Weihe des gezückten Schwertes

Auch die römisch-katholische Kirche Deutschlands gebärdete sich nationalistisch
München 1914: Ein Priester segnet mit der Monstranz die ausrückenden Soldaten. Foto: dpa/ Berliner Verlag
München 1914: Ein Priester segnet mit der Monstranz die ausrückenden Soldaten. Foto: dpa/ Berliner Verlag
Der Erste Weltkrieg bot den deutschen Katholiken die Möglichkeit, ihr Image als Untertanen einer Macht auf der anderen Seite der Alpen abzustreifen. Wie sie das taten und welche Rolle sie bei Kriegsende spielten, zeigt der katholische Theologe und Publizist Martin Lätzel.

Wenig ist bisher beachtet worden, wie sich die römisch-katholische Kirche Deutschlands im Ersten Weltkrieg verhielt. Am Vorabend des Krieges sehen wir eine Kirche, die sich langsam vom vierzig Jahre vorher tobenden Kulturkampf erholt hat. Unter Reichskanzler Otto von Bismarck waren die Katholiken als unzuverlässig abgestempelt worden. Wer wie sie dem Papst in Rom, also einer Macht jenseits der Alpen, ultra montes, anhing, konnte nur als fünfte Kolonne betrachtet werden. Denn wer deutsch war, war der Nation gegenüber und dem Kaiserhaus treu. Und das war protestantisch, und die evangelische Kirche Preußens war Staatskirche. Die Katholiken klassifizierte man als Ultramontanisten ab. Und einher ging damit eine drastische Einschränkung des kirchlichen Lebens. Priester wurden ins Gefängnis gesteckt, der Jesuitenorden verboten. Bei der Besetzung von Bischofsstühlen achtete die staatliche Obrigkeit darauf, ob die Kandidaten genehm waren. Nur hin und wieder gelang es den Katholiken, staatskritische Bischöfe einzusetzen.

Seit den Sechzigerjahren des 19. Jahrhunderts war das Zentrum aktiv. Diese Partei sah sich als politisches Sprachrohr, umfasste aber in der Mitgliedschaft und unter den Wählern kaum die Gesamtheit der deutschen Katholiken. Und die Partei wurde vom Vatikan durchaus kritisch beäugt. Quasi nationalkirchliche Alleingänge, wie sie mit einer derart aufgestellten eigenständigen und unabhängigen Organisation einhergingen, sah man dort äußert ungern.

Die römisch-katholische Kirche Deutschlands war geprägt durch einen starken Vereinskatholizismus. Katholikentage wurden zur quasi politischen Demonstration. Was zunächst als Schaustellung der eigenen Größe begann, wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Kundgebung der Staatstreue. Die Katholiken gehörten, mit Ausnahme des Rheinlands, Westfalens und Schlesiens, wo sie in der Mehrheit waren, nicht zu den höheren Schichten der Gesellschaft. Weite Teile des Landes waren für den Katholizismus Diaspora. Sein politischer Einfluss war gering. Und mit dem ständigen Vorwurf der nationalen Pflichtvergessenheit konfrontiert, bildete sich ein weitverbreitetes Bewusstsein der eigenen Inferiorität. Mit der von der Regierung suggerierten Bedrohung durch England, Frankreich und Russland sahen die Katholiken die Möglichkeit, endlich beweisen zu können, gute Deutsche zu sein.

Katholische Soldaten zogen - wie andere auch - mit Begeisterung in den Krieg. Die Bischöfe predigten über die Gerechtigkeit des Krieges. Im Oktober 1914 schrieb der Münsteraner Theologe Joseph Mausbach: "Die Kreuzzugsstimmung 'Gott will es' ist heute noch viel wuchtiger zum Durchbruch gekommen. Nicht die passive Not, die den Willen Gottes 'erleidet', sondern die aktive heilige Notwendigkeit, die den Willen Gottes 'vollstreckt', hat die Massen auf den Ruf des Kaisers in die Knie gezwungen zum Gebet - aber auch zum Schwur der ritterlichen Treue, zur Weihe des für Volk und Recht gezückten Schwertes."

