Von Profitgier angefacht

Das System Massentierhaltung zur Fleischproduktion gehört abgeschafft
Foto: privat
Die Frage nach den Rechten der Tiere steht auf der Agenda, und die Kirche hat viel nachzuholen.

"Wir hätten es nicht dahin kommen lassen dürfen ...", sagte der Veterinär im Ruhestand erschüttert vor laufender Kamera, als er die von Report-Mainz gesendeten Bilder aus der Ferkelproduktion sah: überzählige Ferkel "an die Wand geklatscht" (taz) und das offenbar zu Hunderttausenden in der Industriemast. Ein ehemaliger Amtsveterinär bittet mich um ein Vorwort für sein von christlichem Geist durchdrungenes Büchlein "... und herrschet über das Vieh... Schwein, Pute und Huhn - Sache oder Mitgeschöpf?" Er hat es seinen Enkeln gewidmet und rechnet nach lebenslanger Erfahrung eines Tierarztes ab mit dem, was der Volksmund "Massentierhaltung" nennt. Ruheständler belasten sich mit Skrupeln.

Auf dem Agrarforum des Dresdner Kirchentages 2011 ließ der Chef des Agrarkonzerns "Wiesenhof" vernehmen: alles unwahr, so dass man sich eigentlich nichts Besseres wünschen könne, als Huhn oder Pute in Herrn Wesjohanns Mastanlagen zu sein. Drei Wochen später dann der Wiesenhof-Putenskandal, ans Tagesicht gebracht durch heimlich gedrehtes Videomaterial. Ja, schwarze Schafe gibt es überall... Nur, dass das langsam keiner mehr glauben will.

Eine Quadratzentimeterethik

"Massentierhaltung" ist ein von ihren Kritikern gebrauchter Begriff. Der Branchenjargon nennt das "Tierproduktion". Dieser Begriff hätte das Zeug zum "Unwort des Jahrhunderts". "Massentierhaltung" ist die Chiffre für ein ganzes System, das notwendig aus verschiedenen Elementen besteht. Die "ärmsten Schweine" sind sicher die Zuchtsauen, die sich in den Ferkelkörben nicht umdrehen können, besamt werden und Ferkel "produzieren" auf Teufel komm raus. Da sind die 24 Hühner pro Quadratmeter in der Mast, von den Batterien ganz zu schweigen. Es mag sich manches geändert haben in der Tierhaltung. Am Ende aber bleibt alles eine Quadratzentimeterethik, die in kleinsten Schritten der Industrie hart abgerungen wurde.

Im System Massentierhaltung werden gigantische Tiermassen "produziert", weit mehr, als unsere Böden ernähren können. Allein im Landkreis Vechta (812 Quadratkilometer) leben mehr Huftiere als im Nationalpark Serengeti/Ostafrika (30?000 Quadratkilometer), so der Biologe Josef Reichholf. Ihr Futter kommt aus den Ländern des Südens. Eiweißreiches Soja wird den Ärmsten genommen, in der Mast verfüttert und hinterlässt die Spur des Hungers. Nur Leistungsfutter bringt Hähnchen in 36 Tagen auf Schlachtgewicht. Zeit ist Geld. Das Brot für die Welt schwimmt in unserer Fleischsuppe. Hier müsste das christliche Gewissen schlagen!

Es sind Qualzuchten, wenn die Skelette die Fleischmassen nicht mehr tragen können, und ohne Verstümmelung geht es auch nicht: Schwänze kupiert, Schnabelspitzen abgebrannt. Dass tut weh. Haben nicht auch Tiere eine Würde und Rechte? Antibiotika sind ins Gerede gekommen. Flächendeckend eingesetzt (2011 waren es 1?700 Tonnen), haben sie multiresistente Keime zur Folge. Was der Mensch den Tieren antut, fällt auf ihn zurück. Ich habe schon Leute beerdigt, die der MRSA-Keim zur Strecke gebracht hat. Punktum: Was wir "Massentierhaltung" nennen, ist ein von Profitgier angefachtes System, das hemmungslos expandiert.

