständnis Deutschlands scheint sich jedoch nur langsam anzupassen, und das Bekenntnis der Bevölkerung zum "Einwanderungsland Deutschland" erfolgt nur zögerlich. Dennoch ist diese Normalität bei vielen Menschen bereits angekommen, wie aktuell nicht nur die vielen Ehrenamtlichen in der Arbeit mit Geflüchteten zeigen. Vor allem soll aus der Vergangenheit gelernt und mehr in die Integration von Geflüchteten investiert werden. Doch was bedeutet eigentlich Integration, und warum wird der Begriff vor allem auf Menschen angewendet, die nach Deutschland kommen? Dem in Deutschland vorherrschenden Verständnis von Integration liegt bis heute die Vorstellung einer Kerngesellschaft zugrunde, an welche sich Einwanderer oder Migranten anzupassen haben. Dadurch ist der Integrationsbegriff selbst zu einem Integrationshemmnis geworden und zu einem umkämpften Begriff. Vertreter der kritischen Migrationsforschung distanzieren sich zunehmend vom Integrationsbegriff, da dieser die Vorstellung transportiert, Integration sei vornehmlich eine Aufgabe von Migranten und nimmt die Aufnahmegesellschaft nicht in die Pflicht.

Einseitige Bringschuld

Die Verzahnung der Begriffe Migration und Integration verweist die Gruppe der Migranten und deren Nachkommen auf einen Platz außerhalb des deutschen Kollektivs und geht davon aus, dass es eine deutsche Kerngesellschaft gebe, die bereits im Gegensatz zu den Migranten integriert sei. Es sind diese gesellschaftspolitischen Verhandlungen und Integrationsdiskurse, die um die Themen kollektive Zugehörigkeit und nationale Identität kreisen und Außenseiter der Gesellschaft (re)-produzieren. Die Integrationsforscherin Naika Foroutan, Professorin am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung, hat darauf hingewiesen, dass der Begriff "Integration" bereits in der Weimarer Republik verwendet und vor allem durch die "Integrationslehre" des Staats- und Kirchenrechtlers Rudolf Smend vertreten wurde. Er bezog sich damit aber nicht auf die Integration von Migranten, sondern auf das Zusammenspiel aller Bürger und dem Staat: "Es ist vor allem diese übergeordnete Botschaft der Smendschen Integrationslehre, nämlich dass eine Gesellschaft, um eine Gemeinschaft zu werden, einen von allen Bürgern geteilten Sinn und eine Vision von Integration brauche, die rückblickende Kritik hervorruft. Wir wissen heute, dass sich diese von Smend als übergeordnete Idee - also als Metanarrativ (auch Großerzählung genannt) - eingeforderte nationale Vergemeinschaftung im Verlauf der Geschichte zunehmend zu einer Ideologie entwickelte, der sich die Bürger Deutschlands zwischenzeitlich absolut unterordneten." (Foroutan 2015) Die allgemeine Wortbedeutung von Integration im soziologischen Sinn meint den Prozess des Zusammenfügens und bezieht sich auf die Gesamtgesellschaft. Im öffentlichen Diskurs wurde Integration hingegen zunehmend mit Assimilation gleichgesetzt. Die positive Konnotation von Integration als allgemeiner Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt ist somit der negativen Wahrnehmung einer einseitigen Bringschuld gewichen. Das Integrationsverhalten der migrantischen Gruppe wird vornehmlich anhand eines Modells gemessen, das der Mannheimer Soziologie-Professor Hartmut Esser in den Achtzigerjahren in Anlehnung an den US-amerikanischen Sozialwissenschaftler Milton Gordon für den deutschen Raum übernommen hatte. Trotz Kritik und Modifikation, vor allem im US-amerikanischen Forschungsraum, aber auch durch ihn selbst, bleibt es politikleitend, vielfach auch forschungsleitend. Besonders in der quantitativen Forschung (statistische Verfahren) wird dieses Modell konsequent angewendet. So erfolgen die Messungen zur Integration von Personen mit Migrationshintergrund vor allem anhand folgender vier Parameter: Die strukturelle Integration misst vor allem Bildungs- und Arbeitsmarktdaten, aber auch politische Partizipation. Soziale Integration misst hauptsächlich Nachbarschafts- und Freundschaftsverhältnisse sowie interethnische Partnerschaften, aber auch Kriminalitätsdaten. Kulturelle Integration misst den Sprachstand, die Religiosität sowie die Werteorientierung, etwa im Falle der Muslime anhand des Kopftuchs oder der Partizipation am Schwimmunterricht. Emotionale Integration misst die Identifikation mit dem Einwanderungsland als Heimat, allerdings auch Diskriminierungs- und Fremdheitserfahrungen. Dieses Paradigma denkt Integration in den bereits beschriebenen Strukturen fort: Es geht von einer bestehenden Aufnahmegesellschaft aus, die Migranten einseitig motiviert, sich in sie zu integrieren. Als besonderes Hindernis werden bestimmte religiöse oder kulturelle Andersartigkeiten gedeutet. Durch das