Verbindung mit dem Religionsunterricht

Zehn Jahre Studiengang "Lebensgestaltung, Ethik, Religionskunde" (LER) in Potsdam
Die Auseinandersetzungen um das Fach LER haben sich beruhigt. Foto: AP
Die Auseinandersetzungen um das Fach LER haben sich beruhigt. Foto: AP
Auch wenn in einer Lobeshymne auf den LER-Studiengang an der Universität Potsdam die Hoffnung unterschlagen wird - hoffnungslos ist die Situation des Fachs und insbesondere die Zusammenarbeit zwischen LER- und Religionslehrkräften, keineswegs, meint Jens Kramer, landeskirchlicher Studienleiter für Religions-unterricht im Land Brandenburg.

Glaube, Liebe, Ethik: LER" - so beginnt der Refrain der Hymne des Studiengangs "Lebensgestaltung - Ethik - Religionskunde" (LER) an der Universität Potsdam. Mit dieser Hymne zur Melodie von "Let it be" von Paul McCartney endete am 26. Oktober 2013 der Festakt zum zehnjährigen Bestehen des Studiengangs LER an der Universität Potsdam. Vielleicht ist es symptomatisch, dass aus 1. Korinther 13,13 "Nun bleiben aber Glaube, Hoffnung, Liebe" die Hoffnung herausgefallen ist, obwohl doch auch bei Immanuel Kant die Frage "Was darf ich hoffen?" zentral ist und nicht so einfach eliminiert werden kann.

Anlässlich des Jubiläums fand in Potsdam eine Fachtagung unter dem Titel "Warum Religion? Pragmatische Religionsphilosophie auf dem Prüfstand" statt. Dabei ging es gar nicht so sehr um das Fach selbst, sondern eher um die Auseinandersetzung mit inhaltlichen Fragen. So wurde es erst gegen Ende der Veranstaltung politisch. In mehreren Beiträgen wurde Kritik an der Bildungspolitik des Landes Brandenburg geübt, etwa daran, dass das Fach nur in den Jahrgängen 5 bis 10 unterrichtet werden kann, nicht aber in der gymnasialen Oberstufe, also in der Zeit der Persönlichkeitsentwicklung, in der die Auseinandersetzung mit Sinnfragen sinnvoll wäre. So kann das Fach LER seit diesem Wintersemester auch nicht mehr von Lehramtsstudierenden für das Gymnasium studiert werden.

Die Festrede auf der Veranstaltung hielt der ehemalige Bildungsminister des Landes Brandenburg, Pfarrer Steffen Reiche (SPD). Sie hörte sich an wie ein Rückfall in längst überwunden geglaubte Grabenkämpfe. Reiche betonte, wie wichtig es sei, dass alle Schülerinnen und Schüler am LER-Unterricht teilnehmen und dass eine Teilnahme am Religionsunterricht (RU) nur zusätzlich zu LER möglich sein dürfe. Wer den konfessionellen Religionsunterricht besuchen wolle, der könne dies nach Reiche gern tun, aber nur als Zusatzangebot. Dass dies dem Vergleichsvorschlag des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember 2001 widerspricht, scheint den Pfarrer ebensowenig zu interessieren wie die positiven Entwicklungen des Verhältnisses von LER und Religionsunterricht. In den Schulen nämlich sind die Streitigkeiten glücklicherweise weitgehend überwunden.

Dabei ist die Situation von LER und konfessionellem Religionsunterricht im Land Brandenburg seit Beginn des Schuljahres 2002/03 und der Umsetzung des Vergleichsvorschlags des Bundesverfassungsgerichts nahezu unverändert.

Fachlehrer fehlen

Derzeit wird LER in allen Schulen und allen Jahrgängen (entsprechend der Kontingenzstundentafel) unterrichtet. Der Anteil der Befreiungen von LER bei Teilnahme am konfessionellen RU lag im Schuljahr 2009/10 bei 9,2 Prozent. Die Verteilung auf die unterschiedlichen Schulformen und Jahrgänge ist jedoch sehr unterschiedlich. Während die Befreiungen in den Grundschulen in etwa dem Durchschnitt entsprechen (9,3 Prozent), sind sie im Gymnasium weitaus höher (20,5 Prozent). Demgegenüber gibt es an Gesamt- (3,7 Prozent) und Oberschulen (2,3 Prozent) kaum Befreiungen, noch weniger an Förderschulen (0,5 Prozent). Klarer wird dieses Bild noch, wenn die Verteilung auf die verschiedenen Jahrgänge in der Sekundarstufe I betrachtet wird. Im Gymnasium steigt der Anteil der Befreiungen (18,3 Prozent in Jahrgangsstufe 7 bis zu 24 Prozent in Jahrgangsstufe 10), hingegen sinkt er in den anderen Schulformen (zum Beispiel in der Oberschule von 2,6 auf 1,9 Prozent). Diese Zahlen sagen nun vermutlich weniger über LER als vielmehr über den Religionsunterricht aus, der besonders an den Gymnasien vertreten ist.

