Schönwetter aus dem Elfenbeinturm
Vom damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder wurde berichtet, ein Referent hätte bei Vorbereitung einer Rede nachgefragt, was Schröder denn im Text haben wollte. Die Antwort: "Am Ende muss es nur tosenden Beifall geben." Als ich die neuen Leitlinien für die Afrikapolitik der Bundesregierung las, hatte ich auch die Vorstellung, sie seien vor allem dazu geeignet, den Regierungsflieger bei Ministerreisen nach Afrika mit Wirtschaftsvertretern zu füllen. Vor 50 Jahren wäre das Papier zeitgemäß gewesen, allerdings wäre es da noch ohne das ganze Nachhaltigkeitsgeschwurbel und andere moderne politisch korrekte Semantik ausgekommen.
Das Papier ist auf Optimismus, Aufbruch und hohes wirtschaftliches Potenzial ausgerichtet. Dabei besteht für uns Afrikafreunde die Hoffnung ja darin, dass die Eliten in den 54 Ländern des Kontinents endlich begreifen, wie elendig weit sie vom Aufbruch und von der Teilhabe am globalisierten Weltmarkt noch entfernt sind. Afrikafreunde: der Begriff ist deshalb so schwierig, weil wir ja gelernt haben, dass es den Kontinent eben noch nicht gibt. Die panafrikanischen Träume, mit Kwame Nkrumah beginnend und mit Mohammed Gaddafi endend, sind zerstoben. Zu sagen, dass die Afrikanische Union es bisher zu irgendetwas im internationalen Verbund gebracht hätte, wäre tollkühn.
Stabilität nehme in Afrika "entgegen verbreiteter Wahrnehmung generell zu", heißt es zu Beginn der Leitlinien. Das klingt fast wie eine theologische Wohlfühlvermutung. Diese"verbreitete Wahrnehmung" kommt von uns Journalisten, humanitären Helfern und Diplomaten, die sich kaum in den Hauptstädten dieser Länder bewegen können. Der Außenminister kann demnächst nach Mogadischu, Kisimayo, Bamako, Juba, Malakal oder Bangui oder wohin auch immer reisen. Er liest vorher: "Demokratische Institutionen und Entwicklungen haben sich in vielen Jahren konsolidiert und eröffnen Wachstumspotentiale für dynamische Gesellschaften". Das ist natürlich wahr, der junge Teil dieser Gesellschaften ist so dynamisch, dass er es unter der Käseglocke korrupter Regime kaum mehr aushält und sich auf den Weg nach Europa macht.
Zwischenüberschrift
Das Papier gibt nicht eine Antwort auf die Herausforderungen, die der Kontinent mit der unglaublich jungen Bevölkerung für das demographisch-schwache Europa darstellt. Die Grundfrage wird nicht geklärt: Gibt es eine EU-Politik für Afrika, in der Deutschland wie den anderen großen Ländern ein klarer Platz zugewiesen wird? Oder ist das Europäische an dieser Politik, dass alle Mitgliedstaaten mit ihren nationalen Afrikapolitiken weiter herumwurschteln im sacro egoismo?
Bis heute hat die deutsche Afrikapolitik es nicht geschafft, sich auf einzelne Länder zu konzentrieren, die dann mehr Chancen hätten, Zugang nach Europa und zum globalisierten Weltmarkt zu bekommen. Die Landwirtschaft sei ein Kernbereich der Volkswirtschaften in Afrika, heißt es in dem Papier. Nachdem die EU durch subventionierte Landwirtschaftsexporte Teile davon in den letzten Jahrzehnten kaputt gemacht hat, ist das eine antiquierte Einsicht.
Das Papier ist im Optativ geschrieben. Denn der afrikanische Kontinent ist an Fragilität nicht zu überbieten. Die "Dritte Welt" gibt es nicht mehr wie noch vor 50 Jahren, aber es gibt einen Kontinent, der die wirtschaftlichen und politischen Sorgen bündelt: Afrika. Die Hilflosigkeit der Afrikanischen Union angesichts der Bürgerkriege und der von außen intendierten Terrorgruppen ist nicht mehr zu überbieten. Wenige Ausnahme verletzten diese Regel: Ruanda, Ghana, Tansania, aber auch das schreibe ich nur mit zitternder Feder. Auch diese Staaten sind noch nicht konsolidiert. Nur Botswana und die Insel Mauritius sind es. Aber was sagt das über alle 54 Staaten Afrikas?
In vielen Ländern Afrikas bereiten senile Staatschefs eine Änderung - genauer gesagt einen Bruch - der Verfassung vor, um bis ans Ende aller Tage Präsident sein zu können. So etwa Museveni in Uganda, Afeworki in Eriträa, Mugabe in Zimbabwe.
Kurz, wer durch ein solches Schönwetterpapier meint, dem jungen Afrika etwas Gutes zu tun, lebt im Elfenbeinturm. Die Beschwörung der Wichtigkeit und Rolle der nordafrikanischen Staaten hat bereits ein großer Afrikapolitiker zu Zeiten Willy Brandts erkannt: Paul Frank, der die Konzentration außen- und entwicklungspolitischer sowie wirtschaftlicher Anstrengungen in den Ländern "um den Tisch des Mittelmeeres" anregte. Das war vor 40 Jahren.
Nein, das Papier ist die Blaupause von dem, was vor 50 Jahren uns noch gerade gut angestanden hätte. Darüber wurde nur mal die politisch korrekte Semantik gegossen.
Rupert Neudeck ist Journalist, Gründer der Hilfsorganisation Cap Anamur/Deutsche Notärzte und Vorsitzender des Friedenskorps "Grünhelme".
Rupert Neudeck