Schwarze Wasser

Messer: Musik aus Münster
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Nach ihrem gefeierten Debut "Im Schwindel" haben Messer nun mit "Die Unsichtbaren" das zweite Album vorgelegt. Von der oft zitierten Kreativitäts- und Qualitätsklippe beim Zweitling keine Spur, eher von Quantensprung.

Hendrik Otremba ist ein schmaler junger Mann aus Recklinghausen, den es nach Münster verschlagen hat. Er hat blondes Haar und blaue Augen, liebt Musik, Literatur und Malerei. Er schreibt Texte und findet nichts dabei, einen schmalen Oberlippenbart zu tragen, wie das "Neonlicht"-Video zeigt. Otremba ist Sänger der verstörend guten Band Messer, die sich keinem Trend zurechnet. Blogger Jan Hagemann schrieb: "Echt die einzige Studentenband, der ich nichts an die Mappe hauen will!" Nach ihrem gefeierten Debut "Im Schwindel" haben Messer nun mit "Die Unsichtbaren" das zweite Album vorgelegt. Von der oft zitierten Kreativitäts- und Qualitätsklippe beim Zweitling keine Spur, eher von Quantensprung. Ihre Intensität verdient es, mit Hans Platzgumers jüngstem Roman "Korridorwelt" in einem Atemzug genannt zu sein. Gleich der erste Satz des Albums sitzt: "Wir beginnen mit dem Stück 'Angeschossen'". Nach alarmierendem Gitarrenintro folgen zu rollendem Bass Zeilen wie diese: "Denn die Straßen tragen keine Schilder und alles dreht sich wie im Kreis. Bitte sprich, oh sprich mit mir, ein Karussell, die Nacht so heiß, heiß" ..., die Otremba mit metallischer Stimme drangvoll auf den Amboss von Sehnsucht und gewieft lyrischer Indie-Rock-Gewalt drischt. Pascal Schaumburg (Gitarre), Pogo McCartney (Bass) und Philipp Woste (Drums) agieren dazu als Kraftwerk, das gekonnt Anleihen bei den starken Achtzigerjahren macht.

Wobei Messer trotz Wiedererkennbarkeit fortlaufend Entdeckungen erlaubt. Eine gelungene Ankunft in den 2010er-Jahren! Da fällt "Tollwut (mit Schaum vor dem Mund)" in druckvollen Gang-of-Four-Sound, der den Song trägt: "Während ich dich nach der Vergangenheit frage, passiert so viel damit. (...) Während ich dich nach dem Abgrund frage, machst du den letzten Schritt". Messer sind drangvoll, ohne zu dramatisieren, haben Anliegen und Fragen an sich, die Welt, an uns. Sie kommen daher wie ein klassischer Noire-Krimi in Schwarzweiß - und sind doch ganz Gegenwart.

Beeindruckend, wie sie mal an Fehlfarben ("Platzpatronen"), die Bauhaus-Platte "In the Flatfield" ("Tiefenrausch") oder den dichten Gitarrenflor von The Chameleons erinnern ("Süßer Tee"), ohne je an Zitatrausch oder Epigonentum zu gemahnen. Dabei hat die Zusammenarbeit mit Produzent Tobias Levin dem Sounddesign spürbar gut getan. "Die Unsichtbaren" taugen zur Erweckung: Der Drang nach vorn zur Bühne ist groß, wenn Otremba singt: "Wie eine Spinne von einer Lampe, lass' ich mich herab" ("Die kapieren nicht"). Sogar die dicht an Tränen gebaute Synthie-Melancholie von "Neonlicht" können sie sich leisten. Um es mit Joy Division zu sagen: "Here are the young men - the weight on their shoulders!"

Messer - Die Unsichtbaren. This Charming Man Records 2013.

Udo Feist

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