Jedermann untertan

Zu Papst Franziskus' Sendschreiben "Evangelii gaudium"
Foto: privat
Die Einsicht lautet: Es gibt keine irdische Macht auf Erden, die im Laufe ihres Wachstums nicht an den Punkt gelangt, wo sie zur Unterdrückung von Menschen dient.

"Derselbe Papst, der für den 'Freimut' in der Kirche eine Lanze bricht wie niemand vor ihm, schürt das traditionelle antifreiheitliche Ressentiment der Kirche gegenüber Wirtschaft und Staat wie kaum einer seiner Vorgänger." So kommentierte Daniel Deckers das päpstliche Sendschreiben "Evangelii Gaudium" - "Freude des Evangeliums" - vom 24.11.2013 (FAZ vom 28.11.). Dies zeige sich nach Auffassung des renommierten Beobachters der katholischen Kirche insbesondere in der Art und Weise, wie Franziskus die "Autonomie der Märkte" geißelt: "In diesem System, das dazu neigt, alles aufzusaugen, um den Nutzen zu steigern, ist alles Schwache wie die Umwelt wehrlos gegenüber den Interessen des vergötterten Marktes, die zur absoluten Regel werden." (Evangelii Gaudium)

Deckers findet darin weniger eine Fortschreibung der Kapitalismuskritik durch frühere Päpste als einen Hinweis darauf, dass der Papst, der frühere argentinische Kardinal Jorge Mario Bergoglio, immer noch und allzu sehr unter dem Eindruck der verheerenden wirtschaftlichen Zustände seit und nach der Militärdiktatur in Argentinien steht.

Aber wird er damit dem Papst gerecht? Gewiss, jeder schöpft seine Urteile aus der eigenen Lebenserfahrung, auch die des Papstes stammen nicht unmittelbar vom Himmel. Andererseits spricht Franziskus hier ein ungelöstes Problem an: Dass es mit der Freiheit der Märkte sehr schnell vorbei ist, wenn ihnen nicht von der Politik Grenzen gesetzt werden. Märkte, die davon frei sind, gebären binnen kurzem Machtzentren, die dem angeblich freien Spiel der Kräfte ihre eigenen Spielregeln aufzwingen. Von gleichen Chancen kann dann keine Rede mehr sein, nur noch davon, dass allzu viele nicht einmal den Hauch irgendeiner Chance haben. Daran ändert sich nichts, wenn die Brosamen, die vom Tisch der Mächtigen fallen, zufällig einmal etwas fetter ausfallen.

Krass vor Augen geführt wird dies in vielen Staaten der Welt, die von einer freiheitlichen Demokratie so weit entfernt sind wie der Mond von der Erde, in denen Politik und Wirtschaft ungehemmt fusionieren und zugleich den dunklen Dritten aller Machtausübung an den Tisch bitten: die große Kriminalität, die sich in mafiösen Strukturen organisiert. Rechnet man dazu noch den politischen Fanatismus, einschließlich den religiös verbrämten, der solange terroristischer Störenfried ist, bis auch er Platz genommen hat, steht man vor einem einigermaßen finsteren Bild dieser Welt.

Die Einsicht lautet: Es gibt keine irdische Macht auf Erden, die im Laufe ihres Wachstums nicht an den Punkt gelangt, wo sie zur Unterdrückung von Menschen dient. Umgekehrt gilt aber leider: Wo die Ordnungsmächte zu sehr geschwächt werden, blüht nicht die Freiheit, sondern wütet das Chaos, wie in den "failed states" dieser Erde demonstriert.

Alles kommt also darauf an, dass "die Politik" für Freiheit steht. Nicht nur für die der Märkte, sondern die der Menschen. Dagegen, dass "die Politik", wie so häufig in der Geschichte, selbst das freiheitzerstörende Element darstellt, bildet die Demokratie eine (keineswegs unkorrumpierbare) Versicherung.

Patentrezepte tun auch hier das, was sie immer tun: faszinieren und anschließend versagen. Unbestreitbar aber wird sich nichts zum Besseren ändern, wenn nicht die Mehrheit der Menschen davon überzeugt ist, dass es richtig ist, sich dafür einzusetzen. So hat der Papst tausendmal Recht, wenn er immer wieder darauf hinweist, dass dies jedem Christen aufgegeben ist. Bei Luther hieß diese weltliche Seite der Freiheit eines Christenmenschen: "Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan", - frei übersetzt: jeder Christ hat eine soziale Verantwortung.

Helmut Kremers

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