Die Mission war ein Segen

Gespräch mit Fidon Mwombeki, dem scheidenden Generalsekretär der Vereinten Evangelischen Mission und Mitglied des Rates der EKD, über seine Erfahrungen in Deutschland
Foto: epd/Friedrich Stark
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Selbst innerhalb derselben Konfession, zum Beispiel der lutherischen, gibt es zwischen Nord und Süd gewaltige Unterschiede. Aber sie müssten nicht zur Kirchenspaltung führen, meint Fidon Mwombeki. Die Missionierung seiner Heimat durch deutsche Missionare sieht er positiv, habe sie doch Menschen vom Aberglauben befreit.

zeitzeichen: Herr Dr. Mwombeki, Sie stammen aus Tansania, haben in den USA promoviert und sind Pfarrer in Schweden gewesen. Seit neun Jahren sind Sie Generalsekretär der Vereinten Evangelischen Mission, die ihren Sitz in Wuppertal hat, und seit sechs Jahren sind Sie Mitglied des Rates der EKD. Was ist Ihnen in den evangelischen Kirchen Deutschlands aufgefallen?

Fidon Mwombeki: Mir ist aufgefallen, dass die Beteiligung am kirchlichen Leben auch unter den Mitgliedern sehr gering ist. Mich schmerzt es, wenn ich Gottesdienste besuche und sehe, wie wenig junge Menschen, auch junge Familien, da sind. Nur bei Kirchentagen ist das erfreulicherweise anders.

In Tansania ist die Beteiligung der Kirchenmitglieder stärker.

Fidon Mwombeki: So ist es. In allen Kirchen, meiner eigenen, der evangelisch-lutherischen, aber auch in der römisch-katholischen und in den Pfingstkirchen sind die Menschen von ihrem Glauben begeistert und reden über ihn, auch öffentlich. Ob man mit dem Taxi oder dem Bus fährt, überall hört man christliche Musik.

Natürlich unterscheiden sich Deutschland und Tansania. Was können die deutschen Kirchen trotzdem von den tansanischen Kirchen lernen?

Fidon Mwombeki: Wir sind uns ja wohl einig, dass der Gottesdienst eine Feier ist. Und feiern ist eine fröhliche Sache. Aber davon spüre ich in deutschen Gottesdiensten wenig. Die Leute gehen zur Kirche, hören die Predigt, sprechen ein paar Gebete und singen ein paar Lieder und davon meist nur ein paar Strophen. Die Beteiligung der Gläubigen in den Gottesdiensten ist mir einfach zu gering.

Dabei können Deutsche doch Feste feiern und fröhlich sein.

Fidon Mwombeki: Ja, sie besuchen Konzerte, sitzen dort bis zu drei Stunden und gehen fröhlich raus. Oder denken Sie an die Stimmung, die in den Stadien bei den Fußballspielen herrscht. Warum das in der Kirche so anders ist, ist mir ein Rätsel.

Wer selber einmal in Afrika war und dort die fröhlichen Gottesdienste erlebt hat, kann Ihre Eindrücke und Gefühle nachvollziehen. Aber was können umgekehrt tansanische Kirchenleute von den deutschen lernen?

Fidon Mwombeki: Theologie. Wenn ich in Tansania Gottesdienste besuche, fehlen mir oft theologisch fundierte Predigten. Um es etwas zugespitzt zu formulieren: Deutsche Christen strahlen oft wenig Freude aus, aber ihre Theologie ist vernünftig, wenn auch manchmal vielleicht zu rational. Aber in Afrika würde ich mir, gerade wenn ich an die Pfingstkirchen denke, mehr Vernunft wünschen, das heißt, dass das, was gepredigt wird, auch theologisch begründet wird und nicht einfach nur die Bibel zitiert wird und Emotionen geweckt werden.

Zum Beispiel?

