Älter als der Mensch

Auch Apfel und Birne, Quitte und Mandel sind Rosengewächse
Foto: Hans-Jürgen Krackher
Foto: Hans-Jürgen Krackher
Lange bevor die ersten Rosenzüchter zum Okuliermesser griffen, um die Gartenrose zu veredeln, blühten in Europa allerorten verschiedene Arten von Rosen. Der Wissenschaftsjournalist Reinhard Lassek beschreibt die Ausbreitung der Rose.

Wer danach fragt, wie die Rose nach Europa kam, insbesondere nach Mitteleuropa, sollte strikt zwischen Wild- und Kulturrose unterscheiden. Auch wenn natur- und kulturgeschichtliche Phänomene nur selten beziehungslos nebeneinander stehen, die Besiedlung natürlicher Lebensräume durch die Wildrose ist etwas ganz anderes als die zivilisatorische Ausbreitung der Gartenrose. Lange bevor die ersten Rosenzüchter beherzt zum Okuliermesser griffen, um jene Naturschönheit zu veredeln, blühten in Europa allerorten verschiedene Arten von Rosen - selbst in den wildesten Gegenden.

Bevor Mensch und Rose jedoch in Europa aufeinandertrafen, mussten beide jeweils eine lange evolutionäre Entwicklung durchlaufen. Anders als bei der berühmten Frage nach der Henne und dem Ei, gibt es jedoch keinerlei Zweifel darüber, dass die Rosenblüte der Menschwerdung voranging.

Was die Rose anbelangt, so gehört sie zu einer Großfamilie, die schon frühzeitig in Europa heimisch war: Das Hauptverbreitungsgebiet der Rosaceae - so die wissenschaftlich korrekte Bezeichnung für Rosengewächse - ist nämlich die Nordhalbkugel. Rosaceen bevorzugen kalte und gemäßigte Klimazonen. Sofern sie subtropische Regionen erobern konnten, gedeihen sie am besten in kaltgemäßigten Gebirgslagen. Die rund 3.000 Arten der Rosaceae entstammen 90 Gattungen. Doch nur eine davon, nämlich die Gattung Rosa, meint "Rosen im engeren Sinne".

Aus dem Eozän

Die ältesten fossilen Rosaceen stammen aus dem Eozän, einer erdgeschichtlichen Epoche, die vor etwa 56 Millionen Jahren begann und vor 34 Millionen Jahren endete. Dies ist durch zahlreiche Fossilfunde aus Nordamerika und Europa gut belegt. Die ältesten Fossilien aus Asien und Nordafrika hingegen sind "nur" zwischen 23 und 2,5 Millionen Jahre alt. In Europa stellten Rosengewächse über lange Zeit ein wichtiges Florenelement dar. Erst die eiszeitlichen Vergletscherungen verdrängten die Vegetation, so dass die meisten der heutigen heimischen Pflanzenarten - einschließlich der Wildrosen - Einwanderer aus dem mediterranen Raum und den angrenzenden Gebieten Südosteuropas und Westasiens sind.

Das entwicklungsgeschichtliche Entstehungszentrum für die Gattung Rosa erstreckt sich auf eine Region zwischen Mittel- und Zentralasien. Denn noch heute wachsen dort die meisten der - je nach botanischer Lesart - 100 bis 250 Wildrosenarten. Sämtliche Rosen auf der Südhalbkugel, soviel ist gewiss, wurden erst von Menschenhand angesiedelt.

Was den Menschen anbelangt, so trat er erst spät in der Evolution auf den Plan - noch später kam er nach Europa: Auch wenn die rein menschliche Fähigkeit, das Feuer bewusst zu bewahren, seit mehr als 400.000 Jahren existiert, von seinen haarigen Vettern löste sich der Homo sapiens - der einsichtsfähige, weise Mensch - frühestens vor 200.000 bis 100.000 Jahren. Europa erreichten die ersten Vertreter unserer Gattung erst vor rund 40.000 Jahren. Da die Eiszeit in Mitteleuropa gerade einmal vor etwa 10.000 bis 20.000 Jahren zu Ende ging, mussten die frühen Europäer noch lange Zeit als eiszeitliche Jagdgesellschaften durch eine artenarme, arktische Tundra streifen. An Vegetation gab es lediglich Sträucher, Moose und Flechten. Und noch heute gilt Europa - im Vergleich zu den Tropen - als eine durch die Eiszeiten nachhaltig verarmte Florenregion. Man muss sich das nur einmal vorstellen: Noch vor 15.000 Jahren stand man in Südschweden vor einer kolossalen Wand aus Eis. Die floristische Neubesiedlung Europas vollzog sich somit quasi vor den Augen der ersten Europäer.

