Jetzt wird überall in Deutschland auf dem Lande und in schönen kleinen Städten sommerlich musiziert. Die Fülle der Festspielorte, die bis Anfang September ein Musikprogramm anbieten, ist fast nicht mehr zu überblicken. Man kann in kein Bundesland, keine Ferienregion Deutschlands kommen, ohne nicht mit einem Festival beglückt zu werden. Das beginnt im Norden mit dem Schleswig-Holstein-Musik Festival und den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern, setzt sich fort mit den Gezeitenkonzerten in Ostfriesland, geht weiter zum Rheingau-Musikfestival, den Festspielen in Baden-Baden, den Münchener Oper-Festspielen usw. Und die Kirchen beteiligen sich mit Orgelsommern.
Nun gab es neben den großen Festspielen in Bayreuth und Salzburg schon immer kleinere Musikfeste, etwa die kammermusikalisch orientierten Sommerlichen Musiktage in Hitzacker an der Elbe, die dieses Jahr ihr siebzigjähriges Bestehen feiern. Doch diese sommerliche Musikfestbewegung bekam in den Achtzigerjahren noch einmal einen Schub. Besonders das von Justus Frantz gegründete "Schleswig-Holstein-Musik Festival" erwies sich als ein Erfolgsmodell, das andere Regionen zur Nachahmung motiviert hat. Zwei Entwicklungen kamen zusammen: einerseits die sich immer mehr ausdifferenzierende Musikkultur in Deutschland, zum andern der gehobene Standard der Urlaubsgestaltung in den Ferienregionen. Ermöglicht werden die Festivals zunehmend von Sponsoren aus der Wirtschaft. Kaum ein Konzert ohne Verweis auf einen großen Auto- oder Energiekonzern und die örtliche Sparkasse. Die dahinterstehende Idee ist ja auch überzeugend - den Urlaubern ein Kulturprogramm anzubieten, was zur körperlichen Erholung die Erfrischung der Sinne betreibt. Die barocke Idee des Festes, die der Vergänglichkeit alles Irdischen abgetrotzt war, findet so in den heutigen Musikfestivals eine konsumistische Wiederbelebung.
Illustre Gäste
Eine Erfindung des Schleswig-Holstein-Musik Festivals sind die "Musikfeste auf dem Lande". Unter dem Motto "ein Fest für alle Sinne: Musik und Picknick auf den schönsten Gütern Schleswig-Holsteins" wird auf den ehemaligen Herrensitzen des holsteinischen Adels ein Wochenende lang musiziert und gegessen. So auch auf dem klassizistischen Herrenhaus Emkendorf am Westensee. Hier residierte früher die Familie von Reventlow. Der Wandsbeker Bote Matthias Claudius war hier häufig zu Gast bei Fritz von Reventlow und seiner ebenso frommen wie kunstsinnigen Frau Julia, einer geborenen von Schimmelmann.
Hier fanden Revolutionsflüchtlinge Zuflucht, hier kam der berühmte Zürcher Pfarrer Johann Caspar Lavater zu Besuch und die katholische Fürstin Galitzin. Und dazwischen Claudius. Im Salon der Gräfin hätte er übrigens mit seiner zahlreichen Kinderschar, alle spielten ein Instrument, selbst ein kleines Musikfest gestalten können. So teilte seine Frau Rebecca einmal der Tochter Anna mit, dass ihre Schwestern nach ihrer "Diskantstimme und Klavierspielen (jankern),weil sie allein nichts anfangen können, sie singen also den Clemence de Tito von Mozart, der ist prächtig! Und köstlich. Sing ihn doch auch, der wird dir gefallen."
Im Übrigen ist natürlich die Frage, ob man dauernd in Konzerte gehen muss. Hier sei an eine humoristische Bemerkung von Claudius erinnert, der in einem Brief berichtet: "Die Schöpfung von Haydn wird in den Komödienhäusern und dem Keller-Saal aufgeführt und macht damit mehr Lärm als die eigentliche Schöpfung. Wir haben die von Haydn bis dato noch nicht gehört und behelfen uns mit der andern, so gut wir können."
Information
Das diesjährige Schleswig-Holstein Musik Festival läuft bis zum 30. August 2015
Schleswig-Holstein Musik Festival
Hans-Jürgen Benedict
Hans-Jürgen Benedict
Hans-Jürgen Benedict war bis 2006 Professor für diakonische Theologie an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie des Rauhen Hauses in Hamburg. Seit seiner Emeritierung ist er besonders aktiv im Bereich der Literaturtheologie.