Obwohl LER ordentliches Lehrfach ist und an allen öffentlichen Schulen des Landes unterrichtet wird, kann der Einsatz von Fachlehrkräften nur bedingt gewährleistet werden. An der Hälfte der Grundschulen und etwa 70 Prozent der weiterführenden Schulen unterrichten Fachlehrkräfte. Diese Situation ist darauf zurückzuführen, dass die jeweiligen Klassenleiter als LER-Lehrkräfte eingesetzt werden.

Aufgrund seiner flächendeckenden Einführung ist das Fach LER mittlerweile in der Schulwirklichkeit des Landes Brandenburg angekommen. Die Inhalte laden zu einer doppelten Verschränkung ein: Zum einem bieten sich Kooperationen mit anderen Fächern an, zum Beispiel mit Biologie beim Thema Abtreibung, zum andern kann das Schulleben selbst auch durch das Fach geprägt werden (Aufstellung von Schul- und Klassenregeln und so weiter).

In den Schulen des Landes Brandenburg gibt es zahlreiche Beispiele für sehr gelungene Kooperationen von LER und Religionsunterricht. Häufig werden beide Fächer faktisch parallel unterrichtet. Für die Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern ist aber die Differenzierung in ordentliches Lehrfach (LER) und freiwilliges Angebot (Religionsunterricht) kaum nachvollziehbar. De facto wird damit an zahlreichen Schulen suggeriert, LER und RU seien ein Wahlpflichtbereich. Schulorganisatorisch ist dies ohnehin bequem, vertreten sich die entsprechenden Lehrkräfte mitunter sogar gegenseitig. Ein solches Agreement ist für beide Seiten von Vorteil. Freilich ist dies auch eine fragile Konstruktion, hängt sie doch an der Kooperationsfähigkeit der jeweiligen Lehrkräfte. Die Vorzüge für LER bestehen nun darin, dass die Kooperationen mit dem RU auf - einer zumindest gefühlten - Augenhöhe geschehen können und eine Teilung in Religions- und LER-Schüler auf der unterrichtspraktischen Ebene Vorteile hat.

Zwei Rahmenpläne

Für das Fach LER hat das zuständige Bildungsministerium zwei Rahmenlehrpläne vorgelegt, einen für die Grundschule und einen für die Sekundarstufe I. Danach werden sechs Themenfelder behandelt: Soziale Beziehungen - Existenzielle Erfahrungen - Individuelle Enwicklungsaufgaben - Welt, Natur und Mensch - Weltbilder, Kulturen, Interkulturalität - Frieden und Gerechtigkeit/Hoffnung für die Welt. Alle drei Dimensionen des Faches, nämlich "Lebensgestaltung", "Ethik" und "Religionskunde" sollen auch in all diesen Themenfeldern vorkommen.

Exemplarisch sei dies an einem Beispiel für die 5./6. Jahrgangsstufe verdeutlicht: Dem Themenfeld "Existenzielle Erfahrungen" werden in den einzelnen Lerndimensionen folgende Aspekte zugeordnet: der "Lebensgestaltung" unter anderem "Glück und Unglück", "Sterben und Tod", "Empörung und Unglück". Aspekte der Ethik sind "Vorurteile", "Gerechtigkeit" oder die Täter-Opfer-Thematik. Für Religion ergeben sich folgende Aspekte: Urvertrauen, Gottvertrauen, Lohn und Strafe, Glaube, Transzendenz, Teilhabe, Gemeinschaft, Sinngebung, Sinnfindung. Zudem werden drei thematische Schwerpunkte vorgeschlagen: "'Das ist gemein!' - Was ist gerecht, was ungerecht?" Die beiden anderen Schwerpunkte sind fakultativ: Zum Leben gehören "Gefühle" sowie "Erfolg und Misserfolg". Diese Auflistung verdeutlicht die Chance, die im Fach LER liegt und zeigt genauso die Gefahren und Grenzen des Fachs.

Die Chancen liegen vornehmlich darin, dass im LER-Unterricht die Lernenden über existenzielle Fragen nachdenken und miteinander ins Gespräch kommen können. In der Schule ist es häufig der einzige Ort, an dem diese Fragen gestellt und Antwortoptionen entwickelt werden.

