Im Königreich der Indiskretion

Die Geschichte der Prominentenjagd ist nun erstmals im Museum zu sehen
"Bitte lächeln!" – Die Schauspielerin Anita Ekberg verläßt 1959 das Flugzeug... Fotos: Kunsthalle Schirn
"Bitte lächeln!" – Die Schauspielerin Anita Ekberg verläßt 1959 das Flugzeug... Fotos: Kunsthalle Schirn
Die Fotoausstellung "Paparazzi!" in der Frankfurter Kunsthalle Schirn zeigt aus vielen Perspektiven Jäger und Gejagte des verbotenen Bildes. Der Gang durch dieses Panoptikum des entblößenden Schnappschusses ist nicht nur unterhaltsam und erschreckend, sondern zeigt auch eindrücklich, wie die "Kunst" der Paparazzi neue Kunstformen gebiert.

Sechs abgeteilte kleine Räume, über deren Eingang sechs Namen prangen, führen ins Herz der Dinge: "Liz", "Diana", "Britney", "Paris", "Brigitte" und "Jackie". Sechs Räume, die die Geschichte von sechs berühmten Frauen entfalten, sechs Räume, die zwischen Altar und Verlies changieren. Mit diesem Begriffspaar lassen sich die Gegensätze wohl am besten umschreiben, mit denen Liz Taylor, Prinzessin Diana, Britney Spears, Paris Hilton, Brigitte Bardot und Jackie Kennedy, später Onassis, und ihre jagenden Fotografen existierten und hantierten. Diese sechs Räume befinden sich etwa in der Mitte der Schau "Paparazzi!" in der Frankfurter Schirn.

Doch der Reihe nach: Zunächst, gleich hinter dem Eingang, müssen alle Besucherinnen und Besucher der Ausstellung selbst über den roten Teppich wandeln, umsäumt von aufgereihten Fotoapparaten und Fernsehkameras, die auf Stangen gesteckt sind. Eine Art Friedhof der Kuscheltiere also, denn der rote Teppich von Cannes, Venedig, der Berlinale oder Hollywood zeigt ja die helle Seite der Paparazzikultur, sozusagen Paparazzi light, denn alle "Opfer" kommen freiwillig, sie posieren bewusst und well prepared. Sie wollen kuscheln mit den Fotografen, nicht kämpfen.

Fliegende Tassen

Interessanter ist natürlich, wenn es handgreiflich wird, wenn die "Opfer" wirklich zu Opfer werden. Eines der bekanntesten Bilder dieses Genres, zeigt Rockstar Mick Jagger zusammen mit dem Schauspieler und späteren Politiker Arnold Schwarzenegger im Jahre 1990: Jagger hält die ausgestreckte Hand der Kameralinse entgegen, und aus seinem halb verdeckten Mund meint man die Worte "Jetzt reicht's aber, hau ab!" zu vernehmen. Das frisch-freundliche Lächeln Schwarzeneggers und der gespannt-belustigte Blick des Fotografen im Bildhintergrund legen aber nahe, dass alles so ernst wohl nicht gemeint ist. Zehn Jahre zuvor, als ein Paparazzo den Kopf der Rolling Stones mit seiner damaligen Freundin Jerry Hall überrascht, wirft Jagger sogar eine Porzellantasse - hoffentlich kein Meißner. Aber auch hier lässt sich die Miene seine Begleiterin eher so lesen: "Keine Angst, er will nur spielen" (siehe nächste Seite).

Das alles legt nahe: Bis zu einem gewissen Maße genießt der Star die Paparazzi, und natürlich weiß er um den Mechanismus, dass sich Fotos, die den Star (scheinbar) in Rage zeigen, besser verkaufen als der Schnappschuss mit Ansage auf dem roten Teppich. Diese Bilder atmen durchaus noch ein wenig vom Geist der Frühzeit der Schnappschuss-Epoche. So ist in der Ausstellung eine berühmte Aufnahme von Erich Salomon (1886-1944) zu sehen, die jener im Jahre 1931 im französischen Außenministerium, dem Quai d'Orsay, von dem damaligen französischen Außenminister Auguste Briand tätigte. Als Briand den Fotografen bemerkt, wendet er sich um, weist mit dem Finger auf Salomon und lässt jovial verlauten: "Ah, da ist er ja, der König der Indiskretion."

Zu ihrem Namen kamen die Paparazzi übrigens infolge des bekannten Films "La dolce vita" von Frederico Fellini aus dem Jahre 1960. "Paparazzo" lautet der Name des Fotografen, der auf der Suche nach Schnappschüssen von Filmstars durch das pulsierende Nachtleben zieht. Woher Fellini diesen Namen hatte? Darüber gibt es verschiedene Theorien. Die eine besagt, dass sich der Begriff aus zwei Worten zusammensetzt, nämlich aus "pappataci", die Bezeichnung eines aggressiven Moskitos und "razzi", italienisch für Blitzlicht. Andere Theorien behaupten, dass Fellini das Wort zufällig in einem Opernlibretto gefunden habe, oder dass es gar der Name eines seiner Kindheitsfreunde gewesen sei.

