Wer sich noch an den "Fall Halbfas" erinnert, wird dieses Buch des bekannten katholischen Religionspädagogen (Jahrgang 1932) gespannt zur Hand nehmen. Und diese Erwartung wird nicht enttäuscht: Ein beträchtlicher Teil ist den damaligen Umständen der späten Sechzigerjahre gewidmet, als Hubertus Halbfas die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen wurde. Auch wer sich an die damaligen Zusammenhänge nicht erinnert, findet hier eine informative und, wie kann es anders sein, engagierte und anklagende Darstellung, auch mit bisher unveröffentlichten Dokumenten, die kein gutes Licht auf die katholische Kirche werfen. Dazu gehören aber auch Informationen, etwa über das Verhalten von Kollegen aus der katholischen Theologie, wie Hans Küng, von deren mangelnder Solidarität sich Halbfas bis heute zutiefst enttäuscht zeigt.
Doch enthält das Buch noch weit mehr. Einer klassischen Autobiografie entsprechen am ehesten die ebenfalls umfangreichen Schilderungen zu Herkunft und Leben in Drolshagen im Sauerland, das Hubertus Halbfas mit wenigen Unterbrechungen Heimat geblieben ist. So wundert es nicht, dass er dort am Ende sogar einen Heimatverein gegründet hat, dem er viele Jahre lang vorsaß.
Das dritteElement kann als eine Art kommentierter Werkgeschichte bezeichnet werden. In chronologischer Abfolge und biografischer Einbindung werden die wichtigsten monografischen Veröffentlichungen dieses Autors vorgestellt. Hintergründe und Intentionen werden beschrieben, Beobachtungen zur Rezeption und Nicht-Rezeption verschiedener Bücher - nicht selten auch mit bissigen Kommentaren über diejenigen, die sie nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Als eine letzte, aber nicht weniger wichtige Linie wird das Buch von Reflexionen durchzogen, in denen der Autor über die Kirche und den christlichen Glauben oder die Theologie nachdenkt und vor allem herausfordernde Analysen bietet.
Das Buch zeigt einen kritischen, sich nicht auf von ihm als faul wahrgenommene Kompromisse einlassenden Autor, dem sein Leben als katholischer Theologe und Religionspädagoge in der Tat viel zugemutet hat. Dass er auch anderen viel zumutet, zeigen seine Ausführungen auch heute noch. Seinen Kollegen hält er ein "verschlafenes theologisches und religionspädagogisches Bewusstsein" vor. Einen "theistischen Glauben, der Gott immer noch als geschichtlich handelnd sieht", hält er für ebenso überholt wie die "Erlösungslehre von der Kreuzigung Jesu als Sühnopfer".
Religiöse Weite und Offenheit statt Dogma und Verkrustung, so oder so ähnlich scheint Hubertus Halbfas sein eigenes Programm zu sehen. Erstaunlich wenig taucht dabei der politische Hintergrund auf, vor dem sich dieses Leben abgespielt hat. Ist die Nachkriegszeit noch biografisch präsent, so haben der Kalte Krieg, die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, die deutsche Vereinigung, oder was man sonst erwarten mag, diese Lebensgeschichte offenbar nicht weiter berührt. Auch die tiefgreifenden Veränderungen, beispielsweise eines zunehmend multireligiösen Deutschlands, ragen nicht in diese Autobiografie hinein. Eher ist es die Religionswissenschaft oder die Religionsphilosophie, die diesen Autor bewegt haben und bewegen.
Ich habe das Buch mit Spannung und Vergnügen gelesen, auch wenn - und auch weil - ich gerade theologisch vielfach nicht zustimmen kann. Ob ich mich deshalb nun auch zu den "verschlafenen Religionspädagogen" zählen muss? Die Antwort überließe ich nur ungern diesem Autor allein.
Hubertus Halbfas: So bleib doch ja nicht stehn. Mein Leben mit der Theologie. Patmos Verlag, Ostfildern 2015, 416 Seiten, Euro 28,-.
Friedrich Schweitzer
Friedrich Schweitzer
Friedrich Schweitzer ist Professor für Praktische Theologie/Religionspädagogik an der Universität Tübingen.