Fidon Mwombeki: Im März habe ich an einer theologischen Hochschule in Ruanda Vorlesungen gehalten. Ich bin dabei auch auf die Aufforderung Jesu zu sprechen gekommen, die das Matthäusevangelium überliefert: "Bittet, so wird euch gegeben." Ich habe die Studenten gefragt, ob das denn stimme, ob das auch ihre Erfahrung sei? Aber da habe ich wohl die falsche Frage gestellt. Denn die Studenten, von denen einige zu den Pfingstkirchen gehörten, haben gemeint, was in der Bibel stehe, dürfe man nicht hinterfragen. Wir haben darüber diskutiert, dass wir alle schon für vieles gebetet und sich unsere Anliegen nicht erfüllt haben. Ich habe den Studenten gesagt, dass die Menschen, die in der Kirche sitzen, solche und ähnliche Erfahrungen gemacht und Fragen haben. Und ich bin sicher, dass sie diese stellen und nicht einfach nur das akzeptieren, was der Pfarrer sagt.

Ist das, was Sie erzählen, nur ein Problem der Pfingstkirchen oder auch Ihrer eigenen Kirche, der evangelisch-lutherischen?

Fidon Mwombeki: In der evangelisch-lutherischen Kirche wird diskutiert. Die große Herausforderung für lutherische Theologen besteht darin, sich mit den Pfingstkirchen und charismatischen Bewegungen kritisch auseinandersetzen und deren Positionen zu hinterfragen, die in den Medien nämlich breiten Raum einnehmen.

Was ist das Problem?

Fidon Mwombeki: Die evangelisch-lutherische Kirche hat gut ausgebildete Theologen. Aber sie tun sich, auch aufgrund ihrer Prägung durch die europäische und amerikanische Theologie, schwer mit Fragen, die die Pfingstler und Charismatiker stellen, zum Beispiel wie und wo man den Heiligen Geist erfahren kann. Oder wo die Toten jetzt sind.

Wir haben Unterschiede zwischen den Kirchen und Theologen des Nordens und des Südens angesprochen. In der Vereinten Evangelischen Mission (VEM), deren Generalsekretär Sie sind, arbeiten deutsche, afrikanische und asiatische Kirchenleute zusammen. Klappt das?

Fidon Mwombeki: Ja. Es wundert mich, wie reibungslos wir zusammenarbeiten. Und das liegt daran, dass wir nicht über konfessionelle, dogmatische Themen diskutieren, zum Beispiel über das unterschiedliche Taufverständnis. Denn zu uns gehören Baptisten, die ja nur die Erwachsenentaufe praktizieren, und Methodisten, Lutheraner, Reformierte und Unierte, die auch Säuglinge taufen. Aber wir akzeptieren einander einfach.

Und Sie feiern zusammen Gottesdienst.

Fidon Mwombeki: Ja, und wir feiern gemeinsam Abendmahl, auch wenn sich unser Abendmahlsverständnis unterscheidet.

Heute trennen die Kirchen ja oftmals nicht so sehr unterschiedliche dogmatische Auffassungen. Viel stärker führen unterschiedliche ethische Auffassungen und eine entsprechende Praxis zu Auseinandersetzungen innerhalb der Konfessionen, aber gerade auch zwischen den Kirchen des Nordens und des Südens. Zu den Trägern der VEM gehört auch die hessen-nassauische Landeskirche. Und sie hat vor zwei Jahren, die gottesdienstliche Segnung gleichgeschlechtlicher Paare der Trauung gleichgestellt. Führt das in der VEM zu Problemen?

Fidon Mwombeki: Wir verzichten auf gemeinsame Stellungnahmen zu ethischen Problemen. Aber wichtig ist Transparenz, dass jede Kirche sagt, was sie macht. Und dann kann sich jeder dazu verhalten.

Aber es gibt doch afrikanische Kirchen, die die Gemeinschaft mit europäischen und nord-amerikanischen Kirchen aufkündigen wollen, wenn diese Homosexualität akzeptieren.

Fidon Mwombeki: Nicht in der VEM.

Der Bischofsrat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Tansanias hat vor fünf Jahren in Dodoma, der Hauptstadt Tansanias, erklärt, er würde den Austausch mit kirchlichen Mitarbeitern aus der Ökumene ablehnen, die für die Zulassung gleichgeschlechtlicher Ehen eintreten.

