Friedensstifter gescheitert

Der Beginn des Ersten Weltkrieges zeigt auch das Versagen pazifistischer Bewegungen
Britische Soldaten in Belgien (1915). Foto: dpa/ Ernest Brooks
Britische Soldaten in Belgien (1915). Foto: dpa/ Ernest Brooks
Die Gedenkmaschinerie läuft auf Hochtouren, im Juli jährt sich zum einhundertsten Mal der Ausbruch des Ersten Weltkrieges. zeitzeichen wird sich in seinem Juli-Schwerpunkt ausführlich mit der Rolle der Kirchen beschäftigen. Zuvor blickt Rupert Neudeck, Gründer der Hilfsorganisation Grünhelme, in einige aktuelle Bücher zum Thema.

In all den vielen Büchern und Artikeln, die sich mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges vor einhundert Jahren beschäftigen, kommt ein Thema zu kurz: das Scheitern des Pazifismus. Und damit nicht nur das Scheitern der ausdrücklich pazifistischen Bewegungen, wie etwa die Liga der Rotkreuz-Gesellschaften oder die von der Schriftstellerin und späteren Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner gegründeten Gesellschaften. Ich beziehe das auch auf das Scheitern der nicht ausdrücklich als Pazifisten auftretenden Gruppen. Solche fanden sich unter den Anhängern der Ersten und Zweiten Internationale in den Reihen der Sozialdemokratie und der Kommunistischen Partei. Ebenso meine ich auch die in dem Buch von Adam Hochschild besonders und immer wieder erwähnten Sufragetten (Frauenrechtlerinnen), die sich ja auch als emanzipationsbegierige Frauen von vornherein international und das heißt auch pazifistisch verstanden. Schließlich muss man auf das totale Scheitern der Friedensbotschaft der internationalistischen Sozialisten und Kommunisten hinweisen wie auch auf das der christlichen Kirchen.

Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler zitiert in seinem Buch den Hirtenbrief der deutschen katholischen Bischöfe vom 13. Dezember 1914, mit dem alle kriegsbegeisterten Generäle und Offiziere wie auch die Waffenhersteller sehr gut leben konnten. Darin heißt es: "Der Krieg hat vor sein Gericht geladen die moderne, widerchristliche, religionslose Geisteskultur und hat ihren Unwert, ihre Hohlheit und Haltlosigkeit, ihre Schadhaftigkeit aufgedeckt." Danach folgen als Legitimation des Krieges diese Sätze: "Auch in unser Vaterland war diese Kultur schon bedrohlich eingedrungen, und eine ihrem ganzen Wesen nach unchristliche, undeutsche und ungesunde Überkultur mit ihrem ganzen Firnis und ihrer Fäulnis, mit ihrer rohen Geldsucht und Genußsucht, mit ihrem ebenso anmaßenden wie lächerlichen übermenschlichen Tun, mit ihrem ehrlosen Nachäffen einer fremdländischen verseuchten Literatur und Kunst und auch der schändlichsten Auswüchse der Frauenmode." Das sei "unseres Volkes und daher unsere große und größte Schuld". Sie fordere Buße und Sühne.

Auch in der evangelische Kirche wurde solch theologisch angehauchter Unfug formuliert: "Gib Du, Herr, uns den Sieg, auf den wir hoffen. Gib unseren Streitern Mut und Glauben, dass sie treu ihre Pflicht tun bis in den Tod!", sagte der Theologe Adolf von Harnack am 1. August 1914 vor Studenten, von denen viele auf den Kriegsfeldern verheizt wurden: "Wir treten in die Zeit der Opferfreudigkeit."

Dabei hätte eine Besinnung auf die Friedensbotschaften des Neuen Testaments durchaus Aufruhrpotenzial in sich getragen. Nicht umsonst berichtet Adam Hochschild, dass der britische Premierminister David Lloyd George dem Mathematiker und Wissenschaftler Bertrand Russell, der als Kriegsgegner den militärischen Dienst verweigerte, erklärte: Er werde nicht zögern, "jemanden für die Veröffentlichung der Bergpredigt vor Gericht zu stellen", wenn sie die Kriegsanstrengungen beeinträchtige.

