Aus drei mach eins
Krankenschwester, Altenpfleger, Kinderkrankenschwester – diese Berufsbezeichnungen soll es nach dem Willen der Bundesregierung in zwei Jahren nicht mehr geben. So sieht es die Reform der Pflegeausbildung vor, die in Berlin auf dem Programm steht. Union und spd haben verabredet, aus den drei Berufen einen zu machen. Mitte Januar billigte das Bundeskabinett den Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Hermann Gröhe ( CDU ) und Familienministerin Michaela Schwesig ( SPD ). Er ist nun auf dem Weg durch Bundesrat und Bundestag und soll bis zur Sommerpause verabschiedet werden.
Von 2018 an sollen Krankenschwestern und Altenpfleger Pflegefachfrauen oder Pflegefachmänner heißen – egal wo sie arbeiten, ob in der Klinik oder im Altenheim. Dem Gesetzentwurf zufolge soll es nur noch einen Berufsabschluss und eine einheitliche Ausbildung geben. Aber in der Branche und in der Opposition ist das Vorhaben umstritten. Die Kritiker fürchten, die Altenpflege könnte ins Hintertreffen geraten.
Die zuständigen Minister Gröhe und Schwesig versprechen sich hingegen von der Vereinheitlichung der Ausbildung ein höheres Interesse am Pflegeberuf. Zusätzliche Fachkräfte werden dringend gebraucht, weil die Gesellschaft in den kommenden Jahrzehnten massiv altert und die Demenzkranken besser versorgt werden sollen. Eine generalistische Ausbildung eröffne angehenden Pflegekräften ein breites Berufsfeld und langfristig eine bessere Bezahlung, argumentieren Gröhe und Schwesig. Mit dem Gesetz wird auch das Schulgeld endgültig abgeschafft und ein Pflegestudium eingeführt. Während Schwesig die Aufwertung des Frauenberufs Pflege hervorhebt, weist Gröhe darauf hin, dass Pflegekräfte in Krankenhäusern und Altenheimen zunehmend vor ähnlichen Herausforderungen stünden: In den Altenheimen liegen immer mehr schwerkranke Menschen – in den Krankenhäusern wiederum steigt die Zahl der Alten, die dement oder pflegebedürftig sind.
Die einheitliche Ausbildung soll drei Jahre dauern – oder fünf Jahre in Teilzeit. Die Schülerinnen und Schüler sollen eine „angemessene“ Ausbildungsvergütung bekommen. Bisher zahlen sie in einigen Bundesländern immer noch Schulgeld für die Pflegeschule, in der sie die Hälfte ihrer Ausbildungszeit verbringen. Das wird abgeschafft.
Voraussetzung für die Ausbildung ist der erweiterte Hauptschulabschluss oder eine zehnjährige Schulausbildung. Wer nach neun Jahren Schule eine Pflegeausbildung machen will, muss schon eine Berufsausbildung hinter sich haben. Pflegehelfer und Pflegehelferinnen können die Ausbildung zur Pflegefachfrau oder zum Pflegefachmann in zwei Jahren absolvieren. Nach einigen Jahren Berufserfahrung ist es möglich, ein Pflegestudium anzuschließen – so können künftige Pflegekräfte von der Hauptschule bis an die Hochschule kommen.
Dem Entwurf zufolge sollen Pflegekräfte erstmals mit dem Jahrgang 2018 nach der neuen Ausbildungsverordnung lernen, für die bisher nur Eckpunkte vorliegen. Der Bundesrat hat aber schon eine Verschiebung auf 2019 empfohlen.
Die Mehrausgaben für die Modernisierung der Ausbildung betragen dem Gesetzentwurf zufolge 300 Millionen Euro im Jahr. Die Ausbildung soll künftig durch eine Umlage von den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen sowie von den Krankenkassen und erstmals auch aus Mitteln der Pflegekassen finanziert werden. Die Länder bleiben für die Pflegeschulen zuständig. Einige haben bereits Ausbildungsumlagen eingeführt, allerdings nur für die Altenpflege.
