Die in den Niederlanden lebende Ayaan Hirsi Ali fordert, dass der Islam sich eine Scheibe von der protestantischen Reformation abschneiden möge. Sie zitiert Max Weber, der der protestantischen Ethik in Nordamerika und Europa einen "Geist des Kapitalismus" mit der Kraft zur Veränderung zugemutet hat. Muslime seien nicht zum wirtschaftlichen Misserfolg verdammt. In Indonesien und in Malaysia werde deutlich, "dass kapitalistische Ethik und Islam durchaus koexistieren" könnten.
Ayaan Hirsi hat einen großen Vorteil: Sie kann in dieses Buch eigene Erlebnisse einstreuen. Vor wenigen Jahrzehnten noch, als sie in Kenia ein Teenager von 16 Jahren war, habe sie an den Dschihad geglaubt. So wie junge Amerikaner sich voller Enthusiasmus dem Friedenscorps anschließen wollten, war sie bereit für den Heiligen Krieg. Das Konzept half ihr, eine bessere Muslimin zu werden. "Jedes Gebet, jeder Schleier, jedes Fasten, jede Anerkennung Allahs signalisierte mir, dass ich ein besserer Mensch war." Sie stellte sich die Suren aus dem Koran zusammen, die zum Kampf und zur Gewalt auffordern. Und die Autorin hat recht: Man kann nicht so tun, als hätten diese mit dem Islam nichts zu tun. Der Islam, der von diesen Dschihadisten vertreten wird, ist der Islam der Unbarmherzigkeit. Deshalb sagt sie klar und offen: Diese Menschen samt ihren Verführern sind Verbrecher.
Ayaan Hirsi Ali fordert für Muslime, die Teil einer demokratischen Gesellschaft werden wollen: Dass sie frei werden in dem, zu sagen, wie sie ihr Leben gestalten möchten, ob sie beten oder nicht, ob sie Muslime bleiben oder konvertieren. Der Islam, sagt Ayaan Hirsi, braucht einen Voltaire, der das Recht auf Widerspruch und Zweifel begründet, und er braucht einen John Locke. Der Islam erlebte ein Schisma, aber bisher nie eine Reformation.
Ihre fünf Thesen sind es alle wert, dass man sie in der muslimischen Welt diskutiert. So sollte der Koran offen interpretiert und kritisiert werden können. Das wird vielleicht ihr wichtigster Thesenanschlag werden. Die zweite These räumt dem Diesseits den Vorrang vor dem Jenseits ein. Die dritte Forderung wird für Orthodoxe schwierig sein: Begrenzt die Scharia und beendet ihren Vorrang vor dem weltlichen Recht. Eine weitere lautet: Der militärische Dschihad muss aufgegeben werden.
Das Buch durchzieht eine tiefe Sehnsucht und eine Forderung nach theologischen Antworten. Es ist eindrucksvoll, wie weit sich die Autorin weitergebildet und -entwickelt hat. Sie steht zu ihren eigenen Fehlern und wirkt dadurch überraschend souverän. Und sie ist immer dann sehr überzeugend, wenn sie Beispiele einbringt.
Ayaan Hirsi Ali: Reformiert euch! Warum der Islam sich ändern muss. Knaus Verlag, München 2015, 302 Seiten, Euro 19,99.
Rupert Neudeck