Pudding und Bilder

Protestanten können vom Friedenspreisträger Kermani lernen
Wir sollten uns daran erinnern lassen, dass Religion nicht allein eine Sache des Denkens und der Vermittlung von Inhalten ist.

Als Christ und evangelischer Theologe kann man sich nur darüber freuen, dass der Kölner Orientalist und Schriftsteller Navid Kermani am 18. Oktober den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhält. Der Muslim ist ein Vorbild dafür, wie man sich in eine andere Religion einfühlen und hineindenken kann, ohne dabei auf Kritik zu verzichten und das Eigene aufzugeben.

Dem katholischen Theologen und Journalisten Joachim Frank sagte er (in: "Wie kurieren wir die Kirche?", Dumont-Verlag): "Die Gastfreundschaft, die Wärme, ja die Liebe, die wir von katholischen Christen in persönlichen Begegnungen erfuhren, haben bei mir zu einer lebenslangen Loyalität, einer tiefen Sympathie für das Christentum geführt." Und der Intellektuelle erzählt rührend sympathisch, dass diese Liebe auch durch den Magen ging. So haben ihn die Nonnen in dem Krankenhaus, in dem sein Vater Arzt war, "jeden Tag mit Vanillepudding versorgt".

Während eines Studienaufenthaltes in Rom lernt Kermani die barocke Bilder-welt katholischer Kirchen kennen und schätzen. Dabei geht es ihm nicht um bloßen Genuss und eine Wohlfühlreligion, die die negativen Seiten des Lebens ausblendet. Im Gegenteil! In den Bildern Caravaggios entdeckt er die "Veranschaulichung des Verstörenden". So erfährt Kermani Ästhetik als eine "Bereicherung der Wahrnehmung".

Protestanten, gerade liberale, sollten sich von dem muslimischen Intellektuellen daran erinnern lassen, dass Religion "nicht allein" (!) eine "Sache des Denkens und der Vermittlung von Inhalten" ist. Vielmehr ergreife sie Menschen "auch über die sinnliche Wahrnehmung: Gebäude, Gewänder, Farben, Klänge, Gerüche, Körperhaltungen, Gebärden, Berührungen".

Protestanten, die Kermanis Analyse folgen, müssen nicht römisch-katholische Rituale nachäffen. Vielmehr sollten sie sich eigener Traditionen erinnern, die Wortlastigkeit konterkariert haben. Dazu gehören der Herrnhuter Pietismus wie die "ältere liturgische Bewegung". Deren Grundsatz "Unser Gottesdienst muss moderner werden" bedeutete ja nicht Verflachung und Formlosigkeit.

In neuester Zeit haben Impulse des Kirchentages die evangelischen Kirchen liturgisch bereichert. Das scheint Kermani entgangen zu sein, wie in einem Interview mit der Zeit deutlich wurde. So hat er "auf einem Forum des Kirchentages" wohl nur Politisches wahrgenommen. Und das empfand er als "eine Doppelung" dessen, "was uns der gesunde Menschenverstand ohnehin sagt".

Beim Reformationsjubiläum haben Protestanten keinen Grund, leisezutreten. Vielmehr sollten sie feiern, wie ihre Kirchen das Christentum bereichert haben. Aber genauso wenig dürfen sie Defizite übersehen. Auch hier sollten sie sich von Kermani ins Gewissen reden lassen. Er sieht bei den Reformatoren und in deren Gefolge bei den Aufklärern zwar "eine berechtigte Reaktion auf das Übermaß entleerter und veräußerlichter Formen". Aber: "Die Abwehr von Fehlentwicklungen zerstört auch etwas, was eigentlich bewahrenswert gewesen wäre."

Über das Wertvolle, das verloren ging, müssen Protestanten immer wieder diskutieren und dabei Einsichten katholischer Mitchristen und von Nichtchristen wie Navid Kermani bedenken und - auch beherzigen.

Jürgen Wandel

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