Deutlich werden jedoch auch die Schwächen. Es kommt allzuleicht zu Grenzüberschreitungen, wenn Lehrkräfte mit Lernenden über deren existenzielle Fragen ins Gespräch kommen. Sobald die Befindlichkeiten der Schülerinnen und Schüler zum Unterrichtsgegenstand werden, überschreitet Schule ihre Grenzen. Schülerinnen und Schüler brauchen in dieser Frage einen Schutzraum, keinen Therapieraum. Aus dem gleichen Grund können Schülerinnen und Schüler auch nicht zu "Experten" ihrer eigenen Religion oder Konfession gemacht werden.

Im Wintersemester 2003/04 begann an der Universität Potsdam der grundständige Studiengang LER, zunächst mit dem Ziel des 1. Staatsexamens - derzeit gibt es einen Bachelor- und Masterstudiengang.

Struktur durch Module

Pro Jahr stehen fünfzig Studienplätze zur Verfügung (Immatrikulation zum Wintersemester), wobei die Bewerbungen deutlich darüber liegen. Das Bachelorstudium gliedert sich in zwei Grundmodule (Philosophie/Religionswissenschaft und Fachdidaktik/Psychologie/Soziologie) und zwei Aufbaumodule (philosophische und religionswissenschaftliche Kernkompetenzen), sowie in berufsbezogene Module. Im Masterstudiengang für das Lehramt an Gymnasien sind vier Module zu belegen: Themenzentriertes Grundmodul, Vertiefungsmodul sowie die Aufbaumodule Philosophie und Religionswissenschaft. Beim Lehramt an Grundschulen gibt es nur ein themenzentriertes Grundmodul und ein fachwissenschaftliches Aufbaumodul.

Bei den religionswissenschaftlichen Modulen liegt das Schwergewicht auf den Weltreligionen und allgemeinen Themen. Dem Christentum kommt - zumindest was die Anzahl der Lehrveranstaltungen betrifft - kein besonderes Gewicht zu, es ist gleichgewichtet zum Judentum und Islam. Der religionskundliche Ansatz des Faches wird so universitär umgesetzt.

Was die Gewichtung der einzelnen Module betrifft, so kann von einer Gleichrangigkeit von ethischen und religionswissenschaftlichen Elementen gesprochen werden. Thematisch sind die ethischen Teile jedoch stärker an die Lebenswelt der Lehrkräfte sowie deren Schülerinnen und Schüler gebunden als die religionswissenschaftlichen.

Insgesamt dürfte der Studiengang LER an der Universität Potsdam dazu beitragen, dass die Lehrkräfte über grundlegende Kompetenzen auch und gerade in den Religionswissenschaften verfügen. Der Kompetenzvorsprung, auf den sich viele Religionslehrkräfte in den Anfängen von LER noch zurückziehen konnten, ist so nicht mehr gegeben, so dass das Profil des Faches LER stärker in den Blick gerät.

"Glaube, Liebe, Ethik" - so heißt es nicht nur in der eingangs zitierten Hymne des LER-Studiengangs, sondern es wird im Wintersemester 2013/14 auch ein Seminar zur Einführung in die Ethik mit diesem Titel angeboten. Hoffnung scheint bei LER tatsächlich keine ethische Kategorie mehr zu sein.

Überhöhung nicht sinnvoll

Die Auseinandersetzungen um das Fach LER haben sich in den vergangenen Jahren verändert und werden heute im Normalfall wesentlich entspannter geführt als in der Anfangszeit des Fachs. Weniger normal sind die erwähnten Ausführungen von Pfarrer Reiche zum Festakt. Eine einseitige Überhöhung des Fachs mag zwar politisch gewollt sein, didaktisch sinnvoll ist sie aber nicht.

Zudem haben sich Konfliktlinien verschoben. Die in der Anfangszeit von LER so leidenschaftlich geführte Debatte um die Möglichkeit eines "weltanschaulich neutralen" Unterrichts ist einem gewissen Pragmatismus gewichen. Im Zentrum der Auseinandersetzung steht nicht mehr die theoretische Konstruktion von LER, sondern der konkrete Unterricht. Gleichwohl sind einige Grundsatzfragen ungeklärt. Aufgrund des Vergleichsvorschlages des Bundesverfassungsgerichts wurde die Frage, ob für Brandenburg die Bremer Klausel des Grundgesetzes gelten soll, bislang nicht entschieden. Damit verbunden ist die Frage nach der weltanschaulichen Neutralität des Staates und wie er diese gewährleisten kann.

Zu hoffen ist schließlich, dass das Fach LER künftig nicht nur auf die Jahrgangsstufen 5 bis 10 beschränkt bleibt, sondern dass es in allen Jahrgangsstufen unterrichtet werden kann. Dies würde auch der Stellung des Fachs innerhalb der Schulen und an der Universität Potsdam gut tun. Abschließend bleibt auch zu hoffen, dass die Zusammenarbeit von LER- und Religionslehrkräften weiter zunimmt und dass Verbindendes stärker in den Blick genommen wird als Trennendes.

Jens Kramer

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