Taufe oder so

Was Messianische Juden sind, blieb offen
Die Hitze verwandelte den Stuttgarter Talkessel in einen Backofen. Foto: epd/ Stefan Arend
Die Hitze verwandelte den Stuttgarter Talkessel in einen Backofen. Foto: epd/ Stefan Arend
Auf den Podien im "Zentrum Juden und Christen" waren liberale Theologen beider Religionen unter sich.

Das Kirchentagszentrum "Juden und Christen" dürfte man aus praktischen Gründen im "Haus der Wirtschaft" untergebracht haben. Es liegt im Stadtzentrum und ist klimatisiert, was die Hitze ertragen ließ, die den Stuttgarter Talkessel in einen Backofen verwandelte. Aber wer in der Landesgeschichte bewandert ist, kann eine Fügung darin sehen, dass die großen Veranstaltungen in der König-Karl-Halle stattfanden. Denn unter der Regentschaft des Namensgebers hatten Württembergs Juden 1864 die gleichen Rechte wie ihre christlichen Mitbürger bekommen. Und drei Jahre später erhob der König den Stuttgarter Rabbiner Joseph Maier in den Adelsstand.

In der Veranstaltung zur "Bibellektüre zwischen Kritik und Bestätigung" konkretisiert die Berliner Theologin Eva Harasta, was eine aufgeklärte evangelische Bibelauslegung auszeichnet: In einer Kirche im Osten Berlins steht auf dem Taufstein die Feststellung des Markusevangeliums, dass "selig" werde, wer glaube und getauft werde, aber "wer nicht glaubt, der wird verdammt werden". Der Gemeindekirchenrat (GKR) habe die Aussage, die vor dem Hintergrund der Christenverfolgung des Zweiten Jahrhunderts zu verstehen sei, mit dem Hinweis ergänzt, die Drohung "entspricht nicht dem Liebesgebot Jesu" und nicht "unserem heutigen Verständnis des Umgangs mit Andersgläubigen". Für Harasta hat der GKR einen "Geist respektvoller Kritik" gezeigt, indem er die alte Inschrift des Taufsteins stehen ließ und seine abweichende Haltung biblisch begründete.

In der Podiumsdiskussion sind sich Harasta, eine römisch-katholische und eine jüdische Kollegin und ein weiterer evangelischer Theologe einig. Der erntet starken Beifall im Plenum, als er Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) zitiert. Der Aufklärer schrieb, ließe ihn Gott zwischen dem Besitz der reinen Wahrheit und dem Streben danach wählen, würde er sich für Letzteres entscheiden und "mit Demut" zu Gott sagen: "Vater, die reine Wahrheit ist nur für dich allein!"

Auch diese Veranstaltung trifft die Kritik des Kommentators der "Stuttgarter Zeitung", der zum Abschluss des Kirchentages schrieb: "Es fehlte oft ein Widerpart, der den Applaus des Publikums vielleicht auch einmal verstummen lassen würde." So hätte man zum Bibelverständnis auch einen Vertreter des orthodoxen Judentums und des evangelikalen Christentums hören sollen.

Immerhin ließ der Kirchentag einen Messianischen Juden seine Position darlegen. Für Richard Harvey, der in einer jüdisch-liberalen Gemeinde Londons aufwuchs, ist Jesus der Messias. Micha Brumlik, einer der führenden jüdischen Intellektuellen Deutschlands, sieht das gelassen. Weil es immer Juden gegeben habe, die jemand als Messias anerkannt hätten, will er Messianische Juden als eine von vielen jüdischen Gruppen gelten lassen, wenn sie denn Juden, also von einer jüdischen Mutter geboren oder zum Judentum übergetreten sind.

Auf die Frage, wie er es mit der Taufe halte, antwortete Harvey nur: "Sie werden es Taufe" und Messianische Juden würden es "Mikwe" nennen. Das ist das jüdische Tauchbad, in das auch diejenigen steigen müssen, die zum Judentum konvertieren.

Genauso vage äußert sich Richard Harvey in seiner Biographie "But I'm Jewish. A Jew for Jesus tells his story", die die "Juden für Jesus" ins Internet gestellt haben. 1975, bei der Rüstzeit eines christlichen Jugenclubs, sei ihm vorgeschlagen worden, sich taufen zu lassen. Da habe er sich in einem "formalen Akt" auf den Glauben an Jesus verpflichtet (formal act of commitment to faith in Jesus). Worin der bestand, wird nicht ausgeführt. "Später" habe ihn "der Bischof von Winchester konfirmiert". Der Konfirmation geht auch in der anglikanischen Kirche die Taufe voraus. Aber, so fährt Harvey fort, "einige Jahre später wurde ich durch Untertauchen getauft" (I was baptized by full immersion). War das eine Wiedertaufe? Und geschah sie im Namen des dreieinigen Gottes?

Die württembergische Landessynode hat vor 15 Jahren erklärt: "Wir nehmen zur Kenntnis, dass nach rabbinischem Verständnis ein Jude, der sich zu Jesus als seinem Messias bekennt und sich auf den Namen des Dreieinigen Gottes taufen lässt, nicht mehr zur jüdischen Gemeinschaft gehört ... Nach christlichem Verständnis gehören Menschen, die sich zu Jesus als Messias bekennen und auf den Namen des Dreieinigen Gottes getauft sind, zur Gemeinschaft der Kirche Jesu Christi." Mehr lässt sich auch nach dem Stuttgarter Kirchentag nicht sagen.

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Jürgen Wandel

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