Vielversprechend

Kirchenreform: Bindung stärken
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Mit seinen Gedanken ist damit Wegner in bestem Sinne anstrengend, weil er keine einfachen Rezepte entwickelt, sondern das Ineinander von menschlichem Handeln und der Unverfügbarkeit Gottes aushält.

Die sinkende Zahl der Kirchenmitglieder schreckt immer wieder auf. Längst ist klar, dass viele Menschen mit einer Austrittsneigung äußere Anlässe aufnehmen und ihrer Kirche den Rücken kehren. Selten ist dabei die Kritik an kirchlichen Inhalten ausschlaggebend, vielmehr sind es das Finanzgebaren einzelner kirchlicher Würdenträger oder vermeintliche Änderungen im Steuerrecht. Bei diesen Ausgetretenen fehlt das Zugehörigkeitsgefühl, sie haben einen Bindungsverlust erlitten.

Beidem widmet sich Gerhard Wegner, der Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD und damit einer der "Chefdeuter" der fünften Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung, in seiner knappen und doch viele Aspekte beleuchtenden Aufsatzsammlung. Vom Philosophen Niklas Luhmann inspiriert formuliert Wegner seine Ausgangsthese: Religiöse Kommunikation findet sich ohne Kirche so gut wie gar nicht mehr, und damit ist die liberale Sicht auf das Christentum überholt.

Unbestreitbar ist die evangelische Kirche nach wie vor "ein Elefant" mit großer zivilgesellschaftlicher Stärke und integrativer Kraft, dem jedoch das Tanzen gelehrt werden muss (so lautet der Titel eines Aufsatzes). Jedoch könne dieser "Sozialnutzen" nur dauerhaft wirksam bleiben, wenn es gelänge, ihre Wurzel jenseits der Welt in den Mittelpunkt zu rücken. Dann würde die Kirche zur "ersehnten Heimat", zu deren religiöser Kommunikation natürlich der sozial-diakonische, der sozialethische und der politische Diskurs mit der Welt gehören würde.

In sechs Beiträgen leuchtet Gerhard Wegner nun einzelne Elemente aus, die die Sehnsucht nach jener Kirche stärken könnten, die sich vom "Jenseits des Glaubens" nährt. Dazu gehört die Abkehr von einer bedürfnisbefriedigenden Strategie (was wollen "die Leute" von uns?) zu einer angebotsorientierten (was können wir "den Leuten" geben?). Aus diesem Grund dürfe auch die Milieutheorie nicht im Sinne einer Mechanik für einen Milieuglauben instrumentalisiert werden, weil immer die Inklusion aller mit einem authentischen Glauben kirchengemäß wäre. Kirche sei deshalb den Milieus vorgeordnet und somit eine Funktion des Glaubens und nicht umgekehrt. Wegner wird dabei wohltuend nicht müde, gerade die grenzüberschreitende Kraft Gottes und des Glaubens an ihn zu betonen.

Weitere Elemente sind das Besondere geistlicher Leitung und die Suche nach einem guten Weg zwischen der Idealisierung und Verachtung von Kirchengemeinden. Letztere müsse man schlicht lieben. In ähnlicher Absicht versucht er, für eine religiöse Kreativität zu werben und den Mut, sie umzusetzen, weil einen der Glaube ergriffen habe.

Konstruktiv grenzt sich Wegner in seinen Beiträgen gegenüber beiden Seiten in der Kirchenreformdiskussion ab: Er geht nicht mit denjenigen, die eher blind darauf vertrauen, dass es nicht so schlimm ist oder kommen wird. Er geht aber auch nicht mit denen, die einen Rückzug aus der Welt befürworten und sich auf "das Eigentliche" konzentrieren wollen. Stattdessen kleidet er seine Forderungen in fünf Erfolgsfaktoren, die er quasi vom Äußeren der Kirche hin zu ihrem Innersten beschreibt: die Freundlichkeit und Offenheit in die Welt hinein; die Verortung und Vernetzung in die Gesellschafts- und Sozialräume, um ein positives Klima für Kirche zu schaffen; die Förderung von Menschen, die etwas in, mit und für die Kirche wollen, weil ihr Engagement auf einer "inspirierte[n] Distanz" zur vorfindlichen Kirche aufbaut; die Verpflichtung gegenüber einer Vision des guten Lebens durch Engagement und schließlich das Ergriffensein von Liebe als einer Haltung, die ihren Grund in der Liebe Gottes hat.

Mit seinen Gedanken ist damit Wegner in bestem Sinne anstrengend, weil er keine einfachen Rezepte entwickelt, sondern das Ineinander von menschlichem Handeln und der Unverfügbarkeit Gottes aushält. Gleichwohl motiviert dieses Zusammenwirken zu einer Stärkung der "Gemeinschaften" vor Ort im Rahmen einer kommunitaristischen Strategie. Ein vielversprechender, obwohl unbequemer Ansatz.

Gerhard Wegner: Religiöse Kommunikation und Kirchenbindung. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2014, 169 Seiten, Euro 19,90.

Jens Beckmann

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Jens Beckmann

Dr. Jens Beckmann ist Pastor der Nordkirche und Theologischer Vorstand der Evangelischen Perthes-Stiftung e.V. in Münster.


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