Doch solche Sorgen waren unbegründet, nicht nur die Kirchen, sondern auch die politische Linke stimmte in das Kriegsgeschrei ein. Von internationalem pazifistischen Aktionismus, um das entsetzliche Schlachten abzuwenden, finden sich wenige Spuren. Im Gegenteil: Die spd im Reichstag bemühte sich sogar noch, die Heldenrolle auch für die Unterschichten zu reklamieren. Der Krieg galt nämlich als ein Krieg der Mittelschichten, die nach eigener Darstellung mit den Kampfhandlungen die Aufgaben der Aristokratie übernommen hätten. Damit waren die Sozialdemokraten nicht einverstanden; sie verwiesen auf die militärischen Leistungen von Arbeitern und bezogen damit eine nationalpatriotische Position. Viele spd-orientierte Arbeiter traten als Unteroffiziere an und wurden so etwas wie "Vorarbeiter" in der Truppe. Sie setzten aber auch nur um, was von oben befohlen wurde. Man wurde zum "Helden" oder zum "Drückeberger".

"Schlimmer denn je"

Das Heldentum wurde in Deutschland so stark gefördert, dass die Friedensbewegung keinen Raum zum Atmen fand. Die große Organisatorin der Pazifismus-Bewegung Bertha von Suttner starb am 21. Juni 1914 und musste das Entsetzen des vierjährigen Massenmordens nicht mehr eigenen Auges mit ansehen. Sie muss jedoch in den Jahren und Monaten vor dem Ausbruch des Krieges geahnt haben, was kommen sollte. Bei Brigitte Hamann lesen wir einen Bericht von Stefan Zweig. Der Schriftsteller traf sie im Mai 1913 zufällig auf der Straße: "Sie kam ganz erregt auf mich zu. 'Die Menschen begreifen nicht, was vorgeht', schrie sie ganz laut auf der Straße, so still, so gütig gelassen sie sonst sprach. 'Das war schon der Krieg, und sie haben wieder einmal alles vor uns versteckt und geheim gehalten. Warum tut ihr nichts, ihr jungen Leute? Euch geht es vor allem an! Wehrt euch doch, schließt euch zusammen! Lasst nicht immer alles uns paar alte Frauen tun, auf die niemand hört'." Stefan Zweig berichtete ihr, er fahre nach Paris, um vielleicht wirklich eine gemeinsame Manifestation zu versuchen. "Warum nur vielleicht?", schrie und drängte die Suttner: "Es steht schlimmer als je, die Maschine ist doch schon im Gang."

Auch ein De-facto-Pazifismus in Gestalt von Desertationen und Deserteuren, den man in den Stellungskriegen mit den Zigtausenden von Toten auch hätte erwarten können, stellte sich nicht ein. Zwar wurden mit einem Schlag bei der Schlacht in Galizien 90?000 russische Soldaten gefangen genommen, aber auf die machtvolle Idee, dass, wenn alle aus den Schützengräben heraussteigen und nicht mehr mitmachen, der Krieg zu Ende wäre, kamen die machtvollen Massen der Riesenheere nicht.

Die Anzahl der Deserteure im deutschen Heer waren im Vergleich zu den Deserteuren der Armeen der multinationalen Imperien eher gering. Schließlich konnte bei ihnen der Nationalismus eingesetzt werden, "um die Opferbereitschaft einer Gesellschaft zu steigern". Allerdings, so schreibt Münkler, hing die Zahl der Deserteure auch davon ab, wie man Desertion definierte. Je länger dieser furchtbare Krieg andauerte, der uns auf allen Friedhöfen in Mitteleuropa noch entgegengähnt, desto mehr tauchte der Begriff Drückeberger auf. Als Drückeberger galten auch die, die sich um einen Arbeitsplatz in der kriegswichtigen Rüstungsindustrie bemühten und deswegen freigestellt wurden.

Dass die große Bewegung des Roten Kreuzes, 1859 von Henri Dunant auf den Schlacht-Blutfeldern von Solferino gegründet, irgendetwas mit dem Bemühen, die Kriege und Armeen abzuschaffen, also "Präventivfrieden" zu stiften, zu tun gehabt habe, kann man wahrlich nicht sagen.