Bisher ist die Ausbildung in der Altenpflege komplett eigenständig. Die Auszubildenden in der Kinderkrankenpflege hingegen absolvieren 3?400 Ausbildungsstunden in der allgemeinen Krankenpflege. Im dritten Ausbildungsjahr werden die speziellen Kenntnisse für die Kinderkrankenpflege in 1?200 Ausbildungsstunden vermittelt. Künftig wird sich der Einsatz im Ausbildungsbetrieb deutlich reduzieren – auf etwa halb so viele Stunden wie bisher, weil die Pflegeschülerinnen ihre Praxis-Einsätze in allen Bereichen haben werden: im Krankenhaus, in der Alten- und in der Kinderkrankenpflege.
Mangel an Fachkräften
Nach Angaben der Bundesregierung werden gegenwärtig jedes Jahr rund 110?000 Fachkräfte in der Alten- und Krankenpflege ausgebildet. Zugleich fehlen aber weitere 130?000 Pflegekräfte. Wenn sich nichts ändert, könnten es in 15 Jahren bis zu dreimal so viele sein. In der Branche arbeiten rund eine Million Menschen.
Aus Sicht des Patienten- und Pflegebeauftragten der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU), gibt es gute Gründe, die Ausbildung zu vereinheitlichen. Jedes Jahr steigt die Zahl der Pflegebedürftigen um zwei bis drei Prozent von gegenwärtig 2,8 Millionen bis auf voraussichtlich doppelt so viele im Jahr 2050. Laumann zufolge müssen allein in der Altenpflege jedes Jahr 20?000 Pflegekräfte neu hinzukommen, damit die alten Menschen versorgt werden können.
Für den bodenständigen Westfalen, der früher Sozialminister in Nordrhein-Westfalen war, ist die größte Herausforderung deshalb die Frage, wo die Pflegekräfte herkommen sollen. Von einer generalistischen Ausbildung verspricht er sich eine Aufwertung und Stärkung der Berufsgruppe gegenüber Ärzten und anderen Gesundheitsberufen, die die Pflege attraktiver macht. „Für mich ist dieses Gesetz ein unbedingtes Muss“, sagt Laumann, der die Kampagne „Generalistik jetzt!“ gestartet hat. Unterstützt wird er von zahlreichen Verbänden, darunter der Deutsche Pflegerat, Diakonie und Caritas sowie weitere Wohlfahrtsverbände, der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe und Pflegewissenschaftler.
Auch die spd steht hinter dem Gesetzentwurf, während es in Laumanns eigener Partei grummelt. Der Pflegeexperte der Unionsfraktion Erwin Rüddel wendet sich inzwischen gegen die Einheitsausbildung, und auch von Fraktionschef Volker Kauder heißt es, er sei nicht wirklich überzeugt. Die Grünen und die Linksfraktion lehnen den Gesetzentwurf ab. Sie fürchten eine schlechtere Versorgung von Patienten und Pflegebedürftigen sowie sinkende Ausbildungszahlen.
Überzeugt werden müssen auch die rot-grünen Länder im Bundesrat. Denn ohne deren Zustimmung kann das Pflegeberufsgesetz nicht in Kraft treten. Der Bundesrat hat den Entwurf im ersten Durchgang beraten und viele Änderungswünsche angemeldet. Der wichtigste ist, dass die Länderkammer eine Verschiebung der Reform auf 2019 verlangt, damit die Länder genügend Zeit für die Umstellung bekommen.
Den Einwänden Nordrhein-Westfalens, das die Gesetzgebung vorläufig aussetzen will, folgt eine Mehrheit der Länder aber nicht. Auch ein Rechtsgutachten im Auftrag der Düsseldorfer Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne), wonach Teile des Pflegeberufegesetzes verfassungswidrig sein sollen, beeindruckte die Länderchefs nicht besonders. Steffens zweifelt daran, dass der Bund über die Finanzierung der Pflegeausbildung entscheiden darf, obwohl die Länder sie umsetzen müssen.
