Lackmustest Dialog

Warum das Miteinander von Christen und Muslimen über die Zukunft Ägyptens entscheidet
Dialogkonferenz in Kairo (von links): Der evangelische Pfarrer Kamal, Scheich Omar Abdallah und der koptische Priester Barnaba. Foto: Katja Dorothea Buck
Dialogkonferenz in Kairo (von links): Der evangelische Pfarrer Kamal, Scheich Omar Abdallah und der koptische Priester Barnaba. Foto: Katja Dorothea Buck
Fällt Ägypten wieder zurück in die Mubarak-Zeit? Wer wissen will, ob die neuen Machthaber am Nil am demokratischen Umbau der ägyptischen Gesellschaft wirklich interessiert sind, sollte ein Auge auf die Religionsgemeinschaften haben. Das Miteinander von Christen und Muslimen funktioniert derzeit besser denn je, hat die Journalistin Katja Buck während ihrer Reise festgestellt.

Soll einer noch verstehen, was derzeit am Nil abläuft. Als sei in den vergangenen dreieinhalb Jahren nichts geschehen, setzt das Wahlvolk seine Hoffnung wieder auf das Militär und schenkt dem ehemaligen Militärchef, Feldmarschall Abdel Fattah al-Sisi, so gut wie alle abgegebenen Stimmen. Haben die Menschen am Nil vergessen, dass sie sich erst im Januar 2011 von einer jahrzehntelangen Militärdiktatur befreit hatten? Die ganze Welt hatte damals mit den Ägyptern dieses historische Ereignis bejubelt und es als Sieg der Demokratie gefeiert. Und jetzt sieht alles so aus, als würde Ägypten wieder zurückfallen in die Zeit vor den Tagen auf dem Tahrir-Platz.

Im Land am Nil wurden allerdings mitnichten die Uhren zurückgedreht. Vielmehr leben die Ägypterinnen und Ägypter seit jener ersten Revolution im Ausnahmezustand. Politisch und gesellschaftlich wurde das Unterste zuoberst gekehrt - im wahrsten Sinne des Wortes. Die Muslimbrüder, die unter Mubarak lange Zeit im Untergrund gelebt hatten, waren im Sommer 2012 über die ersten freien Wahlen an die Macht gekommen und hatten sofort damit begonnen, das Land in einen islamischen Staat zu verwandeln. Doch binnen Jahresfrist standen wieder Millionen Menschen auf der Straße und forderten Anfang Juli 2013 das Ende des islamistischen Experiments. Das Militär griff schließlich ein, setzte Mohammed Mursi ab und eine Übergangsregierung ein. Eine neue Verfassung wurde erarbeitet und Anfang des Jahres mit überwältigender Mehrheit verabschiedet. Das Positive gleich vorweg: Zum ersten Mal sind in Ägypten ganz offiziell Frauen und Christen gleichberechtigt.

Touristen im Visier

Die Muslimbruderschaft dagegen gilt mittlerweile als Terrorvereinigung und das nicht ganz zu Unrecht. Seit dem Sturz Mohammed Mursis nehmen sie diejenigen ins Visier, die sie für diesen Machtverlust verantwortlich machen: die Christen und die Sicherheitskräfte. Zahlreiche Anschläge auf Kirchen und Polizeistationen gehen auf ihr Konto. Im August 2013 zerstörten sie 62 Kirchen, Klöster und christliche Einrichtungen. Im Oktober starben fünf Menschen bei einem Attentat auf eine christliche Hochzeitsgesellschaft in Kairo. Und im Februar dieses Jahres sprengte eine Terrorgruppe im Sinai einen Bus mit Ausländern in die Luft. Auch den Touristen haben die Muslimbrüder mittlerweile den Kampf angesagt. Das hat seine eigene Logik, denn Ägypten ist dringend auf Devisen angewiesen. Sonst kann das Land mit der rasant wachsenden Bevölkerung auf dem Weltmarkt den dringend benötigten Weizen oder den Treibstoff nicht mehr einkaufen. Wer also den Devisenbringer Nummer eins, den Tourismus, schädigt, bringt das gesamte Wirtschaftssystem am Nil ins Wanken - und die politischen Machthaber in die Bredouille.

