Mon Amour

From Scotland With Love
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Großes Kino im Breitwandsound, dabei sehr persönlich, voller starker emotionaler Momente.

Schottische Schlachtenbummler, unüberhörbar! Sie singen, lachen, sie begrüßen euch. Der Junge war noch klein, ein paar Brocken Englisch konnte er schon. Ein europäisches Clubfinale spülte sie vor euer Stadion. Bestimmt Celtic. Dann fällt ein Hüne wie in Zeitlupe vor euch um und schlägt lang hin. Im Kilt, mit Barett und derangiertem Zahnstand, stumm lächelnd geht er sturzbetrunken sachte in die Knie und kippt gefällt nach vorn. Alles gut, sagen seine Freunde dem Kind neben dir. Und singen und trinken weiter. Das vergesst ihr nie. Auch die Tage in Edinburgh nicht, aber das war viel später, wie der Malt, Ian Rankins Rebus-Romane, John Burnsides Gedichte, die Musik von Frightened Rabbit, Malcolm Middleton oder King Creosote, der eigentlich Kenny Anderson heißt. Er kam 1967 in der Unistadt Saint Andrews zur Welt und ist Schottlands produktivster Singer-Songwriter.

Erst spielte er in Bluegrass-Punkbands, seit Mitte der Neuzigerjahre ist er mit einem Mix aus Folk-, Indierock- und Popelementen King Creosote. Sein Markenzeichen ist die junge umschmeichelnde Stimme. Melancholisch, sehnsuchtsvoll, aber fest. Und für sein Talent, in Songs Geschichten zu erzählen, ist er das perfekte Werkzeug. Darum bat Regisseurin Virginia Heath ihn auch, für den Film "From Scotland With Love" Songs zu schreiben. Das 75-minütige Werk zu den Commonwealth Games in Schottland ist ein komplett aus Archivmaterial zusammengeschnittener Dokumentarfilm, der ohne Kommentar auskommt. Den liefern die Songs. Die Aufnahmen aus dem Leben einfacher Leute zeigen Alltag zwischen Werftarbeit und lärmendem Urlaub im Seebad, Streik, Warten auf die Rückkehr der ausgefahrenen Fischer oder Auswanderung. King Creosotes hinzu erfundene Geschichten überblenden kollektive Vergangenheit und mutmaßlich individuelles Erleben. Erste Lyrics, Auswahl- und Schnittprozess befruchteten sich wechselseitig. Die Songs wirken wie ein Zoom und funktionieren zugleich als autonomes Album, das dabei Lust auf den Film macht. Sie sind gleichsam seine Seele.

Ob schmachtende, in leisem Klagen bereits auf die Enttäuschung vorausgreifende Ballade ("Something To Believe In"), ausgelassen klezmernde Polka ("Largs") oder stadiontaugliche Rebellionshymne ("Pauper's Dough") mit dem ergreifenden Refrain: "You've got to rise above the gutter you're inside/Steh' auf aus dem Elend." Eingespielt wurden die nur zur Gitarre geschriebenen Songs mit Pete Harvey (Cello), Pete MacLeod (Bass), Derek O'Neill (Orgel, Klavier, Keyboards), Andy Robinson (Drums) und Kevin Brolly (Klarinette). Backgroundsängerinnen, Streicher und Mädchenchor kamen hinzu. Großes Kino im Breitwandsound, dabei sehr persönlich, voller starker emotionaler Momente. From Scotland With Love - absolut liebenswert!

King Creosote: From Scotland With Love. Domino Records/Rought Trade 2014.

Udo Feist

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