Mit dem Krieg verband die katholische Kirche ihre eigenen Ziele: eine Rekatholisierung des laizistischen Frankreich, die Befreiung des katholischen Polen vom Joch des orthodoxen Russland und einen Kampf gegen den englischen Merkantilismus. Die völkerrechtswidrige Besetzung des katholischen Belgien nahm man billigend in Kauf. Die Causa Belgien war es übrigens, die der Vatikan, trotz aller diplomatischer Abwägung, bis Kriegsende heftig kritisierte.

Die Bischöfe organisierten die Feldseelsorge. Protagonisten waren Bischof Michael von Faulhaber, als Speyrer Oberhirte stellvertretender, nach seinem Wechsel nach München wirklicher Feldpropst der bayerischen Armee und Heinrich Joeppen, der selbst im Episkopat umstrittene Feldpropst der preußischen Truppen. Katholische Priester wirkten an allen Fronten. Sie feierten Feldgottesdienste, spendeten Sakramente und Trost. Nicht zuletzt hielten sie mit markanten Predigten die Moral der Truppe hoch. Eine unkritische Moral allerdings. Sie pries Volk und Kaiser und den Heldentod in einem gerechten Krieg. Davon war man vonseiten der Kirche überzeugt. Bischöfe wie Theologen verkündeten in Predigten und Schriften, der Krieg sei theologisch gesehen ein gerechter. Denn dem Reich sei der Kampf aufgezwungen und er werde für die gute Sache geführt. Theologen wie Bischöfe erhofften sich die moralische Läuterung einer verdorbenen Gesellschaft. Wenn schon nicht als Strafe, so sei der Kampf doch wenigstens als Prüfung Gottes zu verstehen. Kritische Töne waren selten. Noch im November 1918 verfasste die Fuldaer Bischofskonferenz einen dem Kaiser ergebenen Hirtenbrief.

Die kirchliche Arbeit in Deutschland blieb nicht unberührt. Die Bischöfe sorgten sich um den Nachwuchs. Viele Seminaristen und Theologiestudenten wurden eingezogen, und viele starben. Die Pfarrer wurden zu einem vorbildlichen, einfachen Leben verpflichtet und hatten sich auch in der Heimat um die Moral zu sorgen. Angesichts grausiger Berichte von der Front predigten sie Tapferkeit. Da viele Ehepaare getrennt waren, befürchtete man Untreue.

Mit zunehmendem Kriegsverlauf war die Versorgung für den liturgischen Bedarf eingeschränkt. Mehl wurde knapp. Besonders eng wurde es mit den Vorräten an Olivenöl für die Chrisam-Weihe. Eine Lieferung aus Spanien verspätete sich, und Italien durfte aufgrund seines Kriegseintrittes nicht mehr liefern. Erlösung brachte eine Ladung Öl aus dem befreundeten Osmanischen Reich.

Der Limburger Bischof ließ es sich nicht nehmen, auf die hiesigen Weine hinzuweisen, die zu nutzen den Priestern in Kriegszeiten anzuraten wäre. Sie seien überdies bekömmlicher als die ausländischen. Der bayerische Episkopat, der im November 1917 in Freising tagte, beschloss auf Antrag von Erzbischof von Faulhaber, dass in Speyer und Würzburg, den bayerischen Weinbauregionen, Kommissionen eingesetzt würden, die praktische Vorschläge zur Messweinversorgung machen könnten.

Papst Pius X. war zu Beginn des Krieges gestorben. Von ihm ist der Ausspruch überliefert, er wolle sein Leben hingeben für den Frieden. Und man sagt, er sei angesichts der Gewalt an gebrochenem Herzen gestorben. Sein Nachfolger Benedikt XV. trägt nicht zu Unrecht den Beinamen "Friedenspapst". Von Beginn seines Pontifikats an bezog er deutlich Stellung für den Frieden. In Resolutionen, Predigten und Gebeten prangerte er das von den Völkern Europas erzeugte Leid an. 1917 startete er eine Friedensinitiative. Sein Mittelsmann beim Deutschen Reich war der Münchner Nuntius Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII. Dessen Aufgabe war es, in Deutschland Möglichkeiten eines Friedensschlusses auszuloten. Aber so sehr sich der Nuntius auch bemühte: Die Friedensnote des Papstes aus dem Jahr 1917 wurde allenfalls freundlich zur Kenntnis genommen. Nicht nur im Deutschen Reich, sondern auch in Frankreich, den Vereinigten Staaten und Großbritannien lehnte man die Bemühungen des Papstes und seiner Emissäre freundlich aber bestimmt ab. Italien war sogar ganz dagegen. Es war die Zeit vor den Lateranverträgen, und so negierte man in Rom den Papst als Völkerrechtssubjekt.

