Gotteslob und Emanzipation

Tanz gehört als intensive Ausdrucksmöglichkeit in den Gottesdienst
Foto: privat
Der biblisch viel bezeugte Tanz ist uns abhanden gekommen. Doch das sollte nicht so bleiben, findet Siegfried Macht.

Das Tanzen ist eine dem Menschen gegebene Ein- und Ausdrucksmöglichkeit, vielleicht eine der intensivsten überhaupt, und schon allein von daher gehört sie auch in den Gottesdienst - vorausgesetzt dieser will Menschen in all ihrer Intensität vor unseren Gott bringen.

Wohlgemerkt: Nicht durch unser Tanzen zu Gott bringen. Der in Christus erwirkte Geschenkcharakter unserer Erlösung muss und kann durch keinerlei Methodik ersetzt werden. Somit ist auch all unser liturgisches Feiern "erlöst": Wir müssen gar nichts, aber wir dürfen und sollten, wie ich im Folgenden noch ausführen möchte, (mehr) tanzen. So wie wir beispielsweise unsere Kirchen und ihre Ausstattung als architektonischen und bildhaften Ausdruck unseres Glaubens geformt haben, so wie wir den Gebrauch verschiedenster Musikinstrumente, alles voran die Orgel, integriert haben und so wie wir (hoffentlich noch) singen.

Während vielen von uns die kirchengeschichtlich zugewachsene, biblisch nicht erwähnte, weil noch gar nicht vorhandene, Orgel immer noch als der Inbegriff der Kirchenmusik erscheint, ist uns der biblisch viel bezeugte Tanz abhanden gekommen: Das mag der Emanzipation der Frau vergleichbar ein Bauernopfer der sich zur Staatskirche etablierenden frühen Christenheit im römisch-hellenistischen Kontext gewesen sein - die musste sich lange Zeit von den Nachwirkungen der ekstatischen dionysischen Kulte absetzen.

Stilistik nachrangig

Somit sind wir bei der zentralen Frage: Um welche Art von Tanz geht es? Die Undifferenziertheit, mit der unsere Streitfrage teilweise immer noch diskutiert wird, ist bemerkenswert: Wenn manches Gottesdienst-Werkbuch sich zu dem Hinweis hinreißen lässt, "man kann dieses Lied auch tanzen", so stelle man sich als Gesangbuch bitte einen Gedichtband mit dem Hinweis "man kann diese Texte auch singen" vor.

Dennoch erscheint mir der Hinweis auf künstlerische Sorgfältigkeit gerade auch im Umgang mit den ganz einfachen Formen des Mitmachtanzes nicht als das entscheidende Kriterium. Auch die Stilistik des Tanzes ist nachrangig. Als das Volk Israel aus der ägyptischen Gefangenschaft befreit war, sang Mirjam, musizierte und tanzte: Das ist die eigentlich zusammengehörende (auch "kirchen-") musikalische Trias! Mirjam tanzt mit allem Volk (zumindest mit allen Frauen) und zur Ehre Gottes. Sollte es ein ägyptischer Kulttanz gewesen sein, so hätte ihn nun die neue Beziehungssetzung (um)gewidmet, das bedeutet getauft. Wegen dieses gottgefälligen Singetanzes wird Mirjam als Prophetin erwähnt. Nur am Rande: Mirjams Tanz-Lied-Text betont, dass Gott allein die Ehre gebührt (und nicht zum Beispiel Mose). Ein Blick auf weitere Frauenlieder (Hanna, Debora, Maria), ihren Bezug zur Bewegtheit (Tanz) und zu revolutionärer Emanzipation wäre interessant und hilfreich, würde hier aber zu weit führen.

Wenn Mose etliche Zeit später den Tanz ums Goldene Kalb so verwerflich brandmarkt, ist das keineswegs eine Retourkutsche auf das aufmüpfige Tanzlied seiner Schwester Mirjam. Mose, der dem Volk die guten Worte Gottes, die Zehn Gebote, verkünden wollte - Worte, die dafür sorgen sollten, dass die erhaltene Freiheit nun auch behalten wird - dieser Mose hätte allzu gern das Volk, angeführt von Mirjam und den Frauen, wieder tanzen sehen. Aber um das Wort Gottes und nicht um die Renaissance eines Kulttieres, das in Ägypten (und in der Folgezeit Israels!) ganz anders besetzt war. Mose zürnt eben nicht über den Tanz, sondern über dessen Beweggrund: Was ist deine Mitte? Worum kreist du? ("Woran du dein Herz hängst...").

Muss nicht Mose sein

Ob Mirjam meditativ getanzt hat und das Volk am Goldenen Kalb ekstatisch, ist also nicht die Frage, an der sich die liturgische Eignung entscheidet. Gerade wenn es derselbe Tanz gewesen wäre, hätte Mose Grund zum Zorn gehabt: Was auf Gott zielt, sollte man nicht mehr der Gegenseite widmen: Am Goldenen Kalb tanzt man vielleicht nicht in äußerlich sichtbar anderem Stil aber wohl innerlich mit gewappneten Ellenbogen gegen die Abwärtsbewegung der eigenen Aktien ...

Halten wir fest: Es braucht also auch in unseren Gemeinden nicht immer ein Mose zu sein, der den Tanz anleitet. Es reicht, wenn er das Anliegen seiner Schwester wohlwollend mitträgt, auch wenn er selbst meint, zwei linke Füße zu haben. Man hört viel von "Meditativem Tanz", und wenn der dann noch mit Tüchern oder sehr viel Gestik erhobener Arme stattfindet, wähnen sich (insbesondere deutsche) Männer in der "Hände-hoch-Szene" eines Krimis oder Westerns und verlassen (solch pathetische Ungeschütztheit nicht ertragend) fluchtartig den Kirchentagssondergottesdienst. Das ist allzu verständlich - obwohl gerade diese sich auf Gott einlassende Schutzlosigkeit jüdischen und christlichen Gebets- und Segensgesten eine typische Haltung verliehen hat. Dennoch möchte ich augenzwinkernd den Begriff "Diakonischer Tanz" einführen und bei der Einführung des Tanze(n)s in unsere Gemeinden und Gottesdienste um mehr gegenseitige Barmherzigkeit bitten: Mann und Frau, jung und alt, Geübte und Ungeübte fühlen und wollen nun einmal anders. Aber das Problem haben wir nicht nur beim Tanz, und wir müssen an all solchen Stellen immer wieder neu um eine praktikable Lösung ringen.

Gemeinden und Gottesdienste, Frau und Mann tanzen? Reicht es nicht beim Gemeindefest (aber bitte nicht Tanz im Altarraum!) und sind es nicht fast immer nur die Frauen? 2. Samuel 6 stellt solche (Vor-)Urteile auf den Kopf: David tanzt vor der Bundeslade und macht sich darin allem Volk gleich: Tanz scheint hier also als ideale Verbindung von Gotteslob und Emanzipation auch aus Männerperspektive möglich zu sein, denn dieses Mal ist (s)eine Frau die Bedenkenträgerin. Und: David tanzt nicht irgendwo, sondern vor dem Allerheiligsten. Sollten nicht auch wir dort mehr tanzen?!

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Siegfried Macht

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