Plädoyer

Evangelisch: Mehr Bildung nötig
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Das Buch ist daran interessiert, ein aktuell reformatorisch wirkendes evangelisches Bildungsverständnis zu (re-)konstruieren.

Es ist ein eindringliches Plädoyer für eine Neufassung des evangelischen Bildungsverständnisses, das der Tübinger Theologieprofessor Friedrich Schweitzer in seiner Interpretation des Bildungserbes der Reformation vorlegt. Dabei verliert er sich nicht in der Exegese von Luthers Schriften, sondern zieht die großen Linien reformatorischer Orientierungen sowie ihrer Wirkungsgeschichten innerhalb von Theologie und Pädagogik durch die entstehende Moderne bis in die Gegenwart. Dennoch verzichtet Schweitzer nicht darauf, diese Neuformulierung eines evangelischen Bildungsverständnisses als ein solches auszuweisen, das an reformatorische Traditionen durchweg anschließt, sich ihnen treu verbunden weiß und gerade darin erfreulich gegenwartsbezogen vorgeht. So wird im Vorjahr des 500-jährigen Jubiläums der Reformation keine hagiographische Luther-Rezeption unternommen oder etwa der Eindruck hinterlassen, dass zu reformatorischen Zeiten alles besser war: der Glaube tiefer, das Engagement höher. Das Buch ist im Gegensatz hierzu, wenn nötig, reformations- und traditionskritisch und zugleich daran interessiert, ein aktuell reformatorisch wirkendes evangelisches Bildungsverständnis zu (re-)konstruieren.

Neugefasst werden müsse vor allem der Horizont, in dem Kirche und Theologie Bildung verstehen. Bislang werde sie zu sehr in der Schule lokalisiert. Schweitzer differenziert zwischen formalen, also schulischen, dann informellen, gleichsam unbewusst ablaufenden Bildungsprozessen sowie nicht-formaler Bildung. Es gelte gerade Letztere stärker zu profilieren; sie sei sowohl in Kirchengemeinden als auch in weiteren kirchlichen Bildungseinrichtungen zu lokalisieren; ihr Pfund sei es, nicht obligatorisch zu sein, sondern freiwillig aufgesucht zu werden. Hierfür gebe es viele verschiedene Bedarfe, insofern verschenke die Kirche Bildungsgelegenheiten, wenn sie sich allein auf Seelsorge und Verkündigung konzentriere.

Drei Felder, die Schweitzer im Rahmen seiner Kartografie des Bildungserbes der Reformation hervorhebt, seien zumindest kurz benannt: Er fordert eine Transformation im Bereich des Menschenbildes innerhalb von Kirche und Theologie. Dieses müsse dazu beitragen, dass die Würde des Menschen auch in Erfahrungen von Behinderung geschützt werde. Inklusion sei reformatorischen Kirchen aus eigener Tradition aufgegeben.

Das alte Thema des Verhältnisses von Glaube und Wissen erhalte gerade angesichts von religiösem Fundamentalismus neue Bedeutung; dafür zu sorgen, dass Menschen ihren Glauben bilden, dass sie in ihrer eigenen Wahrnehmung Glaube und Wissen miteinander zu versöhnen wüssten, werde zur unverzichtbaren Aufgabe. Nicht zuletzt gebe es einen neuen gesellschaftlichen Bedarf an religiöser Bildung, die Schweitzer im Bereich interreligiöser Kompetenzen und beruflicher Handlungsfähigkeit in religionspluralen Kontexten lokalisiert.

Kapitel eins startet mit geschichtlichen Ausgangspunkten, Kapitel zwei entfaltet Bildung als Markenzeichen des neuzeitlichen Protestantismus, in Kapitel drei werden Herausforderungen für ein evangelisches Bildungsverständnis in der Gegenwart aufgrund von empirischen und bildungswissenschaftlichen Grundlagen formuliert; Kapitel vier ist der bereits angesprochenen Neufassung des evangelischen Bildungsverständnisses gewidmet. In Kapitel fünf werden zwanzig Thesen unter dem Motto „Das reformatorische Bildungserbe erneuern“ geboten.

Das Buch erscheint in einer Phase, in der das Reformationsjubiläum Interesse für Luther und die Bildung schafft. Es liefert eine gute Grundlage für Diskussionen um die Zukunft evangelischer Traditionen. Sowohl für das Studium Evangelische Religion und Evangelische Theologie wie für Bildungsveranstaltungen in Kirchengemeinden und anderen kirchlichen Netzwerken ist es hervorragend geeignet. Die Lektüre macht deutlich: Es gibt profilierte Gründe, evangelischerseits wieder mehr auf Bildung zu setzen.

Ilona Nord

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