Eigene Wege gehen

Ein Gespräch mit dem muslimischen Theologieprofessor Mouhanad Khorchide über die historische Sicht auf den Koran und über die Existenz Gottes
Foto: privat
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Christen und Muslime dürfen sich auf keinen Fall von Terroristen gegeneinander ausspielen lassen. Doch in Sachen Organisation sollten islamische Glaubensgemeinschaften andere Wege gehen als die christlichen Kirchen, meint der islamische Theologieprofessor Mouhanad Khorchide aus Münster.

zeitzeichen: Wenige Tage nach den Pariser Anschlägen vom 13. November haben Sie zusammen mit dem Religionswissenschaftler Detlef Pollack vom Exzellenzcluster Religion und Politik der Universität Münster eine Erklärung unter dem Titel "Toleranz muss Muslime und Nichtmuslime verbinden" veröffentlicht. Was hat Sie dazu bewogen?

Mouhanad Khorchide: Es ist die Absicht der Terroristen, die Gesellschaften in Europa zu spalten, indem sie diffuse Ängste vor dem Islam schüren und darauf hoffen, dass Muslime diskriminiert werden, damit diese sich dann als Konsequenz in einer angeblichen Opferrolle bestätigt fühlen. Uns war klar: Muslime versus Nichtmuslime in Europa - das dürfen wir nicht zulassen, denn dann haben die Terroristen ihr Ziel erreicht, nämlich Hass in unseren Gesellschaften zu säen und daraus resultierend eine erleichterte Rekrutierung von Gewalttätern für ihre Zwecke.

Immer wieder klagen Muslime darüber, dass sie für Gewalttaten islamistischer Extremisten in Mithaftung genommen werden. War das nach den jüngsten Anschlägen von Paris auch wieder so?

Mouhanad Khorchide: Es wird schon erwartet, dass Muslime sich distanzieren. Was ich aber seit dem 11. September 2001 immer stärker wahrnehme ist, dass sich die Mehrheitsgesellschaften in Europa stärker differenzieren. Die Muslime werden eben nicht unter Generalverdacht gestellt. Dies alles relativiert die angebliche Grenzlinie zwischen Muslimen und Nichtmuslimen, die den Terroristen so wichtig ist. Es wird deutlich, dass die Grenzlinie zwischen friedlichen Menschen und Terroristen verläuft und nicht zwischen den Angehörigen verschiedener Religionen beziehungsweise Weltanschauungen. Diese Entwicklung zu mehr Differenzierung ist hoffnungsvoll - nicht nur im Zusammenhang mit islamistischen Attentaten, sondern auch bei der Bekämpfung antiislamischer Bewegungen wie zum Beispiel PEGIDA.

Im Jahr 2013 hat der Koordinationsrat der Muslime in Deutschland (KRM) ein Gutachten gegen Sie erstellen lassen, in dem Ihnen vorgeworfen wird, in Ihrem Buch "Islam ist Barmherzigkeit" machten Sie es sich zu einfach. Befinden Sie sich mit den Verfassern dieses Gutachtens im Gespräch? Hat inzwischen eine Annäherung stattgefunden?

Mouhanad Khorchide: Das grundsätzliche Problem dieses Gutachtens ist, dass es nicht von Theologen verfasst ist. Im ersten Teil des Gutachtens wehrt sich ein Politikwissenschaftler dagegen, die historisch-kritische Methode auf den Koran anzuwenden. Da kann ich nur sagen: Wenn wir den Koran nicht in seinem historischen Kontext verorten, um ihn heute zeitgemäß auslegen zu können, dann dürfen wir uns nicht über IS und andere Extremisten beklagen, denn die nehmen den Koran ja wortwörtlich - das ist ein Problem. Wenn das Gutachten nun fordert, ich solle den Koran auch wortwörtlich verstehen, dann besteht die Gefahr, dass wir die Ideologie des IS auch an unseren Ausbildungsstätten für islamische Geistliche und Religionslehrer salonfähig machen.

In dem Gutachten wird Ihnen indirekt vorgeworfen, dass Sie hermeneutische Methoden vertreten, die auch in der christlichen Theologie Bedeutung haben.

Mouhanad Khorchide: Hermeneutik, die Lehre vom Verstehen, ist eine Wissenschaft, die religionsunabhängig ist. Die Väter der modernen Hermeneutik, unter anderem Friedrich Schleiermacher und Hans-Georg Gadamer, haben diese Methoden nicht entwickelt, um sie primär auf die Bibel anzuwenden, sondern um philosophische Diskurse zu ermöglichen. Es ist wichtig für die islamische Theologie in Deutschland, wissenschaftliche Methoden zu verwenden, wenn sie sich in Deutschland auf Augenhöhe im akademischen Diskurs etablieren will. Das heißt nicht, dass wir alles eins zu eins übernehmen, aber wir müssen prüfen, wie diese Methoden auch für die islamische Theologie nutzbar gemacht werden können.

Was können Sie als islamischer Theologe über die Existenz Gottes sagen?

Mouhanad Khorchide: Gott ist das Unbedingte - wir Menschen sind das Bedingte. Insofern ist Gott dem Verstand unbegreiflich, denn das Bedingte kann nicht behaupten, es habe das Unbedingte begriffen. Wenn behauptet wird, dass Gott mit der Vernunft erkannt werden kann, dann sprechen wir nicht mehr von Gott, sondern von etwas anderem. Um die Frage zu beantworten, wie Gott ist, bin ich angewiesen auf die Offenbarung, damit ich Gott aus meiner islamischen Perspektive besser verstehen kann. Aber der Verstand stößt da an Grenzen, und das ist nicht nur im Islam so.

Immer wieder wird die Forderung erhoben, die Muslime in Deutschland müssten sich gemäß des Deutschen Religionsverfassungsrechtes organisieren. Ist das in Ihren Augen sinnvoll?

Mouhanad Khorchide: Es wäre meines Erachtens ein starkes Zeichen der Anerkennung des Islam in Deutschland, wenn man ihm die Möglichkeit eröffnet, einen eigenen Weg zu gehen und nicht die Strukturen der christlichen Kirchen auf den Islam überträgt, und immer fragt: Wo ist eure Kirche? Muslime können aus ihrem Selbstverständnis heraus nicht nachvollziehen, dass sie irgendwo Mitglied sein müssen, um Muslim zu sein. Natürlich ist es wichtig, dass Muslime gewisse Strukturen bekommen, damit sie einen Rechtsanspruch auf das Betreiben von Seelsorge, zum Beispiel in Krankenhäusern, haben. Bisher gibt es da nur die Möglichkeit, das alles ehrenamtlich zu machen. Wir sollten in Deutschland, wie in Österreich, über ein Islamgesetz nachdenken, das spezifisch auf die Besonderheiten des Islam und Bedürfnisse der Muslime eingeht.

Das Gespräch führte Reinhard Mawick am 30. November 2015.

Mouhanad Khorchide (Jahrgang 1971) ist seit 2010 Professor für Islamische Religionspädagogik am Zentrum für Islamische Theologie der Universität Münster. 2012 erschien sein Buch "Islam ist Barmherzigkeit" und im Oktober 2015 "Gott glaubt an den Menschen - Mit dem Islam zu einem neuen Humanismus".

Mouhanad Khorchide

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