Mit brutaler Gewalt gehen die Sicherheitskräfte gegen jeden vor, der irgendwie mit den Muslimbrüdern in Verbindung steht. Oft genug schießen sie dabei übers Ziel hinaus. Journalisten kann es zum Verhängnis werden, wenn sie mit Muslimbrüdern ein Interview führen wollen. Kinder wurden bereits verhaftet, nur weil sie auf ihrem Schulranzen einen Aufkleber mit einem Symbol der Muslimbruderschaft geklebt hatten. Und im oberägyptischen El-Minya trieb der Richter Said Yusuf den Kampf gegen den Terror vollends auf die Spitze, als er im März 529 und Ende April 683 Muslimbrüder zum Tode verurteilte. Die internationale Gemeinschaft reagierte jeweils mit scharfem Protest. In Ägypten dagegen regte sich - abgesehen von ein paar wenigen Menschenrechtlern - niemand auf. Es fällt schwer, das alles zu verstehen. Nach dreieinhalb Jahren der politischen Umbrüche und gesellschaftlichen Experimente wünschen sich die Ägypter vor allem eins: Sicherheit und Stabilität. Und die scheint das Militär, alias Abdel Fattah al-Sisi, mehr als jede andere Kraft zu garantieren. Ob nun aber die Rückkehr in Mubaraks Zeiten eingeläutet ist, darf vorerst in Frage gestellt werden. Die Erfahrungen, welche die Menschen in Ägypten in den vergangenen dreieinhalb Jahren gemacht haben, kann ihnen niemand mehr nehmen. Und das ist gut so.

Da wäre zum einen die so genannte Sofapartei. Der Volksmund hat all jene Millionen Menschen so getauft, die bei den Protesten gegen die Muslimbrüder zum ersten Mal auf die Straße gingen oder, um im Bild zu bleiben, erstmals die Politik nicht mehr nur am Fernseher auf dem Sofa sitzend verfolgten. Es sind vor allem einfache Bürger, die normalerweise die Frage nach dem täglichen Brot mehr umtreibt als die Frage nach der politischen Ausrichtung Ägyptens. Im Sommer 2013 haben sie erlebt, dass sie mit ihren Protesten doch etwas verändern können. Sie werden jede Regierung, egal welcher Couleur, daran messen, ob ihr Alltag leichter oder schwerer wird. Im Zweifelsfall gehen sie wieder auf die Straße zum Demonstrieren. Sie haben nicht viel zu verlieren.

Die Opfer sind Männer

Die neuen Machthaber müssen aber auch die junge Generation im Blick behalten. Keine andere Gruppe hat in beiden Revolutionen eine so wichtige Rolle gespielt. Und keine hat einen so hohen Preis bezahlt. Die meisten Opfer der Umbrüche sind junge Männer. Der ägyptische Arbeitsmarkt bietet den vielen oft gut ausgebildeten, jungen Ägypterinnen und Ägyptern derzeit keine Chance. Entsprechend werden sie sich nicht mit Sonntagsreden auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertrösten lassen. Sie wollen Zukunftsperspektiven sehen - und zwar schnell. Das Protestpotenzial der Jugend und der einfachen Leute ist zu groß, als dass Abdel Fattah al-Sisi ihre Interessen einfach ignorieren kann. Das ist eine Frage der politischen Ratio. Ob der neue Präsident aber wirklich an einem demokratischen Umbau der ägyptischen Gesellschaft interessiert ist oder ob alles wieder nur leere Versprechen sind, wird sich unter anderem im Bereich der Religionen zeigen.

Der Glaube - egal ob in seiner muslimischen oder in seiner christlichen Ausprägung - durchdringt seit jeher alles und jeden in Ägypten. Ein Leben ohne Religion ist für die Ägypter genauso wenig vorstellbar wie ein Ägypten ohne den Nil. Es mag paradox klingen: Aber ausgerechnet das Jahr, in dem die Muslimbrüder an der Macht waren und Politik und Gesellschaft mit einem Übermaß an Religion überzogen haben, sehen viele Muslime als eine Zeit der religiösen Dürre an. Zu den schärfsten Kritikern der Muslimbrüder gehören heute Vertreter der Al-Azhar-Universität und des Religionsministeriums. Neben politischer Inkompetenz werfen sie Mursi und Co vor allem Verrat am Islam selbst vor. Damit ist zum einen deren offensichtliche religionshistorische Ignoranz gemeint. In der Ideologie der Muslimbrüder gelten die mekkanischen Verhältnisse des siebten Jahrhunderts als die einzig richtige Gesellschaftsform, was dem Islam jede Möglichkeit der Weiterentwicklung nimmt.