Viele Menschen erwarten ein Wort der Kirche zum Umgang mit unseren Mitgeschöpfen. Die Kirche habe doch ein Faible für die Schwachen und Wehrlosen. Aber sie ist merkwürdig stumm. Tiere waren nie ihr Thema. Im christlichen Unterbewusstsein ist tief verankert, dass allein der Mensch im Mittelpunkt steht und erhaben die Schöpfung krönt als Ebenbild des Schöpfers. "Wir haben zwischen uns und die Tiere eine chinesische Mauer gebaut" (Albert Schweitzer). Kommen Tiere etwa in den Himmel? Antwort: Nein, "sie sind nicht teilhaftig des ewigen Seins" (Thomas von Aquin). Haben Tiere eine Seele, eine unsterbliche zumal? Die hat allein der Mensch! Tiere und Natur sind die Kulisse der Bühne, auf der der homo sapiens erscheint. Tiere sind Sachen und haben die christliche Religion nie interessiert. Das rächt sich nun, denn in der Frage nach einem ethischen Umgang herrscht Ratlosigkeit.

Bibel schweigt nicht

Dabei schweigt die Bibel keinesfalls zur Tierwelt: Mensch und Tier teilen sich den sechsten Schöpfungstag. Adam gibt den Tieren Namen - welch hohe Würde. Tief verwurzelt in der Schöpfung ist der vegetarische Gedanke. Tiere sind nicht einfach zum Essen da (1. Mose 1,29). In der Flutgeschichte schließt Gott einen Bund mit Noah und allem Fleisch und der ganzen Erde. Das ist kaum noch zu überbieten, nur dass wir diesen Bund vergessen. Tiefsinnig reflektiert der Prediger Salomo: "dass die Menschen erkennen müssen, dass sie eigentlich Tiere sind" (Prediger 3,18) und nimmt Darwin vorweg. "Frag doch die Tiere, sie werden's dich lehren, dass da ein Schöpfer ist und ein Geist in allem..." (Hiob 12,7) - die Tiere als Lehrer der Menschen. Der auferstandene Jesus beauftragt die Seinen: "Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur" (Markus 16,15), der franziskanische Gedanke einer universellen Tier- und Schöpfungsliebe erscheint. Hier liegt so vieles auf Halde, was dringend theologischer und ethischer Reflexion bedürfte.

Inzwischen hat sich in der Gesellschaft der Wind gedreht. Das System Massentierhaltung hat die Frage nach dem ethischen Umgang mit unseren Mitgeschöpfen ganz dringlich werden lassen. Die Tierethik ist mittlerweile die bedeutendste Bereichsethik innerhalb der Philosophie. Der bisher im christlichen Abendland unumstößlich gültige homo-mensura-Satz des Protagoras: "Der Mensch ist das Maß aller Dinge", hat ausgedient und eine Ethik, die nur den Menschen sieht, ebenso. Die Biologie erkennt immer tiefer die geschöpfliche Verwandtschaft von Mensch und Tier. Frage: Darf ich Verwandte so behandeln, wie wir Tiere behandeln? Ethik bedeutet, dass dort, wo ich leidensfähigen Wesen Schmerz und Weh antue, die Frage steht: Darf ich das? Wer gibt mir das Recht dazu? "Denn es fühlt wie du den Schmerz", hat schon unsere Oma gesagt. Und ich sehe noch mit Grausen die geschlachteten Kaninchen meiner Kindheit und die abgehackten Köpfe der Hühner. Jeder Mensch trägt doch die Tötungshemmung in sich. Gott sei Dank.

"Der Mensch hat immer Tiere genutzt", ist keine hinreichende Antwort mehr, und mit dem naiven Argument: "Jesus hat auch Fische gegessen", können wir uns in der modernen Ethik nicht mehr sehen lassen. Wir müssen schon tiefer schürfen. Die Frage nach den Rechten der Tiere steht auf der Agenda, und hier hat die Kirche mal wieder viel nachzuholen. "Sind Tiere zum Essen da?" - ist die nächste Frage, die längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Vielen Menschen ist die Fleischeslust vergangen. Der vegetarisch/vegane Gedanke ist stark im Aufwind. Eine gesunde und gewaltfreie Nahrung ist gerade für viele junge Menschen die Antwort auf das System Massentierhaltung und dieses System gehört schlicht abgeschafft.

Clemens Dirscherl: Masse ist per se nicht schlecht

Ulrich Seidel

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