Mit dem Apfel verwandt

Heutzutage gibt es auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland etwa 4.100 Wildarten von Gefäßpflanzen. Doch nur rund zehn Prozent unserer heimischen Farn- und Blütenpflanzen sind endemisch oder autochthon - das heißt, im engeren Sinne als einheimisch anzusehen. Nur wenigen Arten gelang es - etwa in Randzonen oder Insellagen - jenen großflächigen Vergletscherungen zu trotzen. Und so konnte sich auch nur ein kleiner Teil der einst vom Eis verdrängten ursprünglichen Flora hernach wieder auf natürliche Weise regenerieren. Die meisten Arten gelangten in der Tat erst aufgrund indirekten oder direkten menschlichen Eingreifens nach Mitteleuropa. So wurden etwa Klatschmohn, Kornblume und Kamille vermutlich schon vor Jahrtausenden von Menschenhand über verunreinigtes Saatgut eingeschleppt.

Anderen Arten hingegen gelang zwar die Zuwanderung aus eigener Kraft. Doch waren sie bei der Ausbreitung auf einen Wandel der nunmehr weitgehend geschlossenen Waldlandschaft angewiesen. Im Neolithikum - der Jungsteinzeit - wurden dann auch in Europa Jäger und Sammler zu Ackerbauern und Viehzüchtern. Die damit einhergehenden Waldrodungen eröffneten nunmehr auch neue Siedlungsräume für Wildpflanzen. In Mitteleuropa kam dieser Prozess etwa 5500 v. Chr. vom Donauraum her in Gang. Im nördlichen Mitteleuropa sowie in Nordeuropa setzte jener als "neolithische Revolution" bezeichnete zivilisatorische Aufbruch erst um 4000 v. Chr. ein.

Verwandtschaftliche Beziehungen zur Rose verraten auf den ersten Blick übrigens nur die wenigsten Rosengewächse. Denn für eine Mitgliedschaft in dieser Großfamilie sind offenbar weder prachtvolle Blüten, betörende Düfte noch wehrhafte Stacheln irgendwie verpflichtend. Ein kurzer Blick auf die nähere und fernere Verwandtschaft der Gattung Rosa bietet indes ein höchst beeindruckendes Szenarium: Viele wichtige Zier- und Nutzpflanzen sind Rosaceen. Und wer sich nicht in der Botanik auskennt, den wird es gewiss einigermaßen verblüffen, dass Apfel und Birne, aber auch Steinobst wie Kirsche, Pflaume, Quitte und Mandel typische Rosengewächse sind.

Charakteristisch für die Rosaceen sind vor allem die oft große Zahl an Staubblättern sowie die auffällige Beteiligung der so genannten "Blütenachse" am Blüten- und Fruchtaufbau. Als Früchte treten vielsamige Balgfrüchte, Nüsschen oder Steinfrüchte auf, die sich oftmals wiederum zu Sammelfrüchten verbinden. Das gilt etwa für Rosaceen wie die Him- und Brombeere, aber auch für die Erdbeere. Doch während Him- und Brombeere Sammelsteinfrüchte sind, ist die Erdbeere eine Sammelnussfrucht. Liebend gern essen wir den fruchtigen Erdbeer-Blütenboden, ärgern uns jedoch, wenn uns jene Nüsschen zwischen den Zähnen stecken bleiben.

Mit Mönchen nach Mitteleuropa

Fleischige Sammelnussfrüchte bildet auch die echte Rose aus. Allerdings werden die Nüsschen hier nicht wie bei der Erdbeere in der Außenwand des Fruchtfleisches eingelagert. Bei der Rose wächst der Blütenboden vielmehr becher- oder krugförmig um den freistehenden Fruchtknoten herum, um die Nussfrüchtchen im Inneren einer Hagebutte zu bergen. Der Blütenboden wird erst nach der Befruchtung fleischig, wobei als untrügliches Zeichen der Reife eine orangerote Verfärbung eintritt. Die Hagebutte löst sich indes nicht vom Stiel, sondern verbleibt als Winterzierde am kahlen Strauch. Gern werden die an Vitamin C reichen Früchte gesammelt. Die Wildrosen-Hagebutten schmecken zwar auch roh angenehm erfrischend, werden aber meist zu Marmelade verkocht, zu Wein vergoren oder getrocknet, um hernach als Tee aufgebrüht zu werden.

