Zur Zeit Jesu lebten auf der Erde allenfalls 300 Millionen Menschen. Inzwischen ist die Weltbevölkerung auf rund 7,5 Milliarden angewachsen. Und jährlich kommen 78 Millionen hinzu, was in etwa der Einwohnerzahl Deutschlands entspricht. Ist es angesichts solch brisanter Statistik überhaupt vorstellbar, die Menschheit ohne die rigorosen Methoden der modernen Agrarindustrie ernähren zu wollen? Tanja Busse entlarvt jene vermeintlich so effiziente Agrarindustrie als ein "System gigantischer Verschwendung". Das gilt vor allem hinsichtlich der Produktion von tierischem Eiweiß.
Gewiss, unsere heimische Landwirtschaft eilt von Rekord zu Rekord. Sie vermag immer mehr Milch, Fleisch und Eier in immer kürzerer Zeit zu produzieren. Doch "effizient", so Busse, ist das, was da geschieht, keineswegs. Im Gegenteil: Dass wir hierzulande zumeist immer noch an einem reichlich gedeckten Tisch Platz nehmen dürfen, ist das Ergebnis einer äußerst fragwürdigen "Verschwendungs- und Vernichtungslandwirtschaft". Weder mit so kostbaren Ressourcen wie Boden, Wasser und Luft noch mit den uns anvertrauten Tieren wird verantwortungsvoll umgegangen. Und weder bei der Düngung noch beim Einsatz von Pestiziden und Antibiotika wird auf Nachhaltigkeit geachtet.
Busse, die ihre Kindheit auf dem elterlichen Bauernhof verbrachte, hat sich in den vergangen Jahren als Expertin für Landwirtschaft, Ernährung und Konsum einen Namen gemacht. In ihrem Buch über die "Wegwerfkuh" geht es nicht nur um die zum Teil äußerst grausamen Details agrarindustrieller Nutztierhaltung. Hartnäckig wird nach den Gründen gefahndet, die solche Exzesse ermöglichen. Und dabei geraten sowohl Produzenten als auch Verbraucher ins Visier. Die Betroffenen und Handelnden kommen dabei oftmals selbst zu Wort. Das gilt insbesondere für Bauern und Lobbyisten. Und was der Leser dabei an Insiderwissen - etwa über die Missstände bei der Geflügelzucht oder Schweinemast - aufgetischt bekommt, kann einem schon den Appetit nachhaltig verderben.
Die Milchwirtschaft dient Busse als Paradebeispiel für eine verfehlte Agrarpolitik. Dass ein Liter Milch mitunter weniger als eine Flasche Mineralwasser kostet, beruht in der Tat auf extremen Haltungs- und Produktionsbedingungen. Die enormen Anforderungen machen Hochleistungskühe meist schon nach relativ kurzer Zeit krank und führen zu Unfruchtbarkeit. Die natürliche Lebenserwartung einer Kuh ist rund zwanzig Jahre. Bei der "Wegwerfkuh" dauert es kaum drei Jahren bis zum totalen Burnout, und das Tier wird vom Melkstand zum Schlachthof geführt. Die "Wegwerfkuh" steht somit für eine agrarische Revolution, die in Wirklichkeit eine einzige Katastrophe ist. Und zwar für Tier und Mensch. Denn nicht nur das Tier leidet unter der fortlaufenden Intensivierung der Landwirtschaft. Mittlerweile droht die bäuerliche Existenz insgesamt vom Burnout erfasst zu werden.
Das Buch hält, was der Untertitel verspricht: Geliefert wird eine sachlich-detaillierte Recherche, die aufzeigt, "wie unsere Landwirtschaft Tiere verheizt, Bauern ruiniert, Ressourcen verschwendet und was wir dagegen tun können". Letzteres allerdings kommt nur in einigen wenigen - wenn auch durchweg hoffnungsvollen Beispielen - zur Sprache.
Der Hunger in einer überbevölkerten Welt, so das Fazit dieses aufwühlenden Buchs, verlangt nach einer ganz anderen - die Lebensressourcen effizient schonenden - Landwirtschaft. Mehr verantwortungsvolle Produzenten und vor allem mehr bewusste Konsumenten braucht also das Land. Busse entlässt da niemanden aus der Verantwortung. Und recht hat sie: Was ist schon die Qual der Wahl, welche Produkte man nun in den Einkaufskorb legt, im Vergleich zur unsäglichen Qual der Tiere?
Tanja Busse: Die Wegwerfkuh. Wie unsere Landwirtschaft Tiere verheizt, Bauern ruiniert, Ressourcen verschwendet und was wir dagegen tun können. Blessing Verlag, München, 2015, 288 Seiten, Euro 16,99.
Reinhard Lassek
Reinhard Lassek
Reinhard Lassek ist Wissenschaftsjournalist. Er lebt in Celle.