Auf Sicht gefahren

Eine "neue EKD" ist nur in Umrissen zu erkennen
Die Kruzianer sangen bei der lutherischen Messe, die zum Auftakt der EKD-Synode in der Dresdner Kreuzkirche gefeiert wurde. Foto: epd/ Norbert Neetz
Die Kruzianer sangen bei der lutherischen Messe, die zum Auftakt der EKD-Synode in der Dresdner Kreuzkirche gefeiert wurde. Foto: epd/ Norbert Neetz
Bei der Zusammenarbeit der EKD mit den konfessionellen Zusammenschlüssen der Landeskirchen knirscht es. Weil das "Verbindungsmodell" dies nicht verhindern konnte, soll es fortentwickelt werden. Damit die im November, bei den Synodentagungen in Dresden beschworene "neue EKD" entstehen kann, ist nicht nur eine Änderung der Strukturen erforderlich, sondern auch ein neuer, menschlicher Umgang: Alte Ängste müssen ernstgenommen und abgebaut werden.

Die EKD ähnelt der EU. Beide Verbünde sollen fortentwickelt werden, aber niemand kann oder will beschreiben, wie das Gebilde am Ende aussehen soll. In der EU halten sich die Anhänger eines europäischen Bundesstaates bedeckt und im deutschen Protestantismus diejenigen, die der EKD mehr Kompetenzen zuschanzen wollen. Schließlich gibt es weder für einen europäischen Bundesstaat noch für eine evangelische Bundeskirche eine Mehrheit.

Die Synoden der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), der Union Evangelischer Kirchen (UEK) und der EKD, die nacheinander in Dresden tagten, beschlossen, dass das EKD-Kirchenamt im kommenden Jahr eine Änderung der "Grundordnung", der Verfassung der EKD vorlegen soll, die "das Kirchesein der EKD verdeutlicht". Aber damit soll "eine Änderung der Kompetenzen nicht verbunden" sein.

Diese Absichtserklärung wurde in den Synoden von VELKD, UEK und EKD mit überwältigender Mehrheit verabschiedet. Fortgeführt werden soll ein Prozess, der vor Jahren begonnen hat. Zu Beginn des Jahrtausends tagte die Synode der VELKD, zu der heute sieben Mitgliedskirchen der EKD gehören, noch an einem anderen Ort als die EKD-Synode und rund drei Wochen vor deren Zusammentritt. Die VELKD unterhielt ein eigenes Kirchenamt. Und die unierten Landeskirchen, die nach 1817 in Preußen aus dem Zusammenschluss von Lutheranern und Reformierte entstanden waren, besaßen ebenfalls eine Synode und ein Kirchenamt.

Um Doppelstrukturen und -arbeit zu beenden und Geld zu sparen, wurde ein "Verbindungsmodell" entwickelt. Die Kirchenämter von VELKD und UEK zogen vor sieben Jahren als "Ämter" unter das Dach des EKD-Kirchenamtes in Hannover, und ihre Präsidenten übernahmen dort auch Leitungsfunktionen.

Und wer von einer Mitgliedskirche der VELKD in die EKD-Synode entsandt wird, gehört gleichzeitig der VELKD-Synode an. Genauso verhält es sich mit den EKD-Synodalen aus dem Bereich der UEK. Deren Kirchenvolksvertretung heißt nicht "Synode" sondern "Vollkonferenz". Beide Gremien treffen sich kurz vor Beginn der EKD-Synode und treten am selben Ort wie diese zusammen. Und so tagen erstmals VELKD-Synoden auf dem Gebiet unierter Landeskirchen.

Ängste und Bedenken

"Unsere Gemeinden verstehen gar nicht, was wir da machen", rief der rheinische Oberkirchenrat Klaus Eberl bei der Vollkonferenz der UEK in Dresden aus. Um was es geht und welche Ängste und Bedenken das Verbindungsmodell auslöst, lässt sich letztlich nur im Rückblick auf die Geschichte des deutschen Protestantismus im 19. und 20. Jahrhundert begreifen. Die Vereinigung der lutherischen und der reformierten Landeskirche, die der preußische König 1817 anordnete, stieß bei Lutheranern auf Widerstand. Er wurde mit Polizeigewalt gebrochen. Und dies veranlasste viele zur Auswanderung in die USA, wo sie eine altlutherische Kirche gründeten. Umgekehrt schwächte lutherischer Konfessionalismus in der Nazizeit die Bekennende Kirche. Und noch in den Sechzigerjahren wurden unierte und reformierte Protestanten in manchen lutherischen Kirchen nicht zum Abendmahl zugelassen. Beide Traumata wirken nach. Das hat die bisherige Umsetzung des Verbindungsmodells und auch die Diskussion in Dresden gezeigt. Die VELKD wird, gerade weil sie ihr Kirchesein betont und an ihm festhält, von manchen Nichtlutheranern - zu Unrecht - als rückständig, konfessionalistisch wahrgenommen.

