Bunker Gottes

Über Beton im Kirchbau
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Ist in der Freiheit und Kühnheit, die der Beton ermöglicht, nicht eine den Kirchen unangemessene Hybris angelegt?

Die ersten beiden Sätze beschreiben das Problem: "Zahlreiche Kirchen entstanden in Deutschland nach dem Krieg, viele aus Beton. Aber nur wenige dieser Betonkirchen werden auch geliebt." Und das wirkt sich nun, da viele der Betonkirchen aus den Sechzigerjahren pflegebedürftig werden, fatal aus: Statt sich liebevoll um sie zu kümmern, nutzt so manche Gemeinde die Chance und trennt sich von dem Bau.

"Kann man auch Beton lieben lernen?", fragt Thomas Erne, Leiter des EKD-Instituts für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart in Marburg, in der oben erwähnten Einleitung des von ihm und dem Kunsthistoriker Jörg Probst herausgegebenen Bandes. Darin machen sich unterschiedliche Experten Gedanken um das von modernen Baumeistern so gern genutzte und von den Nutzern der Gebäude oft so geschmähte Material, seine Geschichte und auch die theologischen Implikationen, die nicht widerspruchsfrei sind und das Befremden zum Teil erklären können.

Schon die römischen Baumeister benutzten eine Art Beton zum Beispiel für den Bau des Kolosseums oder des Pantheons, sparten sich aber ästhetische Debatten, indem sie den opus caementitium hinter Marmor, Ziegel oder anderen schmückenden Materialien versteckten. Das Wissen um diesen Baustoff ging dann über Jahrtausende verloren, erst im 18. Jahrhundert wurde er wiederentdeckt und gewann im Zuge der Industrialisierung an Bedeutung. Christian Fuhrmeister vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München und Klaus Jan Phillipp, Leiter des Instituts für Architekturgeschichte in Stuttgart, beschreiben in ihren Beiträgen den Siegeszug des neuen Baustoffs, aber auch die damit verbundene emotionale Aufladung. "Beton wurde seit dem 1. Drittel des 20. Jahrhunderts zum Inbegriff von Internationalität", heißt es bei Fuhrmeister. Denn dieser Stoff konnte, anders als traditioneller Naturstein, weltweit als Kunstprodukt erstellt und benutzt werden und ermöglichte neue Freiheiten bei der Gestaltung von Gebäuden oder Kunstwerken. Deshalb galt Beton auch, aber gewiss nicht nur, unter den Anhängern des Sozialismus als die kongeniale Entsprechung einer neuen Gesellschaft im Aufbruch. Doch Fuhrmeister weist darauf hin, dass dieser Universalität und Standardisierung auch Austauschbarkeit und Ortlosigkeit innewohnt - ein erster wichtiger Hinweis für die verkorkste Liebe zu Betonkirchen.

Auch das Militär nutzte Beton weidlich für die Errichtung von Bunkern. Das Gefühl, in einem Bunker zu sitzen, das einen in den Bauten des "Brutalismus" hin und wieder beschleicht, ist in der Ikonographie des Materials bereits angelegt - und von dem ein oder anderen Architekten auch gewünscht, wie der Architekt Frank Seehausen zeigt. Denn sie hatten oft als junge Menschen den Krieg an der Front erlebt. Ein Bunker bedeutete für sie physischen und psychischen Schutz, was die Idee einer Kirche, die zum "Bunker Gottes" wird, erklären mag. Gleichzeitig waren in den Sechzigerjahren aber die angstvollen Stunden des Wartens im Bunker noch Teil des Kollektivgedächtnisses - die Ambivalenz der Gefühle wird deutlich.

Doch es gibt noch eine dritte Eigenschaft des Betons, die auch theologisch auszudeuten ist: Die scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten, die Freiheit und Kühnheit, die er ermöglicht. "Der Architekt wird mit diesem Baustoff zum alter deus, zum Schöpfer und Erfinder sowohl seines Materials als auch seiner Formen", schreibt Thomas Erne. Ist darin nicht eine den Kirchen unangemessene Hybris angelegt? Oder ist dies die konstruktive Entsprechung der religiösen Freiheit, die das Christentum ermöglicht?

Am Ende des Bandes mit seinen meist auch für architektonische Laien mit Gewinn zu lesenden Beiträgen gelingt es gewiss nicht jedem, den Beton zu lieben. Aber die Lektüre hilft, ihn und die Gefühle, die er auslöst, besser zu verstehen. Und das kann ja ein erster Schritt sein.

Thomas Erne/Jörg Probst (Hg.): Beton: Idee und Material im Kirchenbau. Jonas Verlag, Marburg 2014, 112 Seiten, Euro 20,-

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Stephan Kosch

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