Sublimierung

Über das Bedürfnis zu glauben
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Kristevas Ansatz überzeugt, wenn sie als Anwältin der Kreativität und damit der Freiheit auftritt.

Wer im Eigennamen Kristeva die Bedeutung "vom Kreuz" mit sich führt, neigt offenbar auch als Psychoanalytikerin und Literaturtheoretikerin nicht einfältig dazu, die Religion mit Freud vorschnell als Illusion abzutun, vielmehr schockiert Kristeva mit sichtbarer Freude alle Hardliner mit der Feststellung, das Christentum sei ein veritabler Wegbereiter des neuen Humanismus gewesen. Mit Freud, der den Stil dieser Essays durch seine müde gesiegten Großbegriffe knechtet, teilt Kristeva eine Grundüberzeugung, nämlich "das menschliche Bedürfnis zu glauben" zum Gegenstand der Erkenntnis machen zu können, freilich so, dass der skizzierte neue Humanismus die Transzendenz in der Immanenz verortet: Das Universum der Seele beheimatet gleichermaßen Himmel und Hölle.

Plausibilisieren kann Kristeva ihre Sicht der Dinge am Beispiel des Adoleszenten, der sein Leben auf Idealität hin ausrichtet und nicht glauben mag, dass dieser Andere (vielleicht) nicht existiert. Aufgabe der Psychoanalyse ist es dann, dieses "Identitätssyndrom" zu sublimieren, also in die Kreativität zu verschieben. Für diese Arbeit scheint ein Blick auf die Geschichte des Christentums hilfreich. In der Sprache Kristevas hört sich das so an: Das Christentum, wenn es "jene verzweifelte Orientierung (jene version) hin zum idealen Vater erkennt, die das psychische Leiden ausmacht und die jedes andere Leiden verschlimmert", versucht, "diese père-version in Kreativität, in Sublimierung, in Lebenskunst" umzuwandeln. Wahrheitszeugin für diese Sublimierung ist Teresa von Ávila, die den Schmerz in Ekstase transformiert. Der dann einsetzende Schreibprozess dient der Erhellung der gemachten visionären Erfahrung, wird aber zugleich durch Ávilas Neugründung des Karmel zu einem politischen Akt.

Kristeva macht zwei Gemeinsamkeiten der Psychoanalyse mit dem Christentum aus: eine "Anerkennung des Leidens als integraler Bestandteil des sprechenden Wesens" und die Entsakralisierung und Zähmung des Leidens durch die "Geste der Darstellung". Literatur und Psychoanalyse werden so zu wahren Erben des Christentums, geht es dieser Julia vom Kreuz doch um nichts weniger als um eine "Wieder-Geburt". Kristeva scheut sich dann auch nicht, die analytische Arbeit sprachspielend als wechselseitiges Geschenk der Vergebung, als par-don zu schildern.

Kristevas Ansatz überzeugt dann, wenn sie als Anwältin der Kreativität und damit der Freiheit auftritt, einen Gedanken, den sie sich bei einer ihrer Heldinnen ausleiht, bei Hannah Arendt, die bekanntlich jede Geburt als Neuanfang deutet, den Kristeva aber auch in der Metaphysik von Duns Scotus vorgedacht glaubt. Mit dieser Betonung der radikalen Individualität will sie jede falsche Sehnsucht des "ähnlich zu werden wie..." hinter sich lassen. Kristeva feiert die Weiblichkeit und verbeugt sich nochmals vor dem Christentum, die die Schönheit als "gänzlich sichtbar gewordene Seele" im Madonnenbild entdeckt hat und von den Malern bis zum Aktbild vorangetrieben wurde, aber diese Feier des Weiblichen und Mütterlichen hat nichts mehr mit der Selbstbestätigung eines kämpferischen Feminismus gemein - Kristeva möchte lieber nicht als Feministin, sondern als Scotistin, also als Anhängerin von Duns Scotus wahrgenommen werden.

Das fundamentale Verlangen nach Sinn verkürzt Kristeva allerdings, wenn sie die Metaphysik vorschnell berentet, denn der Philosoph Volker Gerhardt hat jüngst nochmals in einer längeren Studie gezeigt, dass "Der Sinn des Sinns" ohne das transzendente Göttliche nicht hinreichend gedacht werden kann. Kristeva, erzogen im christlich-orthodoxen Glauben ihrer bulgarischen Heimat, verbleibt in ihrer Deutung des Christentums zudem in einem extrem engen und antiquierten Sprachspiel, das von Leiden, Sünde und Opfer geprägt ist, übersieht dabei völlig die literarischen Qualitäten biblischer Texte, vor allem die veritablen Minidramen, vulgo: Gleichnisse, die Jesus erzählt hat und die gleichermaßen Krisen sublimieren und künftig verhindern können. Seelsorge kann mit diesen Narrationen helfend (und kostengünstig) arbeiten. Das freundliche Übernahmeangebot des Christentums durch die Psychoanalyse, die bei Kristeva alle vulgäratheistischen Spitzen abgeschliffen hat, darf man ebenso freundlich ablehnen. Pardon.

Julia Kristeva: Dieses unglaubliche Bedürfnis zu glauben. Psychosozial-Verlag, Gießen 2015, 166 Seiten, Euro 22,90.

Klaas Huizing

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Klaas Huizing

Klaas Huizing ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Würzburg und Autor zahlreicher Romane und theologischer Bücher. Zudem ist er beratender Mitarbeiter der zeitzeichen-Redaktion.


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