Tragödie Rotes Kreuz

Auch die neueste Darstellung der Geschichte des Deutschen Roten Kreuzes von Stefan Schomann lässt uns darüber nicht im Unklaren. Das Rote Kreuz fügte sich "nahtlos in die Kriegsmaschinerie ein". Wo hört die Verwundetenpflege auf, wo fängt die Kriegstreiberei an? Das war wohl damals im Ersten Weltkrieg keine Frage. Deutschland erlebte eine "große Zeit" und die Hilfsgesellschaft des Roten Kreuzes mit ihm. In der Rot-Kreuz-Mitgliederzeitschrift heißt es in einem Neujahrsgruß 1915: "Das Rote Kreuz ist das Rückgrat unseres Heeres. Es ist die allgemeine 'Dienstpflicht' aller nicht Wehrpflichtigen. Hier kann und muss jeder Deutsche, ob Mann oder Frau, Greis oder Kind, dienen und damit dem Vaterlande zum Sieg verhelfen."

Es gibt nur ganz wenige Einzelpersonen, die als Ausnahme die Regel verletzen. Armin T. Wegner wird nach der Schlacht von Tannenberg leitender Pfleger eines Lazaretts an der Ostfront, dann geht er in die Türkei. Er wird Augenzeuge von Gewalttaten und Brutalität an den Armeniern, als er von Aleppo nach Bagdad zieht. Wegner besucht die Lager der Armenier, schmuggelt Briefe heraus, bemüht sich in Deutschland vergeblich um Öffentlichkeit. Aber Ignoranz und Zensur bilden eine Mauer. Der Türkische Rote Halbmond negiert die Berichte Wegners. Auch das Internationale Rote Kreuz bleibt unberührt.

Hier wird die Tragödie des Rot-Kreuz-Pazifismus deutlich. Wegner muss auf Distanz zum Roten Kreuz gehen, "als Pazifist stehe er eher links". Er beklagte in einem Brief an seine Mutter die unmenschliche Behandlung britischer Kriegsgefangener durch die Türken. Daraufhin wird er 1917 nach Deutschland strafversetzt. So endet auch diese Phase der Leidensgeschichte des pazifistischen Geistes.

Man darf die bescheidenen Anstrengungen der Rot-Kreuz-Gesellschaften bis hin zum Suchdienst - den es schon im Ersten Weltkrieg gab - nicht verachten. Im Genfer Museum Rath wird im August 1914 eine internationale Agentur eingerichtet, die Kriegsgefangene registrieren und den Briefverkehr zwischen ihnen und den Angehörigen organisieren soll. Stefan Zweig hat diese Dienste in das richtige Verhältnis eingebunden. Das Rote Kreuz, sagte er nach einem Besuch der Genfer Agentur, habe inmitten des Grauens den Menschen die "grimmigste Qual abzunehmen: Die Ungewissheit über das Schicksal geliebter Menschen". Wenig genug, aber immerhin konnte das wenigstens dann geschehen.

Kann man sich damit trösten, dass man, wie Herfried Münkler, sagt, den Pazifismus habe es organisiert 1914 bis 18 noch gar nicht gegeben? Kaum. Versager waren die drei Internationalen: Sozialisten, Katholiken, Hocharistokratie. Bis heute ist der organisierte wie der indirekte Pazifismus der zwei übriggebliebenen Internationalen nicht so stark, dass er irgendetwas bestimmen könnte.

Literatur

Adam Hochschild: Der Große Krieg. Der Untergang des Alten Europa im Ersten Weltkrieg. Klett-Cotta, Stuttgart 2013, 525 Seiten, Euro 26,95.

Herfried Münkler: Der Große Krieg. Die Welt 1914 bis 1918. Rowohlt Verlag, Berlin 2013, 928 Seiten, Euro 29,95.

Brigitte Hamann: Bertha von Suttner. Brandstätter Verlag, Wien 2013, 320 Seiten, Euro 25,-.

Stefan Schomann: Im Zeichen der Menschlichkeit. Geschichte und Gegenwart des drk. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2013, 384 Seiten, Euro 24,99.

Rupert Neudeck

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