Der etwas andere Beruf

Soziale und theologische Fragen zur Prostitution in Deutschland
Das Rotlichtviertel in Amsterdam ist weltberühmt. Fotos: epd/ Alexander Stein
Das Rotlichtviertel in Amsterdam ist weltberühmt. Fotos: epd/ Alexander Stein
Prostitution gilt in Deutschland seit einigen Jahren nicht mehr als "sittenwidrig". Doch nun droht durch Registrierungen ein Roll-back. Außerdem tun sich Theologie und Diakonie immer noch schwer mit der Bewertung des angeblich ältesten Gewerbes der Welt. Der Journalist Thomas Klatt beleuchtet Tendenzen und Meinungen.

Es scheint, als habe der liebe Gott gar nichts gegen das älteste Gewerbe der Welt gehabt. Zumindest nahm er bei der Eroberung des Gelobten Landes gerne die Hilfe einer Frau in Anspruch, die ihren Körper gegen Geld verkaufte. Auf den Rat Gottes hin sandte Josua Kundschafter in die Stadt Jericho, die bei der Hure Rahab freundlichen Unterschlupf und entscheidende Hilfe fanden. Das siebenmalige Umrunden mit Posaunen war danach nur noch theatralisches Beiwerk.

Zum Dank wurde Rahab nicht nur beim anschließenden Gemetzel an der Zivilbevölkerung verschont, sondern durfte auch den jüdischen Anführer Josua ehelichen und wurde so zur Urmutter weiterer Prophetengeschlechter. Offensichtlich nahmen auch spätere Generationen keinen Anstoß an der Profession der Rahab, die das Matthäusevangelium wie selbstverständlich im Stammbaum Jesu aufführt. Der Hebräerbrief zählt die Prostituierte aus Jericho sogar zu den großen Glaubensfiguren in der Geschichte Israels. Neben den Zöllnern kämen wohl die Dirnen eher ins Himmelreich als die Schriftgelehrten, verkündet Jesus im Matthäusevangelium.

Die römisch-katholische Kirche selbst hatte Jahrhunderte später kein Problem oder gar Berührungsängste mit Hurerei und käuflicher Liebe. Das Konstanzer Konzil von 1414-1418, auf dem unter anderen auch der böhmische Reformator Jan Hus verbrannt wurde, war ein riesiges politisch-klerikales Welttreffen mit rund 70.000 Delegierten, Bischöfen und Adeligen. Dazu gesellten sich über Tausend Freudendamen und wohl nicht wenige Lustknaben. Nicht umsonst ziert heute die große Hure Imperia die Hafeneinfahrt der Stadt, um ein- und auslaufende Kapitäne an dieses denkwürdige Ereignis zu erinnern.

Aber so eindeutig ist der biblische und kirchengeschichtliche Befund wiederum nicht. Der große Kirchenvater Augustin duldete den Besuch bei Prostituierten nur, um dadurch den Schutz ehrbarer Frauen erhöhen zu können. Die lüsternen Jünglinge und unbefriedigten Ehemänner sollten sich doch gegen Geld woanders austoben. Martin Luther selbst konnte zwar die Bigamie gutheißen, so gestattete er dies dem der Reformation zugeneigten Philipp von Hessen, solange die angetraute Ehefrau dabei sozial abgesichert bleibe. Für Liebesdamen, die ihren Körper gegen Geld anbieten, hatte er jedoch nur Verachtung über, wollte er sie doch "rädern und ädern lassen". In den protestantischen Ländern wurden Bordelle alsbald geschlossen. Zürich, Genf und andere reformatorische Städte etab-lierten Sittengerichte, die Sexualvergehen, vor allem die Prostitution ahndeten. Puritanische Prediger mahnten zum Eheleben, das ausschließlich der Ergötzung und Herz-Erwärmung dienen sollte.