Liz, Diana, Britney und Jackie

Wie auch immer, mit "La dolce vita" wurde die Mehrzahl "Paparazzi" zur Genrebezeichnung für jene finsteren, ja dämonischen Gestalten des unerwünschten und erpressten Bildes. Seitdem ist Paparazzi die Bezeichnung eines negativen Gegenentwurfs beispielsweise zur Lichtgestalt des tapferen Kriegsreporters. Zuweilen glich es durchaus einem Krieg, was sich auf der Jagd der Paparazzi nach ihren Opfern abspielte und bis heute abspielt! Über diesen wunderlich-fürchterlichen Krieg legen besonders jene sechs Ausstellungsräume Zeugnis ab, von denen eingangs die Rede war: "Liz", "Diana", "Britney", "Paris", "Brigitte" und "Jackie" wurden von den Paparazzi jahrelang gejagt beziehungsweise gestalked, wie man heute sagen würde.

Beispiel Jackie Onassis, die frühere Gattin von US-Präsident John F. Kennedy und später mit dem griechischen Reeder Aristoteles Onassis verheiratet: 1971 fotografierte Settimo Garritano sie auf ihrer griechischen Privatinsel Skorpios unbemerkt und ausführlich als Nackte. Monatelang raunte man in Fachkreisen nur darüber, dass es diese Bilder gäbe. Über ein Jahr später erschienen sie dann - erst in der italienischen Playboy-Version "Playmen", dann im US-Magazin "Hustler". Settimo Garritano, eigentlich ein seriöser Fotograf, konnte seine Identität jahrelang geheim halten.

Noch heute überfällt den Betrachter Fremdschämen über so viel Dreistigkeit des Teleobjektivs! Und das liegt gar nicht am Motiv an sich - zeigen doch die Bilder Jackie Onassis wie jede andere, harmlose FKK-Urlauberin. Aber gerade das Betrachten dieser so privaten Szene erzeugt beim Schirn-Besucher unangenehme Schauer: "Oh Gott, das möchte ich nicht erleben!" Und man ist geneigt, der Fotografen-Ikone Helmut Newton Recht zu geben. Er sagte damals: "... some of the most disturbing photos of the century.” Heute begegnet einem so etwas jeden Tag im Boulevard, zum Beispiel auf der letzten Seite der BILD-Zeitung. Eigentlich schlimm.

Aber es geht noch schlimmer: Popstar Britney Spears, deren psychische Abgründe jahrelang weltweit live ins Wohnzimmer geliefert wurden, entsteigt 2006 einem Auto, die 24-Jährige trägt keine Unterwäsche, auf den Paparazzifotos ist ihre Scham unverhüllt zu sehen. Das puritanische Amerika tut entsetzt, aber weidet sich umso genüsslicher an dem tragischen Psychoabsturz eines Stars, der, sichtlich vom Leben überfordert, eigentlich vor sich selbst geschützt werden müsste.

Die Geburt des It-Girls

Auf ihrer endlosen Partytour war Britney damals mit Paris Hilton unterwegs. Jener Millionenerbin, die zum Star aufstieg. Mit ihr wurde das "It-Girl" geboren, und wer immer gerätselt hat, was das ist, der kann in der handlichen deutschen Begleitbroschüre der Schirn lesen: "Als 'It-Girl' wird eine Frau bezeichnet, die das sogenannte gewisse Etwas hat. Sie muss weder talentiert noch beruflich erfolgreich sein, es reicht vielmehr, dass sie charmant, reich, modisch gekleidet oder gut aussehend ist, gerne auf Partys geht und dort fotografiert wird oder aus einer bekannten und wohlhabenden Familie stammt." Na, herzlichen Glückwunsch!

Der letzte Teil der Frankfurter Schau zeigt, wie die dunkle Kunst der Paparazzi selbst zum Gegenstand von Kunst wird. Höhepunkt sind die Arbeiten von Alison Jackson. Die britische Fotokünstlerin (Jahrgang 1970) inszeniert immer wieder absolut private und absolut intime Situationen mit Doubles von Prominenten, und die täuschend echten Bilder verstören. Man ertappt sich beim unvorbereiteten Kontakt mit ihren Werken bei dem Gedanken: "Die Queen auf der Toilette - das geht zu weit." Ginge es ja auch ...

Spätestens bei den prickelnden Schockmomenten der Bilder von Alison Jackson wird auch deutlich, dass die Bedeutung der klassischen Paparazzi im 21. Jahrhundert schwinden wird. Jackson demonstriert nämlich, dass der technische Fortschritt Manipulationen an angeblich authentischen Bildern ermöglicht, die das Vertrauen des Betrachters in den Gegenstand der Betrachtung nachhaltig erschüttern. Wer glaubt denn heute noch Fotos, die durchs Internet rasen?

Insofern dokumentiert die grandiose Schau in der Schirn - weltweit die erste dieses Zuschnitts überhaupt - bereits den Abgesang auf das Handwerk der gnadenlosen Indiskretion. Ansehen aber sollte man sie unbedingt! Denn "Paparazzi!" verspricht nicht nur einen überaus unterhaltsamen Nachmittag, oder auch zwei, sondern führt überdies von ästhetischer Faszination zu ethischen Fragen. Und Ausstellungen, die das Gewissen berühren, sind hoch zu loben.

Informationen

Die Ausstellung "Paparazzi! - Fotografien, Stars und Künstler" ist bis zum 12. Oktober in der Frankfurt Kunsthalle Schirn zu sehen. Öffnungszeiten: Dienstag und Freitag bis Sonntag, 10-19 Uhr; Mittwoch und Donnerstag 10-22 Uhr.

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Reinhard Mawick

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