Schaffen einer imaginären großen Einheit und eines defizitären kleinen Außen wird eine Zielperspektive beschrieben, die immer wieder diejenigen, die als Außen imaginiert werden, als Nachzügler beschreibt, ganz gleich, ob sie schon in Deutschland leben oder als Kinder von Zugewanderten bereits hier geboren sind. Der Blick wendet sich ab von der Struktur als Ganzes, welche letztlich aber verantwortlich ist für die Barrieren innerhalb der Gesellschaft. So wird mangelnde Integration zu einem kulturellen Problem umdefiniert, statt eine strukturelle Barriere zu benennen. Problematisch an dieser Kopplung des Integrationsbegriffes an den Migrationsbegriff ist zudem, dass sie Einwanderer nie in der Gesellschaft ankommen lässt. Sie bleiben über Generationen hinweg "die Anderen". Daher lehnen immer mehr Personen der zweiten und dritten Generation die Kategorien Einwanderer, Migranten, Migrationshintergrund ab. Durch die Verknüpfung des Integrationsbegriffs mit Migrationsprozessen wurden zudem zentrale gesellschaftliche Gruppen aus dem Integrationsprozess herausgedacht: abgehängte, ethnisch deutsche Unterschichten, die desintegriert, teilweise ohne Arbeit und ohne Anschluss an Zukunftsperspektiven, den Wandel des Landes nicht begreifen - ebenso wie etablierte Eliten, die Angst vor Verteilungskämpfen haben. Ihre Ängste vor Veränderung und Vorbehalte gegenüber Einwanderern bezeichnet der Migrationsforscher Klaus Bade etwa als "Kulturangst". Die Integration dieser Gruppen in die heterogene Gesellschaft ist nicht erfolgt. Es wurde angenommen, dass die Einheimischen sich an die Einwanderer gewöhnen würden, sobald sich letztere integriert hätten. Im Laufe der Zeit würden so auch Rassismus und Diskriminierung automatisch eingedämmt. Neuere Ansätze, zum Beispiel die Arbeiten an dem Konzept der postmigrantischen Gesellschaften, verarbeiten das Konzept der Integration grundlegend anders. Postmigrantische Gesellschaften stellen sich einer gesellschaftlichen Realität, die stets unter identitären Aushandlungen, Verteilungskämpfen und Konflikten ihr Selbstverständnis verhandelt. Postmigrantisch meint, dass die erfolgte Migration von Akteuren der Politik, Wissenschaft und Öffentlichkeit als unausweichlich und nicht veränderbar anerkannt wurde und trotzdem Migrationsbewegungen weiterhin erfolgen. Das führt zu einem neuen Integrationsverständnis: "Integration wird somit zur Aufgabe der gesamten Bevölkerung, für die der Staat die Strukturen bereitstellen muss. Gleichzeitig ist Integration (...) selbst ein sinnstiftendes Metanarrativ mit Ausblick auf eine zukünftige Gestaltungsmöglichkeit der heterogenen postmigrantischen Gesellschaft, das aus den Teilsegmenten und Zielformulierungen der Teilhabe, Partizipation, Chancengleichheit und Zugehörigkeit zusammengesetzt ist. (...) Die Großerzählung "Integration" lautet dann, dass es gelingt, in einer zunehmend heterogenen Gesellschaft Zugehörigkeit und Identifikation für alle Bürger zu schaffen und zwar für jene, die sich an dieses bunte Deutschland nicht gewöhnen können, ebenso wie für Neu-Bürger und dies über das Rechtliche und Individuelle hinaus." (Foroutan 2015) Mit dem Erstarken von rechtspopulistischen und rechtsextremen Bewegungen wie Pegida, Pro Deutschland oder der afd neben anderen rechten Gruppen wie der NPD und den Neuen Rechten sieht sich die Gesellschaft einer zunehmenden desintegrativen Kraft ausgesetzt, die vermehrt auf Phänomene der Migration Bezug nimmt. Die platten Rufe nach "Ausländer raus" sind längst einer ausgefeilten Rhetorik gewichen, die bestehende Überfremdungsängste von Teilen der Bevölkerung aufgreifen. Wenn aber Migration als globalisiertes Phänomen Normalität ist, dann sind nationale Abschottung, homogene Kulturvorstellungen und blanker Rassismus die eigentlichen desintegrativen Prozesse, die die Gesellschaft bedrohen. Somit muss sich das Integrationsverständnis grundlegend ändern und in postnationale, postmoderne und postmigrantische Kontexte übersetzt werden. Literatur

Naika Foroutan: Die Einheit der Verschiedenen. Integration in der postmigrantischen Gesellschaft. In: focus Migration Nr. 18, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2015. Christine Riegel: Integration - ein Schlagwort? Zum Umgang mit einem problematischen Begriff. In: Karin Sauer/ Josef Held (Hg.): Wege der Integration in heterogenen Gesellschaften - Vergleichende Studien. Wiesbaden 2009. Hartmut Esser: Aspekte der Wanderungssoziologie. Assimilation und Integration von Wanderern, ethnischen Gruppen und Minderheiten. Eine handlungstheoretische Analyse, Luchterhand Verlag, Darmstadt/Neuwied 1980.

Damian Ghamlouche

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