Im Wirtschaftsverlag Springer Gabler ist die erweiterte Habilitationsschrift des katholischen Sozialethikers Bernhard Emunds erschienen. Das ist eine Ansage. Hier will ein Theologe, der auch Volkswirtschaft studiert hat, von den Wirtschaftsleuten ernstgenommen werden – aber ohne sich dabei eine Spur anzubiedern. Das merkt man schon daran, wie Emunds sein Feld beschreibt: Es geht ihm nicht um betriebswirtschaftliche Ethik-Beratung, sondern um eine "Politische Wirtschaftsethik", die im gesellschaftlichen Diskurs um die richtige Finanzarchitektur ihren Ort sieht. Das heißt: Institutionenethik statt Individualethik, eine rational vermittelte Ethik statt konfessioneller Positionen. Und vor allem: Die ökonomische Analyse muss stimmen. Das ist Emunds wichtig.
Eine Wirtschaftsethik entscheidet sich weniger an den spezifisch ethischen Positionen als an den Vorstellungen, die die Ethiker sich von der Wirtschaft machen. Emunds Position liegt in der Nähe des Finanzkeynesianismus: Geld wird durch Kredit geschaffen, und dies ist ein wesentlicher Motor für die Konjunkturzyklen auf den Finanzmärkten, die er als Boom-Bust-Zyklen begreift, bei denen es also zu Preisblasen kommt, die bei Vertrauensverlust platzen können. Emunds nimmt sich viel Platz, die Mechanismen der Finanzwirtschaft zu erklären und dem Theologen gelingt es besser als vielen Ökonomen, die komplexen Zusammenhänge verständlich zu machen. Ein Buch, das allein wegen seiner wirtschaftstheoretischen Analyse das sorgfältige Studium lohnt.
Aber auch die ethischen Positionen sind gut begründet: Um der "kleinen Leute" willen, die in Krisen die Zeche zahlen, während die großen Akteure auf den Finanzmärkten die Gewinne der Boom-Phasen einstreichen, ist die Robustheit der Finanzmärkte für Emunds eine ethisch begründete Forderung. Außerdem hätten sich Teile der Finanzwirtschaft zu einer Rent-seeking-Ökonomie entwickelt, also einer Ökonomie, die durch ihre Nähe zur Politik Gewinne realisiere, ohne mit produktiven Investitionen verbunden zu sein: Eine Ökonomie, die nichts zur Wertschöpfung beitrage. Dieses "Wertschöpfungskriterium" ist vielleicht unscharf, aber letztlich ein notwendiger Maßstab. Warum soll eine Gesellschaft Geschäfte tolerieren, die wenig bis keinen Nutzen haben, aber viele Gefahren, die im Ernstfall von allen getragen werden müssen?
So überrascht es nicht, dass Emunds Beschreibung der letzten Finanzkrise zu einer deutlichen Kritik ihrer Bearbeitung wird: Die durchgeführten Maßnahmen hätten keineswegs ausgereicht, um neue Krisen zu verhindern. Noch immer sei das Streben nach riskanten Gewinnen in der Boom-Phase für viele Finanzakteure viel zu attraktiv. Die Frage, warum die Regulierung nach der letzten Krise so ungenügend geblieben ist, stellt Emunds nicht, das wäre vielleicht eine soziologische Fragestellung. Der Ethiker muss an der Veränderbarkeit und Verbesserbarkeit der Wirtschaft festhalten, sonst hätten seine Analysen keinen Adressaten. Emunds glaubt, dass der Kapitalismus nicht zwangsläufig Krisen produziert und verweist auf die relativ krisenarme Zeit zwischen 1945 und 1990?– nicht zufällig war das die Zeit der Systemkonkurrenz.
Funktioniert der Kapitalismus vielleicht nur unter der Drohung einer Alternative halbwegs human? Immerhin gibt Emunds zu erkennen, dass auch das Wechselspiel von Demokratie und Finanzmärkten nicht frei von ethischen Ansprüchen ist. Die internationalen Finanzmärkte dürften die Entscheidungsspielräume eines Landes nicht so stark einschränken, "dass politische Selbstbestimmung nur noch auf dem Papier, aber nicht mehr real möglich ist."
Bernhard Emunds: Politische Wirtschaftsethik globaler Finanzmärkte. Springer Gabler Verlag, Wiesbaden, 2014, 490 Seiten, Euro 48,59.
