Gewissen sticht Lehre

Die Äußerungen des Papstes zum Abendmahl haben Sprengkraft
Hoher Besuch am 15. November 2015: Papst Franziskus in der lutherischen Christuskirche zu Rom. Foto: epd/ Paolo Galosi
Hoher Besuch am 15. November 2015: Papst Franziskus in der lutherischen Christuskirche zu Rom. Foto: epd/ Paolo Galosi
Bei seinem Besuch in der lutherischen Gemeinde in Rom äußerte sich Papst Franziskus zum Thema Abendmahl. Die Lehre ist nachrangig, nur das Gewissen zählt! Sensationell, meint Paul Metzger, Catholica-Referent am Konfessionskundlichen Institut in Bensheim.

Die beste Ökumene ist die Ökumene der Begegnung. Wenn man sich kennt und versteht, verurteilt man sich nicht. Dann ist man gemeinsam auf dem Weg. Selbst wenn das Ziel unbekannt oder nur zu erahnen ist, die Gemeinschaft auf dem Weg macht selbst den schwierigsten Weg erträglich. Und manchmal wird das Ziel erst auf dem Weg deutlich. Wie weit darf man aber gehen? Und wer beantwortet diese Frage? Und muss man sich an die Antwort halten?

Auf die Frage einer evangelischen Christin, die mit einem Katholiken verheiratet ist, antwortete Papst Franziskus bei seinem Besuch der evangelisch-lutherischen Gemeinde am 15. November 2015 in Rom bezüglich der Abendmahlsteilnahme in konfessionsverbindenden Ehen mit erstaunlich offenen Worten, die in verschiedenen Perspektiven aufhorchen lassen.

Zuerst ist erstaunlich, wie weit der Papst diese Frage in die persönliche Entscheidung des einzelnen Christen legt: "Ein Glaube, eine Taufe, ein Herr, so sagt uns Paulus, und daraus ziehen Sie dann die Konsequenzen! (...) Ein Glaube, eine Taufe, ein Herr. Sprechen Sie mit dem Herrn, und schreiten Sie voran!" Man kann diese Aussage nun in den theologischen Rahmen und die pastorale Praxis der römisch-katholischen Kirche einordnen und zu Recht behaupten, dass der Papst nur das ausspricht, was generell schon Usus ist. Dass es keinen Ärger an der Kommunionsbank geben soll, dass man niemanden abweisen sollte, der um den Empfang der Hostie bittet. Dass es im Glaubensgehorsam auch eine Zustimmung des Verstandes geben muss. Dass es immer auf das Gewissen des Einzelnen ankommt. Dass - und darum geht es letztlich - Gewissensentscheidung und offizielle Lehre nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen.

Diese Position, die in der theologischen Ausbildung der römisch-katholischen Kirche in Deutschland bereits gelehrt wird und bei führenden katholischen Ökumenikern schon seit langem in der Schublade liegt, aber bislang keine öffentliche Bestätigung seitens der Deutschen Bischofskonferenz erfahren hat, bekommt nun neuen Schwung. Es ist also richtig, dass der Papst nichts fundamental Neues äußert. Und doch übersieht diese Position: Manchmal ist es nicht dasselbe, wenn zwei das Gleiche sagen.

Es wirkt ungemein sympathisch, wenn Papst Franziskus von sich sagt, dass er "wie ein Pfarrer" Papst sein will. So seine Antwort auf die Frage eines Neunjährigen, was Franziskus am liebsten als Papst tue. Doch ist es eben ein nicht zu verwischender Unterschied, wenn der Bischof von Rom, mit der ihm eigenen Vollmacht, das Gleiche offiziell tut und sagt, was ein beliebiger Priester lediglich im Rahmen seiner pastoralen Klugheit geschehen lässt. Auch kann der Papst sich für gewisse Äußerungen schwerlich von seinem Amt selbst dispensieren. Ähnlich wie im Vorwort des Jesus-Buches von Joseph Ratzinger/Benedikt xvi. ist es theologisch schwierig, wenn ein Papst sich nicht als Papst äußern will. Eine gewisse Rollenkonfusion geht damit einher. Insofern verschiebt Franziskus mit seinen Äußerungen doch die Akzente. Denn eigentlich regelt die Lehre klar: "Katholische Spender spenden die Sakramente erlaubt nur katholischen Gläubigen; ebenso empfangen diese die Sakramente erlaubt nur von katholischen Spendern." (Codex Iuris Canonici C. 844 §1) Lediglich in bestimmten Notsituationen kann es Ausnahmen geben, die vom Diözesanbischof definiert werden müssen. Bislang scheiterte aber der verschiedentlich vorgetragene Vorschlag, die konfessionsverschiedene Ehe (trotz ihrer sakramentalen Struktur) als einen besonderen ("Not"-)Fall anzusehen, in dem die gemeinsame Kommunion möglich wäre.

