Gegnerschaft

Über konfessionelle Mentalitäten
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Ein Buch mit spannenden Einblicken in eine Zeit reicher theologischer Kontroversen, die aber tief in konfessionelle und konfessionspolitische Mentalitäten ihrer Zeit eingebunden waren.

Die heute weithin überwundene Gegnerschaft zwischen reformierter und lutherischer Theologie hat sich, sofern man weiterhin von "konfessionellen Prägungen" sprechen kann, zur Partnerschaft entwickelt. In der zweiten Hälfte des sechzehnten bis ins siebzehnte Jahrhundert hinein war das anders - diese Zeit wird "konfessionelles Zeitalter" genannt und in den Theologiegeschichten als Gegensatz zwischen Luthertum und Calvinismus gekennzeichnet.

Dass aber auch hier ein einfaches Schwarz-Weiß-Denken der historischen Wirklichkeit nicht standhält, macht der als Spätfrucht des Calvin-Gedenkjahres 2009 im vergangenen Jahr erschienene und auf eine Jenaer Tagung zurückgehende Sammelband deutlich. Denn schon bei Melanchthon ist ja zu fragen, in welches "Lager" er theologisch gehört: Ist er als Mitarbeiter Luthers eben dort verwurzelt oder aufgrund seiner Wandlungen, etwa im Abendmahlsverständnis, nahe bei Calvin? Martin Leiner etwa betont die Nähe zwischen Melanchthon und Calvin und warnt gleichzeitig davor, Melanchthon einen "Kryptocalvinisten" zu nennen, weil schon dieser Begriff konfessionalistisch (hier: lutherisch) überladen sei. Volker Leppin zeichnet theologische Akzente des aus dem Schweizer Reformiertentum ins Wittenberger Lager "übergelaufenen" Samuel Huber nach und zeigt, dass konfessionell erworbene Denktraditionen nicht passgenau einfügbar sind. Und Robert Kolb zeichnet die "theologische Pilgerschaft von Viktorin Strigel" nach, der von Wittenberg nach Heidelberg ging, - und etwas offen bleibt die Frage: Ins andere "Lager" oder zwischen alle Stühle? Dass Wittenberg 1560 theologisch auch nicht ohne reformiert-theologische Einflüsse geblieben ist, zeichnet Wim Janse anhand des Bremer Sakramentenstreits nach. Und dennoch stimmt die Grundthese vom unerbittlichen Gegensatz von Luthertum und Calvinismus auf der einen Seite: Herman Selderhuis zeichnet am Beispiel des Jubiläumsjahres 1617 auf, wie sehr die Lagermentalität selbst naheliegende Wege zueinander verhindert hat. Und Walter Sparn zeigt in seinem Beitrag luzide auf, wie sehr eine anticalvinistische "fundamentaltheologische Fixierung" in breiten Teilen des Luthertums zur eigenen Vergewisserung konfessioneller Identität wurde und sich erst politisch-kirchenpolitisch zum Ende des siebzehnte Jahrhunderts relativierte; das gilt auch, obwohl Robert Kolb auf eigene Dynamiken und Verwerfungen hinweist, die sich innerhalb der lutherischen Theologie Sachsens zeigten. Jedoch ist immer schon auch von Tendenzen zu sprechen, die sich gegen die radikale Antithese wandten: Friederike Nüssels Aufsatz zum Lutheraner Johann Franz Buddeus betont, wie anregend die Integration von Ansätzen reformierter Föderaltheologie sein konnte. Und Irene Dingel versteht Lucas Osianders Schrift Pia et fidelis admonitio als "ernsthaftes Gesprächsangebot" seitens der lutherischen Theologie, das aber sowohl von lutherischer als auch von reformierter Seite vehement abgelehnt wurde. Dabei hätte auch Calvins Theologie mit ihrem Akzent auf die empfangende und tätige Freiheit, die Matthias Freudenberg ganz nahe bei Martin Luthers Grundunterscheidung sieht, Impulse geben können; diese sind jedoch auch in der reformierten Wirkungsgeschichte mit der dann stärkeren Betonung der natürlichen Vernunft nicht aufgenommen worden.

Insgesamt zeigt der in einigen Beiträgen zum Teil mit störenden Druckfehlern aufwartende Band spannende Einblicke in eine Zeit reicher theologischer Kon-troversen, die aber tief in konfessionelle und konfessionspolitische Mentalitäten ihrer Zeit eingebunden waren; einzelne theologische Vorstöße zur Überwindung falscher Gegensätze blieben letztlich Einzelstimmen.

Herman J. Selderhuis/Martin Leiner/Volker Leppin (Hg.): Calvinismus in den Auseinandersetzungen des frühen konfessionellen Zeitalters. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2013, 196 Seiten, Euro 74,99.

Georg Plasger

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