Abspaltung der Lust

Dieses allein auf die Beziehung in einer heterosexuellen Ehe ausgerichtete Liebesleben durchzieht die protestantische Theologie und Sexualethik im Grunde bis heute. Nur in der auf Verlässlichkeit und Beziehung ausgerichteten Partnerschaft begegnen sich Personen, in der Prostitution hingegen nur Organe. Die Abspaltung der Lust und Leidenschaft von der Personalität eines Menschen wird als problematisch bewertet. Sexualität sollte daher nach Möglichkeit innerhalb verbindlicher monogamer Beziehungen gelebt werden, beschreibt die Bochumer Theologin Nathalie Eleyth den Konsens des evangelischen Mainstreams. Allerdings gibt es kaum theologische Reflexionen zum Thema, es fehlt bis heute so etwas wie eine "Theologie der Prostitution". Grundsätzlich überwiegt die Ablehnung jeglicher Sexarbeit in den Stellungnahmen der Diakonie wie der Caritas.

"Die Prostitution ist kein Beruf wie jeder andere! Der Verkauf des eigenen Körpers geht gegen die Menschenwürde", lautet die Stellungnahme des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF). Ähnlich weist das Diakonische Werk in Stellungnahmen der vergangenen Jahre auf Missstände, Unterdrückung und Menschenhandel im Bereich der Prostitution nicht nur in Deutschland hin. Aber, die Frauen auf dem Sexarbeitskongress 2014 sagten etwas völlig anderes: "Wir sind Sexarbeiterinnen und üben einen Beruf aus, und zwar freiwillig! Wir sind keine Opfer!"

Seit zwölf Jahren gilt nun schon das unter der rot-grünen Bundesregierung verabschiedete Prostitutionsgesetz. Seitdem bewerten Gerichte die intime Bereitstellung des Körpers gegen Geld nicht mehr als sittenwidrig. Aber das neue Eckpunktepapier der Bundesregierung sieht eine Verschärfung des seit 2002 geltenden Prostitutionsgesetzes vor. So soll es künftig eine gesonderte Anmelde- und Anzeigenpflicht für gewerbsmäßige Prostitution nebst Nachweisdokument für Prostituierte geben.

"Das ist aus Prinzip schon ein Problem, denn es soll den Kommunen und Ländern überlassen bleiben, welche Behörde zuständig ist. Traditionell ist das die Polizei. Es läuft also auf eine polizeiliche Registrierung hinaus, und das ist im Grunde nur Kriminellen vorbehalten und nicht Angehörigen einer bestimmten Berufsgruppe", kritisiert Undine de Rivière, die unter diesem Arbeitsnamen in Hamburg ihr eigenes Studio betreibt. Ihren bürgerlichen Namen verrät sie nicht. Sie ist Pressesprecherin beim Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD), der nach eigenen Angaben für etwa 300 Prostituierte spricht.

Schätzungsweise gibt es rund 400.000 Menschen in Deutschland, die in Sex-Kinos, erotischen Massagesalons, im Escort-Bereich oder eben auf dem Straßenstrich ihr Geld verdienen. Der Organisationsgrad in einer eigenen Standesorganisation ist also gering, haben doch auch die anderen Verbände wie Hydra oder das Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter (bufas) kaum mehr Mitglieder. "In Bayern und Baden-Württemberg wird die Registrierung von Prostituierten schon ohne Rechtsgrundlage durchgesetzt. In München wurde zum Beispiel bei einer Verkehrskontrolle eine Kollegin vor Unbeteiligten offen auf ihre Prostitution angesprochen. Das hätte in der Datenbank gar nicht drin sein dürfen", berichtet Pressesprecherin de Rivière. Jegliche "Hurenkartei" stelle somit schon jetzt eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte dar. Auch wendet sich ihr Verband gegen die Sperrgebietsverordnungen. Die Prostitution werde dadurch an den Stadtrand und in Schmuddelecken gedrängt, wo Sexarbeitende wesentlich mehr Dreck, Gewalt und Gefahren ausgesetzt seien. Für den BesD ist Sexarbeit eine Dienstleistung. Dafür fehle aber die Anerkennung als Freier Beruf und damit eine entsprechende Regelung im Steuer- und Baurecht. Dann nämlich erst könnte es auch legale Zusammenschlüsse von Sexarbeiterinnen geben, die sich ähnlich einer Anwaltskanzlei oder Praxisgemeinschaft von Therapeuten zusammenschließen und gegenseitig schützen könnten.

Anders als die Bundesregierung möchten Initiativen wie die der Feministin Alice Schwarzer oder solwodi (SOLidarity with WOmen in DIstress), gegründet von der katholischen Schwester Lea Ackermann, nach schwedischem Modell die Prostitution sogar ganz verbieten lassen und Strafen für Freier einführen.