Zum anderen geißeln die Kritiker die islamistische Politik der Spaltung. Darunter hatten insbesondere die Christen unter Mursi gelitten. Und islamistische Terrorgruppen setzen sie heute fort. "Ich schäme mich dafür, dass Muslime Christen getötet haben", sagt Zein Abedin Abdellatif von der lokalen Religionsbehörde aus dem oberägyptischen Sohag und bezieht sich auf die Morde an sieben koptischen Gastarbeitern in Libyen im Februar dieses Jahres. Eine der Muslimbruderschaft nahestehende Gruppe hatte die Männer, die alle aus Sohag stammten, getötet. Abdellatif hatte den Angehörigen bei der Beerdigung kondoliert. "Der Islam ist keine Religion der Gewalt. Er respektiert alle anderen Religionen", sagt er. Es sei doch vielmehr eine schöne Aufgabe, eine andere Religion zu schützen.

Christen in der Talkshow

Im Bereich des christlich-muslimischen Miteinanders hat sich in den vergangenen drei Jahren vieles zum Positiven gewendet. Nie war die Aufmerksamkeit der Muslime den Christen gegenüber größer. Kaum eine Talkshow kommt heute noch ohne einen christlichen Vertreter aus. Zeitungen fragen um die Meinung von Christen an. Und beim diesjährigen Ostergottesdienst in der koptisch-orthodoxen Hauptkirche in Kairo waren so viele Imame wie noch nie anwesend. Im vergangenen Jahr dagegen hatten die Muslimbrüder den Muslimen noch verboten, den Christen ein frohes Osterfest zu wünschen. "Mit ihrer Diskriminierungspolitik haben die Muslimbrüder die Christen für uns doch erst richtig interessant gemacht", sagt Scheich Ibrahim Rida, Imam einer großen Moschee im Kairoer Stadtteil Schubra, wo etwa die Hälfte der Bevölkerung Christen, die andere Hälfte Muslime sind. Scheich Ibrahim ist vielen aus dem Fernsehen bekannt. Mit dem evangelischen Pfarrer der Nachbarkirche hatte er lange Zeit eine Sendung, in der sich beide über Dialog-Themen austauschten. Während der Herrschaft der Muslimbrüder erhielt der Imam selbst Drohungen, weil er den Christen gegenüber viel zu tolerant gewesen sei. "Die Muslimbürder wollten alle, die offener gesinnt sind, aus den Moscheen vertreiben." Immer wieder hätten sie dazu aufgerufen, sich gegen die Christen zu stellen. Scheich Ibrahim ist überzeugt davon, dass Pluralismus für Christen und Muslime in Ägypten keine Option, sondern eine Notwendigkeit ist.

Das sieht auch Mahmud A'zab, stellvertretender Vorsitzender der Abteilung für interreligiösen Dialog an der Al-Azhar-Universität, so. "Alle müssen mithelfen bei der Weiterentwicklung des Landes und der Gesellschaft." Der Dialog der Azhar mit den Kirchen und den säkularen Kräften funktioniere bereits sehr gut, was man vom Dialog mit den Salafisten und Muslimbrüdern nicht sagen könne. "Sie haben noch gar nicht verstanden, dass der Islam gar kein theokratisches Staatsmodell kennt." Außerdem schreibe der Koran das Recht fest, anders sein zu dürfen. "Gott hat gewollt, dass wir unterschiedlich sind, damit wir uns gegenseitig vervollständigen. Hätte er gewollt, dass wir uns alle gleichen, dann hätte er uns so geschaffen."

Noch liegt vieles im Argen in Ägypten. Und manches geht massiv in die falsche Richtung. Das achtsame Miteinander zwischen Christen und Muslimen könnte aber ein guter Boden sein, auf dem wächst, was Ägypten für eine erfolgreiche Demokratisierung dringend braucht: eine funktionierende Zivilgesellschaft, die Pluralismus als Wert und nicht als Hindernis versteht. Wer sich trotz Glaubensunterschieden für das Gemeinwohl einsetzt, entwickelt eine Vorstellung von der Zukunft der Gesellschaft. Die muss nicht identisch mit der Sicht der Regierenden sein. Und genau da liegt der Haken. Dialog und Zivilgesellschaft können nur in Freiheit gedeihen. Eine Diktatur wird alle Ansätze im Keim ersticken, die ihre Politik in Frage stellen könnten. So haben schon Mubarak und seine Helfershelfer über Jahrzehnte hinweg Religionsgemeinschaften und zivilgesellschaftliche Gruppen gegeneinander ausgespielt. Es wird spannend werden, ob der neue Präsident dem Miteinander von Christen und Muslimen genügend Freiräume zur Entwicklung lässt oder ob er wie seine Vorgänger wieder Sand ins Dialog-Getriebe streuen wird.

Katja Dorothea Buck

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Katja Dorothea Buck

Katja Dorothea Buck ist Religionswissenschaftlerin und Politologin und arbeitet seit mehr als 20 Jahren zum Thema Christen im Nahen Osten, Ökumene und Dialog.


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