Die Frankfurter Allgemeine berichtete, im EKD-Kirchenamt, wo EKD- und VELKD-Leute zusammenarbeiten (sollen), führe der Konflikt "schon seit Jahren in erbittert geführte Scharmützel". Etwas diplomatischer drückte es Friedrich Hauschildt aus, der Vizepräsident des EKD-Kirchenamtes und Leiter des dort angesiedelten Amtes der VELKD. Der irenische Holsteiner meinte bei der Pressekonferenz: "Die Formen der Zusammenarbeit lassen sich durchaus optimieren." Und Gerhard Ulrich, der Leitende Bischof der VELKD, räumte ein, man habe, nach dem Motto: "Seht mal zu, wie Ihr zurechtkommt", die Angehörigen beider Ämter zunächst sich selbst überlassen.

Der in Dresden gefasste Beschluss zur "Fortentwicklung des Verbindungsmodells" bestimmt, dass in den Ämtern von VELKD und UEK und im EKD-Kirchenamt "ein gemeinsamer Organisations- und Teamentwicklungsprozess" einzuleiten ist, "in dem insbesondere auch das Verhältnis von Eigenständigkeit und Dienstbarkeit in der Arbeit zu klären ist." Aber auch hier steckt der Teufel im Detail.

Bei der Vollkonferenz der UEK hat der kurhessische Bischof Martin Hein die historischen Ängste der Lutheraner befeuert. Er sagte, auch im Namen seiner Landeskirche, die Änderung der Grundordnung, die das Kirchesein der EKD festschreiben soll, sei "nur ein erster Schritt". Ziel sei vielmehr eine "wirkliche Kirchwerdung der EKD". Und kurz nacheinander: "Wir wollen mehr EKD" und: "Wir brauchen mehr EKD." UEK-Präsident Christian Schad warnte: "Wir dürfen die VELKD nicht überfordern."

Bei der EKD-Synode veranlasste Heins Forderung den sächsischen Oberlandeskirchenrat Klaus Schurig (VELKD) zu einem Gegenschlag. Die EKD sei "theologisch" gesehen zwar "Kirche", aber man solle in der Grundordnung auch festlegen, dass sie "organisatorisch" ein "Bund" bekenntnisverschiedener Kirchen sei. Das wäre ein "Rückschritt", meinte der Berliner Synodale Joachim Klasse (UEK).

Repräsentant der Einheit

Für Bischof Ulrich muss die EKD ihre Rolle als Kirche so wahrnehmen, dass sie "Repräsentant der Einheit" ist und den theologischen und spirituellen Reichtum der verschiedenen evangelischen Konfessionen "wertschätzt und fördert". Die VELKD, unterstrich Ulrich, sei Kirche und müsse als solche "sichtbar und handlungsfähig" und "mit angemessenen Leitungsstrukturen und Repräsentationsformen ausgestattet" sein. Der Beitrag des Luthertums wurde in Dresden zum Beginn der EKD-Synode sichtbar und hörbar, als in der Kreuzkirche eine gesungene lutherische Messe gefeiert wurde. Sie konnte dem Vergleich mit römisch- und anglokatholischen Inszenierungen standhalten.

Von den sieben Mitgliedskirchen der VELKD haben manche ihr Luthertum erst im 19. Jahrhundert, im Rahmen einer neulutherischen Erweckung, (wieder-) entdeckt. Aber seither haben sie eine eigene Identität entwickelt. Sie zeichnet sich durch die Pflege einer liturgischen Tradition aus, die auf Martin Luthers evangelischer Messe fußt, und die Hervorhebung des Pfarr-und Bischofsamtes. Eine andere lutherische Tradition hat dagegen die Württembergische Landeskirche bewahrt, die nicht zur VELKD gehört. Sie pflegt den von Luther ausdrücklich gut geheißenen Predigtgottesdienst. Er wurzelt - wie der Gottesdienst der Reformierten - im mittelalterlichen Prädikantengottesdienst. Die württembergischen Geistlichen tragen bei Taufe und Abendmahl ein weißes Chorhemd, wie das Luther tat. Das Priestertum aller Glaubenden spiegelt sich in Württemberg, auch unter dem Einfluss des Pietismus, stärker als in anderen lutherischen Kirchen. Und Reformierte wurden schon ab Mitte des 19. Jahrhunderts zum Abendmahl zugelassen.

In Dresden erinnerten württembergische Synodale und Landesbischof Frank O. July daran, dass die EKD nicht einfach aus Bünden wie der VELKD und der UEK besteht, sondern aus Landeskirchen. July erinnerte daran, dass eine Änderung der Grundordnung der EKD in jeder Landessynode eine Zweidrittelmehrheit erfordert. Der Hinweis lässt sich auch als Wink mit dem Zaunpfahl verstehen. Schließlich war vor 40 Jahren eine Änderung der EKD-Grundordnung gescheitert, weil Mitglieder der württembergischen Landessynode eine Zentralisierung befürchteten.

Bei der VELKD-Synode kritisierte der hannoversche Ökonom Jens Rannenberg: "Bei uns dominiert der Prozess das Ziel und nicht das Ziel den Prozess." Bei der EU wurde dieses Verfahren lange erfolgreich praktiziert. Doch nun scheint es nicht mehr zu funktionieren. Mal sehen, wo die EKD landet, wenn sie wie Angela Merkel nur "auf Sicht fährt".

Jürgen Wandel

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