Es gibt - wie bereits erwähnt, je nach Auslegung des botanischen Artenbegriffes - zwischen 100 und 250 Wildrosenarten. So manche Wildrose machte im Laufe mehrerer Jahrtausende durch Kreuzung und Auslese eine große Karriere als Kulturrose. Denn mit der Rosenzucht hat man sich schon in den antiken Hochkulturen beschäftigt - etwa bei den Persern, Griechen und Römern, aber auch im alten China. Nach Mitteleuropa ist die Kulturrose wahrscheinlich erst um 800 durch christliche Mönche eingeführt worden.

Die wichtigsten Stammarten (Wildrosen) unserer Gartenrosen seien hier nebst ihrer natürlichen regionalen Herkunft genannt: Die stark duftende Teerose, Rosa odorata, sowie die Bengal- oder Chinarose, Rosa chinensis, stammen aus China. Die Damaszenerrose, Rosa damascena, kommt aus Vorderasien und die Zentifolie, Rosa centifolia, vermutlich aus dem Kaukasus. Eine weitere wichtige Stammart ist die in Westasien sowie in Europa heimische Essigrose, Rosa gallica. Aus manchen Wildrosen wurden gleich ganze Sortimente herangezüchtet, die mitunter Tausende herrlichster Gartenrosen umfassen. So gelangten etwa gelbe Farbschläge erst über Einkreuzung der asiatischen Wachsrose, Rosa foetida, in unsere Gärten. Für die beinahe zahllosen Polyantha- und Floribundarosen war vor allem die Einkreuzung der ostasiatischen Rispen-Rose, Rosa multiflora, wichtig. Die modernen Kletterrosen hingegen gehen zumeist auf die ostasiatische Wichurarose, Rosa wichuraiana, zurück. An der Zucht moderner Strauchrosen ist neben der in Westasien und im Mittelmeerraum vorkommenden Moschusrose, Rosa moschata, noch die ostasiatischen Kartoffelrose, Rosa rugosa, als wichtige Ausgangsart beteiligt. Die Kartoffelrose hat sich außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebietes inzwischen geradezu invasionsmäßig ausgebreitet. Sie hat bereits die an der Nordseeküste heimische Dünen- oder Bibernellrose, Rosa spinosissima, weitgehend verdrängt.

Geklonte Schönheiten

Da Wildrosen üblicherweise genetisch sehr variabel sind und sich auch in der Natur artenübergreifend kreuzen, gibt es viele Unterarten, Varietäten und Formen. Allein die Sektion der in Deutschland weit verbreitete Hundsrose, Rosa canina, umfasst rund 60 Arten. Ohnehin ist die Hundsrose eine der wichtigsten europäische Wildrosen. Sie dient vielen Kulturrosen als Veredelungsunterlage. Kunstrosen gedeihen am besten auf natürlicher Unterlage. Kulturrosen zahlen nämlich einen hohen Preis für ihre überwältigende Schönheit: Prachtvoll gefüllte Blütenstände lassen sich nur durch Umwandlung der Fortpflanzungsorgane heranzüchten. Um die besonderen Eigenschaften einer Kulturrose in die nächste Generation hinüberzuretten, wird sie nämlich nicht geschlechtlich, sondern vegetativ vermehrt. Und zwar durch Transplantation eines Pflanzenteiles (Edelauge oder Edelreis) auf eine andere - wildpflanzliche - Unterlage. Erst über diese traditionelle Form des Klonens gelingt es Rosenzüchtern, jeweils genetisch identische Individuen ungeschlechtlich zu vervielfältigen.

Für Jean Jaques Rousseau - nicht nur ein bedeutender Aufklärer, sondern auch ein passionierter Botaniker - war bekanntlich jede Abkehr von der Natur ein Graus. Das galt insbesondere auch für Gärten voller "Kunstblumen". 1771 schrieb er in einem seiner berühmten "botanischen Leerbriefe": "Die reine Natur ist da nicht mehr zu finden; denn vervielfacht sich das Auffallendste, also die Blumenkrone, geschieht es auf Kosten von wesentlichen Teilen, die von solch großer Pracht erdrückt und verdrängt werden: Diese Mißgestalten sind unfruchtbar, sie können sich nicht mehr fortpflanzen."

So unfruchtbar Kulturrosen sind, die Rosenzucht selbst gehört zu den fruchtbarsten Beschäftigungen, der sich die Menschheit seit ihrer Vertreibung aus dem Garten Eden hingab: Bis heute sind über 30.000 Rosensorten gezüchtet worden. Wahrlich genug, um jeden Garten in ein Paradies zu verwandeln.

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Reinhard Lassek

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