Lyrische Miniaturen

Poesiealbum: Ein Kleinod setzt Maßstäbe
Foto: pixelio/Dietmar Meinert
Ein Blick auf die Lyrikreihe "Poesiealbum" lohnt. Was verbirgt sich hinter diesem Reihentitel, der ein wenig aus der Zeit gefallen klingt?

Als am Nachmittag des 6. Oktober 2011 das Nobelkomittee in Stockholm seinen Kandidaten für den Literaturnobelpreis bekannt gab, verblüffte das Komitee viele mit seiner Wahl. Der kürzlich verstorbene Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki verstieg sich gar zu der Aussage, den Namen des schwedischen Dichters Tomas Tranströmer nie zuvor gehört zu haben. Und das, obwohl der Schwede bis dahin in über sechzig Sprachen übersetzt worden war.

Anders im brandenburgischen Wilhelmshorst. Für Herausgeber und Verleger der Lyrikreihe Poesiealbum war der dichtende Schwede kein Unbekannter. Sie hatten ihm just das nächste Themenheft ihrer Reihe Nummer 298 gewidmet. Und die Verleihung des Nobelpreises unterstrich einmal mehr, wie richtig sie mit ihrer Wahl lagen. Gleichwohl kam das Ergebnis überraschend, so dass sie nach Drucklegung des neuesten Lyrikheftes kurz vor der Auslieferung nur noch einen Störer, also ein grafisches Element, auf die erste Seite des aktuellen Heftes platzieren konnten: Nobelpreis 2011.

Überhaupt lohnt ein Blick auf die Lyrikreihe Poesiealbum. Was verbirgt sich hinter diesem Reihentitel, der ein wenig aus der Zeit gefallen klingt? Der Name ist Programm, nämlich wörtlich zu verstehen, präsentiert die Serie doch das auf hohem Niveau, was man im 19. Jahrhundert noch Poesie, heute eher literaturwissenschaftlich Lyrik nennt. Und er erinnert an die Blütezeit des Poesiealbums, als im 19. Jahrhundert Teilnehmer literarischer Kreise sich gegenseitig Verse in eigens dafür angeschaffte Hefte schrieben. Jedes der stets 32 Seiten umfassenden Poesiealben ist einem Dichter, oder einer Dichterin gewidmet. Die Autoren dieser Reihe kommen aus der ganzen Welt. Auch aus Deutschland.

Schon in der DDR

Es sind dies nicht nur jene des klassischen Erbes, sondern auch Zeitgenossen der jüngeren Moderne wie Friederike Mayröcker (Heft 310), Rose Ausländer (Heft 292) oder Gottfried Benn, dem die Jubiläumsausgabe 300 gewidmet ist. Nebenbei bemerkt: Dieses lyrische Kleinod erschien ehemals im Ost-Berliner Verlag Neues Leben; Initiator und Herausgeber der Reihe war zu DDR-Zeiten der Lyriker Bernd Jentzsch. Insgesamt 275 Ausgaben von Ljubomir Lewtschew (Heft 33) über Theodor Fontane (Heft 44) bis hin zu Martin Luther (Heft 184)) erschienen monatlich in immer gleichem Layout zwischen 1967 und 1990. 90 Pfennige musste der Lesende zahlen, um am Kiosk ein Gedichtheft zu erstehen.

Dem märkischen Verleger Klaus-Peter Anders ist es nun zu verdanken, dass die Lyrikreihe seit 2007 wieder auflebt. Und während sich der Preis auf vier Euro und der Erscheinungszyklus in zweimonatlich geändert haben, hat sich an der Kühnheit des Konzepts nichts verändert. Es blieb bei Erscheinungsbild und Inhalt: Neben einer kleinen biografischen Einführung wichtige Stimmen zur Rezeption des Dichters und die Werkauswahl, vorgenommen von renommierten Experten ihres Faches. Eine überraschende Titelgraphik und im Inneren eine doppelseitige Grafik illustrieren jedes Heft.

Obwohl das Poesiealbum mit vielen literarisch hochwertigen Überraschungen aufwartet, liegt seine Bedeutung nicht nur in der literarischen Qualität. Wo Artifizielles, Traditionelles, Experimentelles und konkrete Poesie zusammenkommen, zählt das gelungene Ganze in seiner Stimmenvielfalt. Längst auch mit denen, die zu DDR-Zeiten keine Chance auf Publikation hatten. Eine Reihe von mittlerweile 310 Heften, nicht nur für passionierte Lyrikleserinnen und -leser, sondern für alle, die Freude an Sprache und Poesie haben.

zur Lyrikreihe Poesiealbum

Kathrin Jütte

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Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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