Verborgene Heilige

Verfolgte Christen in China
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Verborgene Heilige Verfolgte Christen in China 15 Porträts, die von schier unglaublichen Schicksalen erzählen, von Menschen, die ihre innere Heiterkeit im Glauben bewahrt haben.

Der Dichter und Musiker Liao Yiwu ist als leidenschaftlicher Kritiker des kommunistischen chinesischen Regimes bekannt geworden, der mit seinen "Interviews with People from the Bottom Rung of Society" Menschen am Rand der Gesellschaft Stimme gab. Auf Deutsch erschienen die Interviews unter dem Titel "Fräulein Hallo und der Bauernkaiser". 2011 gelang Liao Yiwu die Flucht nach Deutschland, wo er 2012 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt.

Seine Neugier auf die christlichen Randexistenzen in der Volksrepublik China wurde geweckt, als er sich nach vier Jahren Gefängnis selbst am Rand der Gesellschaft durchschlug. Er geriet an einen christlichen Arzt, der bei den Armen in den Bergen praktizierte und "unglaubliche Geschichten" zu erzählen hatte.

Das ermutigte Liao Yiwu, seine literarische Tätigkeit wieder aufzunehmen und Menschen aufzusuchen, die dem Regime aus Glaubensgründen widerstanden hatten. Fünf Jahre lang bereiste er Bergdörfer und Städte in den Provinzen Sichuan, Qinghai und Yunnan. Yiwu traf hochbetagte Gemeindeälteste, die Enteignung, Lagerhaft und Hungersnöte überlebt hatten, aber auch die jüngeren Christen, die heute in Untergrundkirchen dem Regime und der inzwischen genehmigten, stark reglementierten Kirche Widerstand leisten.

So sind 15 Porträts entstanden, die von schier unglaublichen Schicksalen erzählen, von Menschen, deren Leben von Entbehrung und Verfolgung bestimmt war, die ihre innere Heiterkeit im "Glauben an den Herrn" aber doch bewahrt haben.

Faszinierend wirken diese Geschichten umso mehr, als es kein bekennender Christ ist, der sie erzählt, sondern ein Poet, kein bürgerlicher Europäer, sondern einer, der die Lebenserfahrung armer und geächteter Chinesen und Chinesinnen teilt. Anfangs wird gefragt: "Ob die Ausländer mit ihren bunten Augen das Vokabular, (...) das uns in Fleisch und Blut übergegangen ist, überhaupt verstehen?"

Tatsächlich gibt sich Liao Yiwu keine Mühe, dem europäischen Blick entgegenzukommen. Man muss schon bereit sein, lesend unversehens bei den Bergbauern in der chinesischen Provinz zu landen und erst allmählich durchzublicken, welche Faktoren das Leben dieser Menschen geprägt haben.

Das ist kein Sachbuch, eher eine Dichtung über "nicht enden wollendes Leiden", unpathetisch, oft lakonisch, dann wieder sehr poetisch beobachtet. Doch entfaltet Liao Yiwu kenntnisreich auch die Geschichte des Christentums in China, angefangen bei den Missionaren, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den verelendeten Bergregionen taten, was die chinesische Regierung versäumte: Sie sorgten für medizinische Behandlung, gründeten Schulen - und lehrten beten. Wer gesund wurde und lesen und schreiben lernte, hatte guten Grund, sich wie zu biblischen Zeiten mit der ganzen Familie taufen zu lassen.

Die kommunistische Revolution verjagte die Missionare und setzte die christlichen Familien dem Volkszorn aus. Das bedeutete "Kampfkritiken", Schläge, Vertreibung und nach der Kulturrevolution das Ganze noch einmal von vorn. Die Christen und Christinnen hörten nicht auf zu beten und das hieß: standzuhalten. Am Ende ist das "europäische Auge" doch gut orientiert in dieser fremden Welt und zugleich verstört, Menschen kennengelernt zu haben, die Unfassliches ertragen haben, ohne verbittert zu sein. Menschen, die einem sehr schlichten Glauben anhängen, der sie in größter politischer Drangsal zum Widerstand befähigt. Menschen, für die das Wort von der "Nachfolge Jesu" viel wörtlicher gilt, als es hierzulande verstanden wird. Ein ganz besonderes Leseerlebnis.

Liao Yiwu: Gott ist rot. Geschichten aus dem Untergrund - Verfolgte Christen in China. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2014, 352 Seiten, Euro 21,90.

Angelika Obert

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