Eine Fundgrube

Geschichte der Pfadfinderschaft
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Dieses Buch ist nicht nur eine Fundgrube für Leserinnen und Leser mit einer eigenen Pfadfindergeschichte. Es schildert einen wichtigen Zweig der Jugendbewegung.

Viele Leser werden in diesem Buch einem wichtigen Teil ihrer eigenen Lebensgeschichte begegnen. Das Pfadfinderleben wirkt nach - selbst bei denen, die nicht Lebenspfadfinder wurden. Ich selbst habe das Engagement in der Christlichen Pfadfinderschaft (CP) beim Übergang ins Studium beendet; andere haben sich auch als Studenten weiter engagiert und gehören noch heute dazu. Viele haben in der Pfadfinderei die Bereitschaft erworben, sich für Kirche, Gesellschaft und Staat einzusetzen. Prominente Theologen sind aus der CP hervorgegangen - zum Beispiel die Bischöfe Johannes Friedrich und Ralf Meister, der Alttestamentler Otto Kaiser oder die Sozialethiker Günter Brakelmann und Siegfried Keil. Pfadfinderinnen und Pfadfinder prägen das Bild der Kirchentage durch ihr unermüdliches, für den Geist dieser großen Treffen maßgebliches Engagement in den Helfer- und Ordnerdiensten.

Doch dieses Buch ist nicht nur eine Fundgrube für Leserinnen und Leser mit einer eigenen Pfadfindergeschichte. Es schildert einen wichtigen Zweig der Jugendbewegung. Die Christliche Pfadfinderschaft ist zugleich in der evangelischen Jugendarbeit und in der Pfadfinderei verwurzelt; sie hat aber auch wichtige Anregungen aus der bündischen Jugend übernommen. Deshalb kommt ihr für die Geschichte der deutschen Jugendbewegung eine Schlüsselbedeutung zu. Ihre Anfänge reichen in das deutsche Kaiserreich zurück. Alle Umbrüche der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert spiegeln sich in der Geschichte dieses Bundes.

Der Impuls, der von der englischen Boy-Scout-Bewegung ausgeht, wird zunächst innerhalb der evangelischen Jünglingsvereine und des CVJM aufgenommen. Doch schon früh beharren die christlichen Pfadfinder auf ihrer Eigenständigkeit sowohl gegenüber den Kirchengemeinden als auch gegenüber dem CVJM. So kommt es zur Gründung eines eigenständigen Bundes, der jedoch schon bald der Zwangseingliederung in die Hitler-Jugend ausgeliefert ist. Die Kreuzpfadfinder halten indessen in den Jahren des Dritten Reiches untereinander Kontakt; in diesem Kreis wächst die kritische Distanz zur nationalsozialistischen Herrschaft und die Einsicht in deren Unvereinbarkeit mit dem christlichen Glauben. Dadurch bestehen Ansatzpunkte für den Neubeginn nach 1945; in der Folgezeit wächst die Mitgliederzahl bis auf 40.000 an. Die Umbruchzeit von Jugendrevolte und Studentenbewegung stellt auch die Pfadfindertradition in Frage. Der behandelte Zeitraum endet mit dem Zusammenschluss der Christlichen Pfadfinderschaft mit zwei evangelischen Pfadfinderinnen-Bünden zum Verband christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder (VCP).

Die Autoren stammen alle aus der CP. Das gibt ihren Darstellungen ein besonderes Kolorit, auch wenn es der historischen Analyse Grenzen setzt. In einem ersten Teil wird die Geschichte des Bundes in sieben Kapiteln chronologisch dargestellt. Bedauerlich ist, dass die Geschichte der Christlichen Jungenschaft der Markschaft Ost nur innerhalb eines Aufsatzes zur Sprache kommt, der schwerpunktmäßig der CP in West-Berlin gewidmet ist. Die illegale Weiterführung der Pfadfinderei in der ddr nach dem Verbot der Jungenschaft hätte eine eigene Darstellung verdient. Klaus Lischewsky hat dafür bereits 2001 die treffende Überschrift "Kugelkreuz und Lilie" geprägt.

In einem zweiten Teil werden achtzehn exemplarisch ausgewählte Themen behandelt; sie reichen von verschiedenen Aspekten der Pfadfinderpädagogik über besondere Zielgruppen - insbesondere Soldaten und Studenten - bis hin zu organisatorischen Fragen. Besondere Aufmerksamkeit verdienen dabei die Darstellungen zum Einsatz in der Dritten Welt, insbesondere Bolivien, sowie zu den Auslandsbeziehungen der CP. Der dritte Teil versammelt unter der Überschrift "Lexikon" 178 Kurzbiogramme wichtiger Akteure, Übersichten über die Publikationen der CP (mit der Überraschung, dass der berühmte Simplicissimus-Zeicher A. Paul Weber frühe Illustrationen in den CP-Schriften veröffentlicht hat) sowie die Satzungsdokumente des Bundes. Eine Zeittafel und das Literaturverzeichnis schließen den Band ab.

Eine wahre Fundgrube zur Geschichte der CP ist entstanden, die darüber hinaus eine aktuelle wissenschaftliche Aufarbeitung verdient. Denn die einzige wissenschaftliche Untersuchung zur CP wurde bereits 1961 veröffentlicht; sie war vor allem soziologisch ausgerichtet. Doch wer sich - sei es wissenschaftlich, sei es zur Auffrischung eigener Erinnerungen - mit der Geschichte der CP beschäftigen will, wird mit Gewinn zu diesem Buch greifen. Den Autoren und Herausgebern gebühren dafür Dank und Respekt.

Ulrich Bauer/Jobst Besser/Hartmut Keyler/Albrecht Sudermann (Hg.): Kreuz und Lilie. Wichern-Verlag, Berlin 2013, 520 Seiten, Euro 24,95.

Wolfgang Huber

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