Fidon Mwombeki: Diese Erklärung ist als Protest zu verstehen gegen einen Druck aus dem Norden, den die tansanische Kirche empfunden hat. Auch in der VEM diskutieren wir strittige Themen. Aber wir machen das nicht öffentlich, sondern eröffnen die Möglichkeit, dass Kirchenleute, denen ein Problem auf den Nägeln brennt, dieses vertraulich diskutieren können. Wir nennen dies "Safe Space".

Geschützter Raum.

Fidon Mwombeki: Ja. Über solche Gespräche wird kein Protokoll erstellt. Und ähnliches geschieht auch, wenn tansanische Bischöfe mit europäischen Kollegen über strittige Fragen sprechen.

Sie sehen keine Gefahr, dass zum Beispiel der Lutherische Weltbund an der unterschiedlichen Einstellung seiner Mitgliedskirchen zur Homosexualität zerbricht, wenn die Diskussion in geschützten Räumen stattfindet?

Fidon Mwombeki: Da sehe ich keine Gefahr. Die Diskussion wird weitergehen, in den Kirchen - und in der Gesellschaft sowieso.

Das Wort "Mission" hat in Deutschland oft, selbst bei Kirchenmitgliedern, einen schlechten Ruf. Sie selber kommen aus einer Kirche, die aus der Missionstätigkeit deutscher Missionare hervorgegangen ist. Ist die Mission für Ihre Vorfahren ein Segen gewesen oder ein Fluch?

Fidon Mwombeki: Ein Segen. Und das hat die Nord-Ost-Diözese der evangelisch-lutherischen Kirche Tansanias, die ein Mitglied der VEM ist, erst kürzlich gewürdigt, als sie den Beginn der Mission durch deutsche Missionare vor 125 Jahren gefeiert hat. Ich würde die Deutschen, die die Mission so negativ sehen, gerne fragen, warum sie glauben, dass sie über die Folgen der Mission besser Bescheid wissen, als diejenigen, deren Vorfahren missioniert worden sind. Europa ist übrigens auch einmal Missionsgebiet gewesen Warum denken die Europäer eigentlich, dass das Christentum eine europäische Religion ist?

Worin besteht denn der Segen, der die Arbeit jener Missionare begleitet und den Missionierten zuteil geworden ist? Sind es die Errichtung von Schulen und Krankenhäusern oder auch die Befreiung von heidnischen Glaubensvorstellungen, zum Beispiel die Angst vor Geistern?

Fidon Mwombeki: Ich denke an die Befreiung von Traditionen, die Menschen versklavt haben.

Zum Beispiel?

Fidon Mwombeki: In manchen Regionen war es üblich, Zwillinge zu töten.

Zwillinge?

Fidon Mwombeki: Die Geburt von Zwillingen hat als Fluch gegolten. Außerdem haben die Menschen geglaubt, sie müssten selber etwas tun, um sich von Sünden zu befreien. Und da haben Menschen gerade die lutherische Botschaft von der Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnade und allein durch Glauben als Befreiung erfahren. Ich fürchte, dass die charismatische Bewegung die Menschen wieder versklavt, wenn sie überall eine Verfluchung von Menschen feststellt, und sie auffordert, in die Kirche zu kommen, damit die bösen Geister ausgetrieben werden. Die Botschaft, dass Jesus Christus alles für uns getan und uns so befreit hat, ist für uns zum Segen geworden, vielmehr als Schulen und Krankenhäuser, so wichtig die auch sind.

Begegnungen zwischen Kirchen des Südens und des Nordens finden bei ökumenischen Konferenzen statt und in Organisationen wie der Vereinten Evangelischen Mission. Aber mittlerweile gibt es in vielen deutschen Großstädten Gemeinden, die Einwanderer aus Afrika und Asien gegründet haben. Würden Sie sich eine bessere Zusammenarbeit oder gar Zusammenschlüsse von Gemeinden der Einwanderer und der Einheimischen wünschen?