Gewisse Rollenkonfusion

Die Worte des Papstes deuten in der konkreten Situation nun aber darauf hin, sich diese besondere Situation selbst attestieren zu können. Die Frage ist also: Ist diese Aufforderung generell für alle Menschen gültig, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden? Stellt die Selbstprüfung des Einzelnen damit das entscheidende Kriterium dar? Dies würde in der Lehre bedeuten, dass das potentiell problematische Verhältnis zwischen Gewissensentscheidung und gläubigen Gehorsam zugunsten des Gewissens entschieden werden müsste. Damit würde die Pastoralkonstitution des 2. Vatikanischen Konzils, Gaudium et Spes, mit ihrer Hochschätzung des Gewissens (GS 16-17) höher bewertet als die Forderung nach Gehorsam im Glauben, die das Kirchenrecht so bestimmt: "Was die geistlichen Hirten in Stellvertretung Christi als Lehrer des Glaubens erklären oder als Leiter der Kirche bestimmen, haben die Gläubigen im Bewusstsein ihrer eigenen Verantwortung in christlichem Gehorsam zu befolgen." (cic c. 212 §1)

Praktisch heißt dies wiederum, dass der einzelne Christ in seinem Gewissen entscheiden darf, ob er an der Kommunion teilnimmt oder nicht. Ob man diesen Umstand dann von Seiten der zum Tisch des Herrn ladenden Kirche als "eucharistische Gastfreundschaft" oder als "punktuelle Teilhabe" oder als "temporär begrenzte Gemeinschaft" bezeichnet, kann als sekundäres Problem angesehen werden. Wichtig ist, dass auf der Ebene der persönlichen Entscheidung die Tür für eine gemeinsame Mahlfeier geöffnet wurde. Wenn diese in der eigenen Verantwortung liegt, darf sich offensichtlich der Gläubige über den Gehorsam hinwegsetzen. Damit ist die in Deutschland in der Praxis oft anzutreffende Haltung der Gläubigen nun auch durch den Papst bestätigt.

Zweitens ist nachdenkenswert, welchen Stellenwert Franziskus der Lehre zubilligt. Sie sei ein "schwer zu verstehendes Wort", sie könne denen überlassen werden, die sich damit auskennen. So sympathisch diese Stellungnahme in ihrer Selbstbescheidung anmutet, so nimmt man doch verwundert zur Kenntnis, dass gerade der, der die Lehre letztgültig normiert, sie lieber anderen überlassen möchte. Die Aussage, dass er keine "Kompetenz" habe, die gemeinsame Feier des Herrenmahls zu erlauben, erstaunt ebenso bei der Machtfülle des Papstamtes. Doch stimmen diese eher verwunderlichen Aussagen mit seiner Ansicht überein, dass "das Leben größer als die Erklärungen und Interpretationen" der Lehre ist, dass die Wirklichkeit über der Idee steht, wie er bereits in seinem Lehrschreiben "Evangelii gaudium" (231) geschrieben hat. Das Leben ist größer als die Theologie. Deshalb setzt Franziskus nicht auf die Lehre und sieht offensichtlich auch keine Notwendigkeit, sie zu ändern. Sie scheint für den Papst nicht so wichtig. Auf dieser Linie liegt auch eine Äußerung von ihm, die er dem chilenischen Portal Reflexión y Liberación zufolge im Rahmen einer Privataudienz mit sechs führenden Mitgliedern der Lateinamerikanischen Religiösen-Konföderation gemacht haben soll: "Macht euch keine Gedanken, wenn dann ein Brief von der Glaubenskongregation kommt, sie hätte dies und jenes angeordnet. Macht euch keine Sorgen. Erklärt ihr, was ihr erklären müsst, aber geht weiter." Geht weiter! Das Anliegen des Papstes ist klar: "Mir ist eine Kirche lieber, die mal einen falschen Schritt tut, als eine, die vor lauter Abgeschlossenheit krank wird!" Die Abwertung der Lehre zugunsten der pastoralen Praxis zeigt deutlich, dass Franziskus die ökumenischen Lehrgespräche nicht als die eigentliche und wirkungsvolle Triebfeder der Ökumene sieht, sondern die Begegnung als die Quelle weiterer Fortschritte erkennt. Die Lehre und ihre trennenden Auswirkungen können offensichtlich deshalb zugunsten einer praktischen Teilhabe vernachlässigt werden.

