Familienbande

Vielschichtiges Drama
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Huizings Kunst besteht darin, die Leserschaft nicht nur durch komplexe Handlungsebenen zu führen, sondern am Rande derselben immer wieder Fährten zu setzen. Hier entstehen Themen und Subtexte, die sehr beschäftigen.

Ein Familienroman. Das kann heiter sein oder tragisch. Das kann mit viel Sonne daherkommen oder im Finsteren bleiben. Eher letzteres gilt für Klaas Huizings neuen Roman, denn richtig hell wird es nicht in der Geschichte um den 32-jährigen Neurochirurgen Henk Appeldoorn. Die Vergangenheit lastet auf ihn. Familienbande im Wortsinne: Sein Bruder Moritz ist tot, ein Unfall im Jugendalter. Und dass Henk damit was zu tun hatte, wird schnell klar.

"Bruderland" ist Klaas Huizings zwölfter Roman. Recht und billig mag man meinen, denn der Autor, Jahrgang 1958, ist ja schon eine Weile am Start, und sein erster Roman erschien vor über dreißig Jahren. Was diese Produktivität jedoch so schwer fassbar macht, ist die Tatsache, dass der evangelische Theologe Huizing zudem seit zwanzig Jahren in Vollzeit Professor für Systematische Theologie und Gegenwartsfragen an der Universität Würzburg ist und auch in diesem Bereich zahlreiche Veröffentlichungen vorzuweisen hat, unter anderem eine dreibändige "Ästhetische Theologie". Und damit nicht genug: Er ist seit 2007 auch noch Chefredakteur des Kulturmagazins "Opus", das alle zwei Monate in Saarbrücken erscheint. Ohne Frage ein manisch Kreativer, aber Nutznießer seiner Manie sind die Leser seiner Werke. Allein schon die Konstruktion von "Bruderland" erzeugt Spannung, wobei es beileibe nicht nur die Frage nach den genauen Todesumständen von Moritz ist, deren Auflösung einen interessiert, denn als Leser reist man gleich auf fünf Ebenen. Auf welcher man sich gerade befindet, machen die Kapitelüberschriften klar. Derer gibt es fünf, hier in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit genannt: Moritz, Mareile, Neurowissenschaftler, Mutter, Vater, jeweils freihändig nummeriert und insgesamt verteilt auf 42 Kapitel.

"Mareile" steht für die wechselnden Frauenbekanntschaften der Hauptperson, die (fast) alle aus einem bestimmten Grund scheitern. "Moritz" enthält überaus bedrückende Rückblenden in die gemeinsame Kindheit und Jugend mit eben jenem verstorbenen gleichnamigen Bruder. "Neurowissenschaften" schildert Henks Berufsleben, unter anderem Patientengespräche, die nicht unbedingt dazu angetan sind, die medizinischen Standesehre zu mehren, und schließlich die gegenwärtigen Erlebnisse mit den Eltern, klar unterteilt in "Mutter" und "Vater", denn beide leben getrennt. Unter "Vater" firmiert auch dessen neue Lebensgefährtin namens Wilma, eine Person, soviel sei verraten, der Hauptperson Henk sehr ungern und dann doch unausweichlich begegnet und die zumindest der Autor dieser Zeilen auch nicht unbedingt persönlich kennenlernen möchte ...

Klingt anstrengend. Ist es auch. Aber erfreulicherweise nicht für die, die es lesen. Die Handlung, obwohl sie bitter und zuweilen trostlos daherkommt, zieht einen vielmehr in den Bann, ja, sie erzeugt einen Lesesog. Huizings Kunst besteht darin, die Leserschaft nicht nur durch komplexe Handlungsebenen zu führen, sondern am Rande derselben immer wieder Fährten zu setzen, die man unabhängig vom direkten Verlauf des Weges weiterdenkt, den Henk Appeldoorn zu gehen hat. Hier entstehen Themen und Subtexte, die sehr beschäftigen, anregen und ja, es sei nicht verschwiegen, auch quälen können. Doch die Qual lohnt sich. Versprochen.

Klaas Huizing: Bruderland. Gollenstein-Verlag, Saarbrücken 2014, 272 Seiten, Euro 16,90.

Reinahrd Mawick

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