Unentschieden

Neue Luther-Biographie
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Sehr zur Lektüre empfohlen, vor allem für Nicht-Theologen.

Das große Verdienst dieses Buches besteht darin, dass es den Reformator Martin Luther aus seiner Zeit erklärt. Wir erfahren viel über die zeitgenössischen ökonomischen und politischen Verhältnisse Europas. Vor allem erfahren wir viel über die zeitgenössische Theologie und Frömmigkeit, in die Luther hineinwuchs. Indem der Verfasser die enge, fast intuitive Verbundenheit des jungen Luther mit geistlichen Strömungen und ihren Vertretern zeigt, die eine Reform der Kirche anstrebten, wird seine herausragende Rolle besonders deutlich.

Luther war nicht der einzige, der eine Reform der Kirche anstrebte. Bereits in Magdeburg, wo er die Domschule besuchte, vertiefte er bei den Brüdern vom gemeinsamen Leben seine Religiosität, stieß er zu einem verinnerlichten Glauben mit einer starken Christusfrömmigkeit vor. Dort erlebte er, vermutlich noch ohne die Tragweite zu erfassen, dass Humanismus und neue Frömmigkeitsbewegungen kein Gegensatz sein mussten. Als er im Frühjahr 1498 von Magdeburg an die "anspruchsvolle Lateinschule" in Eisenach wechselte, waren die Grundlagen seines theologischen Denkens gelegt. Mit der Absicht, Jura zu studieren, ging er 1501 an die Universität Erfurt. Aber die in Magdeburg und Eisenach erlangte Bildung hatte die Frömmigkeit in ihm so weit verstärkt und geformt, dass er erkannt hatte, mit "einem reinen Kinderglauben" sei es nicht getan, nicht nur das Herz, sondern auch der Verstand müssten beten. Andernfalls würde ein Verstand, der nicht mitbetete, "unbeschäftigt" bleiben und beginnen, über das betende Herz zu spotten.

Zu Beginn des Jahres 1503 legte Luther in Erfurt die Prüfungen zum Magister Artium ab; er hielt die Vorlesungen, die er als Magister an der Philosophischen Fakultät zu halten hatte, und begann im Mai das Jurastudium. Zwei Monate später trat er ins Kloster ein.

Schildert der Schriftsteller Klaus-Rüdiger Mai den jungen Luther bis hierher als einen in Ängsten, Skrupeln und Glaubenszweifeln befangenen Menschen, der sich bis zum Hass auf den strengen "Richter-Gott" verstieg, so stellt er nun glaubhaft und eindringlich seine innere Befreiung dar, die neue Sicht auf die Unmittelbarkeit des Menschen zu Gott. Vorbereitet durch die Lektüre der Mystiker fand Luther aus der Angst vor dem strafenden Gott zum Gehorsam gegenüber dem liebenden Christus.

Immer wieder weist Mai darauf hin, dass Luther Förderer hatte, allen voran seinen Ordensvorgesetzten Johann von Staupitz und seinen Novizenmeister Johann Grevenstein. Letzterer wollte bei seinem Schutzbefohlenen bereits in der Anfangszeit von dessen Ordensleben selbständiges Denken befördern und den unterforderten Intellekt provozieren. Grevenstein wies ihn auf Jan Hus hin, der "unwiderlegt und unüberwunden" verbrannt worden sei.

Mit seinem immer selbständiger werdenden Denken, mit seinem unbedingten Beharren auf dem, was er für richtig erkannt hatte, mit seiner außergewöhnlich gründlichen Bibelkenntnis und mit seiner Frömmigkeit, die sich nicht mit dem Erfüllen äußerer Vorschriften zufrieden gab, sondern eine innere Haltung forderte, hat er die Gleichgesinnten überragt und die Gegner überwunden.

Die Schwäche des Buches liegt in seiner formalen Unentschiedenheit. Es heißt im Untertitel "Romanbiografie", ist aber weder ein Roman noch eine Biografie. Für einen Roman enthält es zu viele theoretische Ausführungen. Die Lebensgeschichte Luthers wird ausführlich bis 1517/1520 erzählt und danach die letzten Lebenswochen. Von dem, was in der Zwischenzeit geschehen ist, wird einiges kurz mitgeteilt. Da die Vorzüge aber eindeutig überwiegen, kann das Buch sehr zur Lektüre vor allem für Nicht-Theologen empfohlen werden.

Klaus-Rüdiger Mai: Martin Luther - Prophet der Freiheit. Kreuz Verlag, Freiburg i. Br. 2014, 447 Seiten, Euro 22,–.

Jürgen Israel

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