Familien unter Druck

Die Chance der Kirchen für eine neue Familienpolitik
Jedes dritte Kind lebt in einer Risikolage, Müttern, die wegen der Kindererziehung aus der Erwerbstätigkeit ausscheiden oder Teilzeit und in Minijobs arbeiten, droht Altersarmut. Es gibt kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem.

Es ist ein Jahr her, dass der Rat der EKD mit der von ihm herausgegebenen Orientierungshilfe "Zwischen Autonomie und Anpassung. Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken" Zuspruch, aber auch herbe Kritik erfahren musste. Und wie so oft äußerten sich die Befürworter leise, wenn überhaupt, während sich Kritiker vernehmlich zu Wort meldeten. Eine theologische Klärung zum Verständnis der Ehe, die der Rat der EKD bei seiner Theologischen Kammer in Auftrag gegeben hat, soll folgen. Doch die familienpolitische Akzentuierung ist über die theologische Auseinandersetzung aus dem Blick geraten. Deshalb war es folgerichtig und lohnenswert, dass die EKD Anfang Juli nach Berlin zu einem Symposium "zur familienpolitischen Debatte um die Orientierungshilfe der EKD" einlud. Denn bislang war diese wichtige Debatte nicht geführt worden. Und das, obwohl "eine zeitgemäße Familienpolitik im Zentrum des Auftrags der Orientierungshilfe" stand, wie der Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider in Berlin betonte. Für die Zukunft des Landes werde es wichtig sein, dass die familien- und sozialpolitischen Weichenstellungen den Familien gerecht werden, gleich in welcher Form sie leben.

Nur zu Recht wird die Wirksamkeit der derzeitigen ehe- und familienpolitischen Leistungen in Frage gestellt. Es liegen inzwischen genügend Erkenntnisse vor, welche Unterstützung Familien brauchen. Christel Riemann-Hanewinckel, Präsidentin der Evangelischen Aktionsgemeinschaft für Familienfragen, warf Politik und Kirchen vor, zu wenig mit dem vorliegenden Erkenntniswissen zu arbeiten. Vielmehr würden ideologische Grabenkämpfe ausgetragen: "Wir sind bereit, über das zu reden, was uns lieb ist, aber nicht über das, was teuer ist."

Die Fakten liegen auf der Hand: Jedes dritte Kind lebt in einer Risikolage, Müttern, die wegen der Kindererziehung aus der Erwerbstätigkeit ausscheiden oder Teilzeit und in Minijobs arbeiten, droht Altersarmut. Zudem ist die Situation von Alleinerziehenden besorgniserregend. So unterschiedlich die Perspektiven der Referentinnen und Referenten waren, vom sozialpolitischen Vorstand der Diakonie Deutschland, Maria Loheide, der Vorsitzenden des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales, Kerstin Griese, und auch vom Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes, Georg Cremer, in einem waren sich alle einig: Es gibt kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem.

Dieses zu lösen, kann die evangelische Kirche als Bündnispartner, als "wichtiger zivilgesellschaftlicher Akteur" (Ute Gerhard) dienen. Ein Ansatz dazu ist die Orientierungshilfe, die den Blick für alle Menschen öffnet, die familiäre Leistungen erbringen. Für andere zu sorgen, alltägliche Haus-, Erziehungs- und Pflegearbeit zu übernehmen und dieses privat und unbezahlt, kann nicht länger als eine der tragenden Säulen des Wohlfahrtsstaates hingenommen werden. Allein mit dem Argument, das habe auch bislang funktioniert, wird man dem demographischen Wandel und dem Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt nicht gerecht. Nötig ist eine neue Familienpolitik, die es Männern und Frauen ermöglicht, Berufs- und Familienarbeit partnerschaftlich zu gestalten. Dafür Lösungen zu erarbeiten, können Kirche und Diakonie in ihren Einrichtungen und Gemeinden leisten und somit zum kompetenten Bündnispartner der Politik bei der Aufwertung von Sorge- oder Familienarbeit werden.

Kathrin Jütte

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Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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