Im Wirtschaftsverlag Springer Gabler ist die erweiterte Habilitationsschrift des katholischen Sozialethikers Bernhard Emunds erschienen. Das ist eine Ansage. Hier will ein Theologe, der auch Volkswirtschaft studiert hat, von den Wirtschaftsleuten ernstgenommen werden – aber ohne sich dabei eine Spur anzubiedern. Das merkt man schon daran, wie Emunds sein Feld beschreibt: Es geht ihm nicht um betriebswirtschaftliche Ethik-Beratung, sondern um eine "Politische Wirtschaftsethik", die im gesellschaftlichen Diskurs um die richtige Finanzarchitektur ihren Ort sieht. Das heißt: Institutionenethik statt Individualethik, eine rational vermittelte Ethik statt konfessioneller Positionen. Und vor allem: Die ökonomische Analyse muss stimmen. Das ist Emunds wichtig.
Eine Wirtschaftsethik entscheidet sich weniger an den spezifisch ethischen Positionen als an den Vorstellungen, die die Ethiker sich von der Wirtschaft machen. Emunds Position liegt in der Nähe des Finanzkeynesianismus: Geld wird durch Kredit geschaffen, und dies ist ein wesentlicher Motor für die Konjunkturzyklen auf den Finanzmärkten, die er als Boom-Bust-Zyklen begreift, bei denen es also zu Preisblasen kommt, die bei Vertrauensverlust platzen können. Emunds nimmt sich viel Platz, die Mechanismen der Finanzwirtschaft zu erklären und dem Theologen gelingt es besser als vielen Ökonomen, die komplexen Zusammenhänge verständlich zu machen. Ein Buch, das allein wegen seiner wirtschaftstheoretischen Analyse das sorgfältige Studium lohnt.
Aber auch die ethischen Positionen sind gut begründet: Um der "kleinen Leute" willen, die in Krisen die Zeche zahlen, während die großen Akteure auf den Finanzmärkten die Gewinne der Boom-Phasen einstreichen, ist die Robustheit der Finanzmärkte für Emunds eine ethisch begründete Forderung. Außerdem hätten sich Teile der Finanzwirtschaft zu einer Rent-seeking-Ökonomie entwickelt, also einer Ökonomie, die durch ihre Nähe zur Politik Gewinne realisiere, ohne mit produktiven Investitionen verbunden zu sein: Eine Ökonomie, die nichts zur Wertschöpfung beitrage. Dieses "Wertschöpfungskriterium" ist vielleicht unscharf, aber letztlich ein notwendiger Maßstab. Warum soll eine Gesellschaft Geschäfte tolerieren, die wenig bis keinen Nutzen haben, aber viele Gefahren, die im Ernstfall von allen getragen werden müssen?
So überrascht es nicht, dass Emunds Beschreibung der letzten Finanzkrise zu einer deutlichen Kritik ihrer Bearbeitung wird: Die durchgeführten Maßnahmen hätten keineswegs ausgereicht, um neue Krisen zu verhindern. Noch immer sei das Streben nach riskanten Gewinnen in der Boom-Phase für viele Finanzakteure viel zu attraktiv. Die Frage, warum die Regulierung nach der letzten Krise so ungenügend geblieben ist, stellt Emunds nicht, das wäre vielleicht eine soziologische Fragestellung. Der Ethiker muss an der Veränderbarkeit und Verbesserbarkeit der Wirtschaft festhalten, sonst hätten seine Analysen keinen Adressaten. Emunds glaubt, dass der Kapitalismus nicht zwangsläufig Krisen produziert und verweist auf die relativ krisenarme Zeit zwischen 1945 und 1990?– nicht zufällig war das die Zeit der Systemkonkurrenz.
Funktioniert der Kapitalismus vielleicht nur unter der Drohung einer Alternative halbwegs human? Immerhin gibt Emunds zu erkennen, dass auch das Wechselspiel von Demokratie und Finanzmärkten nicht frei von ethischen Ansprüchen ist. Die internationalen Finanzmärkte dürften die Entscheidungsspielräume eines Landes nicht so stark einschränken, "dass politische Selbstbestimmung nur noch auf dem Papier, aber nicht mehr real möglich ist."
Christoph Fleischmann
Christoph Fleischmann
Christoph Fleischmann ist Theologe und Journalist. Er lebt in Köln.