Hinter Plexiglas

Ein namibischer Bischof sucht Anregungen in Wilhelmshaven
Foto: epd
Fotos: epd
Die deutschsprachige lutherische Kirche in Namibia möchte ein Heldendenkmal aus deutscher Kolonialzeit umgestalten. Ihr Bischof Burgert Brand sammelte dazu Anregungen in einer Kirche in Wilhelmshaven, die in besonderer Weise von der Vergangenheit geprägt ist.

So kalt ist es in Namibia nie: Eisiger Wind empfängt Bischof Burgert Brand, als er am späten Vormittag in Wilhelmshaven aus dem Zug steigt. Frühmorgens hat Brand die Synode der EKD in Magdeburg verlassen, um sich auf eine besondere Mission zu begeben. Gut vier Stunden ist er durch schneebedeckte Landschaften gefahren, um an der Nordseeküste Inspiration zu finden für die schwere Aufgabe, vor der seine Kirche, die deutschsprachige Evangelisch-lutherische Kirche in Namibia, in den kommenden Monaten steht. In der Christuskirche inmitten von Namibias Hauptstadt Windhoek gibt es eine wuchtige Gedenktafel, auf der über 2?000 Namen von Mitgliedern der deutschen Schutztruppe verzeichnet sind. Die meisten von ihnen fielen vor gut einhundert Jahren im Krieg gegen die afrikanischen Völker der Herero und der Nama. Damals hieß das Land „Deutsch-Südwestafrika“ und war Kolonie des deutschen Kaiserreiches.

In Wilhelmshaven an der Nordsee gibt es auch eine Christuskirche, genauer eine „Christus- und Garnisonkirche“. Und in ihr ist auch ein Denkmal zu finden, das dem Gedenken an die Gefallenen des Kolonialkrieges in der Heimat Burgert Brands vor über hundert Jahren gewidmet ist. Es ist eine Marmortafel, und sie trägt die Überschrift „Dem Andenken der während des Aufstandes in Deutsch-Südwest-Afrika 1904-07 Gefallenen und Gestorbenen“. Darunter finden sich 32 Namen mit dazugehörigem Dienstgrad, zum Beispiel „Obermatrose“, „Signalmaat“ oder „Seesoldat“. Es ist nicht die einzige Marmortafel in der Kirche, auf der Gefallenennamen stehen, aber als einzige ist sie verändert. Über die gesamte Fläche der Tafel ist eine Plexiglasplatte angebracht, eine Art zweite Ebene, die die Geschichte der Opfer erzählt, die auf dem Marmor aus Kaiserzeit verschwiegen werden: In die Umrisse der Landkarte von „Deutsch-Südwest“, dem heutigen Namibia, ist eine Fotografie eingetragen, auf der ausgehungerte Hereros zu sehen sind, und in großen goldenen Lettern sind die Sätze zu lesen: „Wenn sie an einen Sandbrunnen kamen und es gab Wasser, dann tranken die Krieger. Die Frauen tranken nicht, damit die Krieger Kraft hätten zu kämpfen. Und wenn sie Hunger hatten, sagten die Männer zu den Frauen: ,Das Kind kann ruhig sterben. Ich muss aus deiner Brust die Milch saugen, denn ich kann nicht anders, damit ich kämpfen kann.‘“ Als Quellenangabe steht darunter: „Bei den Hereros in Namibia überliefert“.

Verstörende Sätze

Das Bild und die verstörenden Sätze auf dem Plexiglas erinnern an eine furchtbare Zeit, als deutsche Soldaten unter dem Befehl des Generalleutnants Lothar von Trotha 1904 und 1905 einen wahren Vernichtungsfeldzug gegen die Hereros führten, der als erster Völkermord der neueren Geschichte gilt.

Als sich im Jahre 2004 der Hererokrieg zum einhundertsten Mal jährte, beschloss die Gemeinde der Wilhelmshavener Christus- und Garnisonkirche die Gedenktafel umzugestalten. Es gab damals viele Diskussionen, erinnern sich die beiden Pastoren Bernd Busemann und Frank Morgenstern, die Bischof Brand an diesem Tag empfangen und die Kirche zeigen, denn das neue Plexiglas überdeckt die Namen der Gefallenen. Aber Diskussionen sind die beiden Pfarrer gewöhnt, die sich schon lange mit der militärischen Geschichte ihrer Kirche auseinandersetzen und sie an vielen Stellen umgestaltet haben, um sie so zu einem Ort lebendiger Erinnerung zu machen.

Um 2004 machte sich auch die Gemeinde in Windhoek erstmals Gedanken, ob und wie sie mit der Gedenktafel in ihrer Christuskirche verfahren sollen. Vor einigen Jahren erhielten die Windhoeker über den württembergischen Landesbischof Frank Otfried July, der seit 2010 einer der Vizepräsidenten des Lutherischen Weltbundes ist, Kunde von dem Denkmal in Wilhelmshaven, später auch Bilder. Und nun nutzte Bischof Brand die Gelegenheit, dass er als ökumenischer Gast der Magdeburger Synode - zumindest von Namibia aus gesehen - in der Nähe von Wilhelmshaven war, um die Tafel an Ort und Stelle zu betrachten. Er zeigt sich beeindruckt, aber natürlich kann und will man das Konzept nicht einfach kopieren.

Dass es in Windhoek auch eine Plexiglaskonstruktion geben soll, ist klar, aber welcher Text soll drauf? Nur so etwas wie „Nie wieder!“? Das erscheint Brand zu wenig. Es sollte möglichst auch etwas Tröstliches sein, etwas, das in die Zukunft weist.

Die Zeit drängt, denn im Mai des kommenden Jahres ist seine Kirche mit den beiden anderen lutherischen Kirchen in Namibia Gastgeberin der Zwölften Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes (siehe zeitzeichen 11/2016). Wenn dann viele ökumenische Gäste aus aller Welt die Christuskirche in Windhoek besuchen, sollte die Veränderung an der wuchtigen Tafel fertig sein. Der Besuch im hohen Norden war für den Afrikaner eine Anregung. Die rechte Eingebung muss noch folgen.

Weitere Informationen zur Christus- und Garnisonkirche in Wilhelmshaven
Weitere Informationen zur Evangelisch-Lutherischen Kirche in Namibia (DELK))

Reinhard Mawick

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