Die Argumente aus Düsseldorf sollten indes nicht vom Tisch gewischt werden. Nordrhein-Westfalen ist es gelungen, die Zahl der Schul- und Ausbildungsplätze in der Altenpflege in den vergangenen fünf Jahren um 75 Prozent zu steigern. Das Land hat das Schulgeld abgeschafft und eine Ausbildungsumlage eingeführt, an der sich alle Pflegeeinrichtungen beteiligen müssen. Aus dem gemeinsamen Topf werden die Ausbildungskosten refinanziert, so dass Ausbildungsbetriebe gegenüber denen, die nicht ausbilden, nicht länger im Nachteil sind. Dies hat laut Steffens nicht nur zu deutlich mehr Ausbildungsplätzen geführt, sondern auch dazu, dass kleine Betriebe in die Ausbildung eingestiegen sind. Diese Erfolge sieht die grüne Ministerin durch die Berliner Pläne nun gefährdet.
Die Gesetzespläne benachteiligten ambulante Pflegedienste gegenüber Krankenhäusern und großen Pflegeeinrichtungen und könnten dazu führen, dass sie aus der Ausbildung wieder aussteigen. Ein solches Risiko einzugehen, „halte ich für grob fahrlässig“, sagt Steffens. Ihre Forderung nach einem Moratorium wird unterstützt vom Bündnis für Altenpflege, Kinderärzte-Verbänden, der Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie sowie pflegenden Angehörigen, Pflegeeinrichtungen und zahlreichen Einzelpersonen.
Kritik kommt auch von den Arbeitgebern in der Pflege. Besonders vernehmlich meldet sich der Bundesverband der Anbieter sozialer Dienste ( BPA ) zu Wort, der nach eigenen Angaben rund 9000 Pflegeheime- und -dienste vertritt mit rund 275?000 Beschäftigten. Präsident Bernd Meurer sagt, viele Abgeordnete in der Koalition stünden der Generalistik inzwischen ablehnend gegenüber. Daran hat sein Verband keinen geringen Anteil: Die BPA -Mitgliedseinrichtungen bearbeiten die Abgeordneten in ihren Wahlkreisen, sich für den Erhalt der Altenpflegeausbildung einzusetzen.
Die privaten Pflegeanbieter stört, dass die Azubis künftig nur halb so viele Stunden bei ihnen arbeiten und lernen sollen. Zugleich erhöht sich für Heime und Pflegedienste der Organisationsaufwand, weil sie die diversen Praxiseinsätze der Schülerinnen und Schüler koordinieren müssen. Das könnten kleine Pflegedienste nicht leisten, sagt Meurer.
Die privaten Arbeitgeber in der Altenpflege fürchten aber nicht nur, dass sich der Fachkräftemangel weiter verstärkt, sondern auch, dass sie ihren Beschäftigten mehr Geld zahlen müssen. Altenpflegerinnen verdienen rund ein Viertel weniger als Krankenschwestern. Und das wäre kaum noch berechtigt, hätten beide die gleiche Ausbildung und denselben Abschluss. Darüber sprechen die Pflege-Arbeitgeber und auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände allerdings nur ungern. In ihren offiziellen Verlautbarungen fällt dazu kein Wort.
Auch die Gewerkschaften sehen die Reformpläne nicht ohne Sorge. Der Deutsche Gewerkschaftsbund ( DGB ) sieht die Gefahr einer Schmalspurausbildung, die „die Berufsfähigkeit gefährdet“. Die generalistische Ausbildung orientiere sich zu sehr an den Erfordernissen der Krankenpflege, heißt es in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf. Der dgb empfiehlt eine integrierte Ausbildung: Zwei Jahre lang könnten die Pflegeschülerinnen und -schüler gemeinsam lernen, dann sollen sie sich spezialisieren können. Bei den drei Berufsabschlüssen aber solle es bleiben.
Information
Mehr zum Thema und Links zum Gesetzentwurf und zu den Eckpunkten für eine Ausbildungs- und Prüfungsverordnung finden sich im Internet unter www.bmfsfj.debmfsfj/aeltere-menschen,did=194274.html
Bettina Markmeyer