Drittens betont der Papst, was in seinen Augen wichtiger ist als alle Lehrunterschiede: "Wenn wir dieselbe Taufe haben, müssen wir gemeinsam gehen." Auf die Taufe kommt es an. Damit greift der Papst Gedanken des Zweiten Vatikanischen Konzils auf, die in den Augen der ökumenischen Institute von Straßburg, Tübingen und Bensheim bereits 2003 zur Einsicht führten: "Die Taufe ist das Tor zur Gemeinschaft der Kirche, dem Leib Christi, der im Abendmahl je neu konstituiert wird." Der Papst fährt fort: "Wenn Sie gemeinsam beten, wächst diese Taufe, wird stark; wenn Sie Ihre Kinder lehren, wer Jesus ist, warum Jesus gekommen ist, was Jesus getan hat - dann machen Sie dasselbe, sei es in lutherischer oder in katholischer Sprache, aber es ist dasselbe." Die Unterschiede in den Konfessionen sind also nur noch sprachliche, der Inhalt ist derselbe.

Diese Aussage unterstreicht, dass der Papst weiter ist als seine Dogmatiker und Cheftheologen. Die Ökumene scheint nicht das dringendste Problem, sie scheint für ihn auf der praktischen Ebene schon so weit gelöst zu sein, dass er andere Aufgaben für die Kirche sieht, vor allem den Dienst für Arme, Flüchtlinge und alle Menschen, die Not leiden. Nimmt man das Gewissen des Einzelnen als entscheidende Instanz des christlichen Lebens tatsächlich ernst, dann können sich die Kirchen wirklich gegenseitig in versöhnter Verschiedenheit stehen lassen und sich gegenseitig Gastfreundschaft und Gemeinschaft gewähren. In diesem Sinn ist vielleicht die Aussage von Franziskus zu verstehen, dies sei "die Stunde der versöhnten Verschiedenheit"!

Am Ende stimmt hoffnungsfroh, dass Franziskus den bekannten Gedanken aufgreift, wonach das Herrenmahl Stärkung auf dem Weg ist, nicht allein die Siegesfeier im Ziel der Ökumene. Mit diesem Gedanken lässt sich nämlich die Not der Menschen lindern, die in ganz besonderer Weise von der Trennung am Tisch des Herrn betroffen sind und von denen die konkrete Frage in dieser konkreten Situation des Besuchs gestellt wurde. Sie leben in der Familie die Einheit der Kirche vor. Diesen macht der Papst Hoffnung und mit ihnen auch der gesamten ökumenischen Bewegung.

Und wenn er bei seinem Besuch dann noch als Gastgeschenk einen Abendmahlskelch mitbringt, das Geschenk also, das er auch bei einem Besuch einer römisch-katholischen Diözese mitbringt, dann ist der Wunsch des Papstes nach einer weitergehenden Gemeinschaft sehr deutlich.

Der Besuch des Papstes zeigt also: Wer dem Anderen freundschaftlich begegnet, kann ihn nicht von seinem Tisch ausladen, ohne dem eigenen christlichen Gewissen zu schaden. Es kommt darauf an, gemeinsam auf dem Weg zu sein und diesen Weg so weit zu gehen, wie es das eigene Gewissen zulässt.

Paul Metzger

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