Fidon Mwombeki: Nehmen wir das Beispiel einer Gemeinde koreanischer Lutheraner. Es reicht nicht, wenn diese in einer deutschen lutherischen Gemeinde nur zu Gast sind.

Sondern...

Fidon Mwombeki: Meine Heimatdiözese pflegt eine Partnerschaft mit der evangelisch-lutherischen Synode New Yorks. Zu ihr gehört auch eine Reihe lutherischer Einwanderergemeinden, die den Gottesdienst nicht wie die meisten lutherischen Gemeinden New Yorks auf Englisch oder in anderen europäischen Sprachen feiern, sondern in ihrer Muttersprache. Und so etwas würde ich mir auch in Deutschland wünschen. Deutsche Lutheraner würden dann ihre Gottesdienste zu einer bestimmten Zeit auf Deutsch feiern und - um beim erwähnten Beispiel zu bleiben - koreanische Lutheraner zu einer anderen Uhrzeit auf Koreanisch. Aber beide Gruppen würden eine Gemeinde bilden.

Und als solche zur jeweiligen Landeskirche gehören.

Fidon Mwombeki: Genau. Und deren Kirchenrecht würde natürlich für beide Gemeindeteile, für die gesamte Gemeinde gelten.

Ihre Zeit in Deutschland geht zu Ende. Am 1. Januar werden Sie als Direktor der Abteilung Mission und Entwicklung nach Genf zum Lutherischen Weltbund wechseln. Haben Sie hierzulande rassistische Vorurteile oder gar Beleidigungen erfahren?

Fidon Mwombeki: Ich persönlich nicht, aber meine Kinder und meine Frau.

Und wo?

Fidon Mwombeki: In der Schule, an der Universität, in Geschäften und im Bus. Aber ich sehe auch die Entschlossenheit vieler Deutscher gegen den Rassismus vorzugehen, und das freut mich. Außerdem ist Diskriminierung nicht nur ein deutsches Problem. Es gibt sie auch in Afrika, unter Afrikanern, wie vor einiger Zeit in Südafrika zu sehen war.

Der Lutherische Weltbund ist ein Bund selbstständiger Kirchen. Sollte aus ihm eine lutherische Weltkirche werden?

Fidon Mwombeki: Nein. Der Weltbund versteht sich als Gemeinschaft von Kirchen. Und das ist auch gut so. Sie wollen als unterschiedliche Kirchen zusammenarbeiten, gemeinsam missionarische Aufgaben übernehmen und dabei ihre unterschiedlichen Gaben fruchtbar machen.

In der Evangelischen Kirche in Deutschland, deren Rat sie angehören, sind lutherische, reformierte und unierte Kirchen zusammengeschlossen. Wäre es nicht sinnvoll, der Lutherische Weltbund und die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen würden das auf internationaler Ebene genauso machen und sich zu einem Evangelischen Weltbund zusammenschließen?

Fidon Mwombeki: Nein. Wir haben ja schon den Ökumenischen Rat der Kirchen, den Weltkirchenrat, dem Lutheraner und Reformierte angehören und andere Kirchen, die im Gefolge der Reformation entstanden sind, wie die anglikanische, die methodistische, die baptistische und so weiter. Dass sich nur Lutheraner und Reformierten zu einem eigenen Weltbund zusammenschließen, ist sehr deutsch gedacht.

Das Gespräch führten Reinhard Mawick und Jürgen Wandel am 2. Juli 2015 in Berlin.

Fidon Mwombeki ist Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche Tansanias. Er promovierte in den USA und war Austauschpfarrer im schwedischen Göteborg. Seit neun Jahren ist der 55-Jährige Generalsekretär der Vereinten Evangelischen Mission, die ihren Sitz in Wuppertal hat. Und seit sechs Jahren gehört er dem Rat der EKD an. Am 1. Januar zieht Mwombeki nach Genf und übernimmt im Lutherischen Weltbund die Leitung der Abteilung Mission und Entwicklung.

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