Vermächtnis

Musik im Dialog
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Ehrenforths Werk ist eine Bilanz seiner jahrzehntelangen Beobachtungen und Erfahrungen – und zugleich sein Vermächtnis.

Karl-Heinrich Ehrenforth, Doyen der musikpädagogischen Forschung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ist ein facettenreiches Buch gelungen. Er geht dem Musikver-stehen auf den Grund und versucht auf vielfältige Art und Weise, Wege dahin aufzuzeigen. Den Leser erwartet eine Tour d’Horizon zwischen Musikpädagogik, Musik- und Literaturwissenschaft, Anthro-pologie, Philosophie und Theologie. Unterschiedliche Textsorten lockern die Darstellung auf: Essay und wissenschaftliche Abhandlung haben ebenso ihren Platz wie (fiktive) Interviews und selbstkriti-sche Reflexionen. Auch interessierte Laien dürften das Buch mit Gewinn lesen, denn schon eingangs spricht der Autor mutig von seinem Versuch, „die deutsche Wissenschaftssprache aufzumischen“. „Durch unser Gehör nehmen wir wahr, was die Musik allein uns sagt. Unser Ohr ist ihr Mund.“ Schöner und tiefsinniger kann es nicht ausgedrückt werden. Be-merkenswert: Mit diesem Zitat des Komponisten Wolfgang Rihm beruft sich Ehrenforth auf einen Kronzeugen des zu behandelnden Themas. Das Hören wird vor allem im Zusammen-spiel von Tun und Hören wichtig. Daraus entwickelte sich ein in der Musikpädagogik viel diskutierter Streitpunkt: Handlungsorientierung versus Hörerziehung? Ehrenforth leugnet nicht die Bedeutung der Tradition von Singen, Bewegung, Tanz und Instrumentalspiel, beklagt aber die Überbewertung der musikalischen „Aktion“.

Einen besonderen Stellenwert erhält der reformpädagogische Ansatz Leo Kesten-bergs. Dessen Konzept einer „Erziehung und Menschlichkeit mit und durch Musik“ habe, so Ehrenforth, eine musi-kalische Breitenwirkung intendiert, dessen Realisierung immer noch ein Desiderat sei. Heute trage das Angebot kultureller Vielfalt im schulischen Musikunterricht wenig zur Orientierung bei. Stärker noch: Ehrenforth beklagt den musikalischen Abbruch – auch in der Musikerziehung. Diese passe sich häufig der „Spaßgesellschaft“ an: „fetzige Spaßlieder“ und „selbst gebastelte Musicals“ hätten allerorten Hochkonjunktur, böten aber kaum die Chance zu einem „lebensbegleitenden Lied-schatz“. Ehrenforth: „Es kann nicht alles gültig sein, um es dann der Gleichgültigkeit zu überlassen.“ Sein Appell ist konsequent: keine Verharmlosung von Wertunterschieden, Einhaltung von Kriterien-maßstäben und die Akzeptanz eines umgrenzten Bildungskanons.

Das Schlusskapitel ist dann wahrlich ein großes Finale: Die Vorstellungen und Impulse für ein angemessenes Musik-Hören und -Verstehen werden anhand verschiedener, meist bekannter Werke der Musikliteratur aspektreich vorgestellt. Ehrenforths Werk ist eine Bilanz seiner jahrzehntelan-gen Beobachtungen und Erfahrungen – und zugleich sein Vermächtnis. Hören zu lernen ist für ihn eine wichtige Voraussetzung für das Musik-Verstehen. Der Dialog über die Musik hat kein Ende – er geht weiter…

Karl-Heinrich Ehrenforth: Hinhören, Zuhören, Durchhören.

Hochschule für Musik, Theater und Medien, Hannover 2014, 360 Seiten, Euro 24,90.

Ekkehard Popp

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