Abdrängen in Illegalität

Doch professionelle Sexarbeiterinnen wie Undine de Rivière schütteln über solche radikalen Verbote nur den Kopf, würden diese doch die Prostituierten nur noch mehr in den gefährlichen und ungeschützten Bereich der Illegalität drängen. "Das schwedische Modell ist eine ganz große Katastrophe. Man kann nicht das System Prostitution bekämpfen, ohne die Menschen zu stigmatisieren und zu diskriminieren, die in diesem System arbeiten. Es ist dort zum Beispiel unmöglich, als geoutete Sexarbeiterin überhaupt noch Wohnraum zu finden. Müttern werden die Kinder weggenommen. Das ist einfach menschenfeindlich", klagt die BesD-Pressesprecherin.

Auch andere Vorschläge zur Verschärfung des Prostitutionsgesetzes, etwa das Mindestalter auf 21 Jahre heraufzusetzen, werden von den Sexarbeitenden selbst auf ihrem Kongress abgelehnt. Denn junge Frauen würden garantiert nicht so lange bis zu ihrem Berufseintritt ins Rotlichtmilieu warten. Allerdings würden sie dann für drei Jahre weder ein ordentlich geführtes Bordell noch ein Escortservice aufnehmen dürfen und können. Sie seien damit quasi kriminell und an gefährliche und ungeschützte Orte verbannt. Auch sollen Freier von Zwangsprostituierten künftig belangt werden. Nur wie dies praktisch kontrolliert werden soll, bleibt höchst fraglich.

Es besteht Handlungsbedarf, darin sind sich Kirchen wie Sexarbeiterinnen einig. So gibt es zahlreiche Berichte von Streetworkern aus Sozialarbeitsprojekten, dass es gerade im Rotlichtmilieu Unterdrückungs- und Ausbeutungsstrukturen gibt, sei es im Bereich der Drogenbeschaffungsprostitution oder eben weil der eigene Ehemann seine Frau zum Unterhalt der Familie auf den Strich schickt. Auch arbeiten nicht wenige auf Grund psychischer Erkrankungen im Rotlichtmilieu, sagt Nadine Mersch aus der Stabsstelle Sozialpolitik und Öffentlichkeitsarbeit vom Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) aus Dortmund: "Freie Sexarbeiter in allen Ehren, aber das ist doch nur die edle Minderheit im Escort-Bereich".

Auch Evaluationen und aktuelle Stellungnahmen aus dem Bundesfamilienministerium stützen die Einschätzung der kirchlichen Fachdienste. Allerdings verlangt der SkF keine Sanktionen oder plumpe Verbote wie etwa SOLWODI, denn sie würden allein auf dem Rücken der Frauen ausgetragen werden. Vielmehr brauche es soziale Hilfsangebote für die in der Prostitution tätigen Menschen.

Darin unterscheiden sich die kirchlichen Verbände gar nicht so sehr von den Forderungen und Positionen auf dem Sexarbeitskongress 2014. Dort wurde durchaus zugegeben, dass nicht wenige ihrer Kolleginnen auch in prekären Verhältnissen leben, aus denen sie sich befreien sollten. "Wir bieten gerade deswegen Empowerment-Workshops von Sexarbeiterinnen für Sexarbeiterinnen in den Bordellen und Sex-Kinos an. Wir brauchen Bildungsangebote, die wir aus eigenem Erfahrungswissen heraus möglich machen", sagt Alexa Müller von der Berliner Hurenvereinigung Hydra.

Solche Angebote dienen der Sicherheit und der Qualifizierung für Sexarbeitende. Wie kann ich mich selbst vermarkten, ohne auf Zuhälterei angewiesen zu sein? Wie komme ich an zahlungskräftigere Kunden heran? Worauf muss ich bei meiner Gesundheit achten? Aber auch, wie kann ich mich aus der Prostitution verabschieden und vielleicht einen anderen Beruf ergreifen? Denn es gibt weiterhin eine Diskriminierung ehemaliger Prostituierter, die es schwer haben, in einem bürgerlichen Beruf Fuß zu fassen. Zumindest in diesem letzten Punkt könnten die Sexarbeiterinnen dann wohl mit diakonischen Stellen einen Konsens bilden und vielleicht sogar zusammenarbeiten.

Thomas Klatt

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