Ein Mann, ein Tag.

Ein Buch über die Einsamkeit
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Isherwood blättert ein Kaleidoskop innerer Monologe auf, die den Sinn des Lebens reflektieren.

Santa Monica im November, dem Monat der Melancholie. Ein hübsches Haus, ein guter Job an der Universität und die ewige kalifornische Sonne mit der Nähe zum Meer, all das vermag dem Literaturprofessor George nicht vorzutäuschen, dass sein Leben schal geworden ist und er selbst in einer Midlifecrisis steckt. Die amerikanische Utopie des Easy-Living in den Sechzigerjahren ist für den Briten die Hölle, vor allem, nachdem er durch einen Autounfall seinen jungen Lebensgefährten verlor. Er spielt seine Rolle an der Universität, agiert mit seinen Studenten ironisch, sarkastisch. Lebt auf in kurzen Momenten der Begegnungen mit jungen Männern, deren Körper er en passant gedanklich nüchtern seziert. Besucht eine Bekannte im Krankenhaus, die auf ihren Tod wartet und ihn zum Nachdenken über den eigenen zwingt. Isst zu Abend mit einer alten Freundin, die ihn eher langweilt, als inspiriert, die vom Heimkehren nach England spricht und von ihm den Rat erhält: "Ein schlechtes Gewissen sollte nie ein Motiv sein, weder fürs Fortgehen noch für ein Dableiben."

Den Wendepunkt bringt der Heimweg am Abend. In einer Bar trifft er Kenny, einen seiner Studenten, ein Wortgeplänkel mündet in einem nackten Bad im Ozean, bei dem George ständig auf ein erlösendes Wort, ein Outing wartet. Er nimmt Kenny mit zu sich nach Hause, doch die erotisch aufgeladene Situation mündet in einer banalen Szene, die alles entzaubert. Statt Sex erwartet George ein einsamer Tod, er kann ihn erkennen, sezieren, dann kommt er gnädig schnell.

Isherwood blättert ein Kaleidoskop innerer Monologe auf, die den Sinn des Lebens reflektieren. Die Dialoge sind geschliffen und handeln von Vergänglichkeit, Verzeihen, Vergessen. Von Selbsterkenntnis und zuletzt von Hoffnung. Die zwischenmenschliche Kommunikation scheitert, der "Single Man" - der Einzelgänger - bleibt in aller Konversation reserviert und unverstanden, was an seiner Bildung, der Herkunft, vor allem aber seiner Homosexualität liegt. Der Roman ist mit einer Prise feinen britischen Humors versehen und obschon intellektuell anspruchsvoll mit einer gewissen Leichtigkeit zu lesen, was sicher an dem ironischen Unterton und der nüchternen Selbstanalyse des Protagonisten liegt.

Dieses Buch macht neugierig auf den 1986 verstorbenen Autor Christoper Isherwood, der 1939 in die USA einreiste und entgegen seiner anfänglichen Meinung fünfzig Jahre lang in Kalifornien blieb, nachdem er zuvor in Deutschland, Portugal und China gelebt hatte. Sobald er etabliert war, gab er jüdischen Einwanderern, zumeist Deutschen, Sprachunterricht, erklärt ihnen das Land aus europäischer Sicht und half bei der Eingliederung.

Der Exzentriker, der alle Größen des Hollywood-Showbizz kannte und der dennoch, wie sein Romanheld, stets ein Außenseiter blieb, konnte einen großen Erfolg mit der Verfilmung seiner Berlin-Stories, unter dem Titel "Cabaret" verbuchen. Man zollte ihm überall Anerkennung, und es brachte ihm vor allem finanzielle Unabhängigkeit.

Auch wenn man den grandiosen Film von Tom Ford mit Colin Firth in der Hauptrolle gesehen hat, wird man sich bei diesem Buch keinesfalls langweilen. Im Gegenteil, es erschließt die komplexe Gedankenwelt Isherwoods und ist zudem ein wichtiges Buch der Schwulenbewegung. "The first Couple" werden er und sein dreißig Jahre jüngerer Freund Don Bachardy noch heute genannt. Deren öffentlich gelebte Beziehung zwischen Männern, die über Jahrzehnte hielt, war damals ohne Beispiel und galt als vorbildlich. In den Siebzigerjahren nehmen Isherwood und sein Freund an den Umzügen der ersten Gay-Pride-Paraden teil, und für den zurückhaltenden Schriftsteller ist die Schwulenbewegung die einzige Bewegung, in der er sich engagierte.

Christopher Isherwood: A Single Man. Hoffmann & Campe Verlag, Hamburg 2014, 160 Seiten,

Euro 18,-.

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Angelika Hornig

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