Waren seine Friedensbemühungen auch vergeblich, so konnte der Vatikan auf humanitärem Gebiet einiges erreichen. Im Auftrag des Papstes wurden Kriegsgefangene betreut, deren Austausch organisiert, viel Geld für Nahrungsmittelhilfen verteilt und der Schutz von Kulturgütern, wie beispielsweise der Kathedrale von Reims - ein nationales Symbol Frankreichs - erreicht.

Ein Katholik unterzeichnete den Waffenstillstand

Pikanterweise beendete auf deutscher Seite ein Katholik den Ersten Weltkrieg. Es war der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger, der am 11. November 1918 im Wald von Compiègne die Waffenstillstandsurkunde unterzeichnete. Der Schwabe hatte sich während des Krieges gewandelt. Die ganze Zeit hinweg stand er im Kontakt mit dem Vatikan. Zunächst von der nationalen Aufgabe Deutschlands im Kampf überzeugt, wuchsen in ihm die Zweifel, sodass er sich gegen Ende des Krieges aktiv für Friedensverhandlungen einsetzte. Nicht ohne Hintergedanken übrigens: Erzberger erhoffte sich einen starken deutschen Katholizismus und dass München, die katholisch geprägte Hauptstadt Bayerns, im Nachkriegsdeutschland eine besondere Rolle spielen würde. Mit dem Ende der Kampfhandlungen aber brach in Deutschland die monarchistische Ordnung zusammen. In Kiel und Wilhelmshaven meuterten die Matrosen. Und mit der Aristokratie erodierte auch das Gefüge innerhalb der katholischen Kirche Deutschlands.

Auch die Stimmung der Katholiken war am Ende des Krieges bedrückend. Eine durch die Aristokratie geprägte bürgerliche Epoche fand ihr Ende. Von der Erosion des Bürgertums blieb der Katholizismus nicht verschont, alldieweil er gerade im Bürgertum sein Fundament hatte. Und mit der Gesellschaft wankte all das, worauf die Katholiken in Deutschland gebaut hatten und worauf auch das Selbstverständnis gründete. Zumal man sich in den Kriegsjahren dem protestantischen Reich und Herrscherhaus angenähert, ja angedient hatte, in der Hoffnung, überkommene Spaltungen und Vorurteile zu überwinden.

Jetzt stand man gleichsam am Punkt Null, überdies konfrontiert mit einer Regierung, die sozialdemokratisch gesinnt war, einer politischen Richtung, der man äußerst kritisch gegenüber stand. Da die Stellung der Katholiken im Kaiserreich aber immer unter Vorbehalt stand, konnten sie sich von einer allzu engen Bindung an die Autoritäten eher lösen als die Protestanten. Innerhalb der römisch-katholischen Kirche brachte die neue Zeit neue Ideen und Aufbrüche hervor, die bis heute nachwirken. Die Jugendbewegung, Verbände wie der Quickborn und die Sankt-Georgs-Pfadfinder fanden erheblich Zulauf. Die Theologen der Burg Rothenfels prägten die Liturgische Bewegung entscheidend mit. All dies war in gewisser Weise insofern von republikanischem Geist geprägt, da das Gottesvolk nunmehr im Mittelpunkt stand und ein neues Selbstbewusstsein entwickelte. So spannt sich ein Bogen vom Kulturkampf, über den Krieg bis hin zu Aufbrüchen, die in den Sechzigerjahren in das Zweite Vatikanische Konzil gipfelten. Der Zusammenbruch der Monarchie, an die sich besonders die Kirchenoberen so lange und so intensiv im Krieg gebunden hatte, zeitigte Auswirkungen in die gesamte Gesellschaft. Diese Rolle dieses Zusammenbruches sollte für die Katholische Kirche nicht zu gering geschätzt werden.

Informationen

Martin Lätzel: Die Katholische Kirche im Ersten Weltkrieg. Zwischen Nationalismus und Friedenswillen. Friedrich Pustet Verlag, Regensburg 2014, 216 Seiten, Euro 22,-

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Martin Lätzel

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