Im falschen Körper

Herausforderung für die Theologie: Transidentität und Ethik
Bin ich der, der ich bin, oder der, als der ich mich fühle? Foto: Anja Bleyl Fotodesign
Bin ich der, der ich bin, oder der, als der ich mich fühle? Foto: Anja Bleyl Fotodesign
Transidente Menschen, deren biologisches Geschlecht von ihrem gefühlten abweicht, gehören zu Gottes vielfältiger Schöpfung, so Stefanie Schardien, Juniorprofessorin für Systematische Theologie in Hildesheim. Doch darf der Mensch so weit gehen, den eigenen Körper operativ zu verändern?

I am what I am. Ich bin, was ich bin. Das Lied aus dem Musical La Cage aux Folles (Ein Käfig voller Narren) hat Kultstatus für viele Menschen, die sich in ihrer eigenen geschlechtlichen Identität jenseits des Mainstreams fühlen. Dazu zählen auch transidente Menschen, die oft über lange Zeit denken: "Ich bin eben nicht, was ich bin." Rein biologisch betrachtet gelten sie eindeutig als Mann oder als Frau, doch fühlen sie sich im falschen Körper gefangen. Einige von ihnen erleben sich schon als Kind dem anderen Geschlecht zugehörig, andere werden sich erst im Laufe ihres Lebens der Spannung zwischen äußerem und empfundenem Geschlecht bewusst. Dann können sie sich entscheiden, ob sie sich einer Geschlechtsangleichung unterziehen möchten, die mit ihren zahlreichen hormonellen und operativen Eingriffen eine durchaus langwierige Prozedur darstellt.

Theologie und Kirche begegnen transidenten Menschen dabei nicht selten mit Skepsis. Denn es gibt bekanntlich - nicht sehr viele, aber laute - Stimmen, die es Menschen mit anderen geschlechtlichen Identitäten recht ungemütlich im christlichen Schoß machen können. Notwendig und vor allem möglich erscheinen demgegenüber unaufgeregte evangelisch ethische Überlegungen. Zwei Fragen drängen sich auf, die beide nicht exklusiv für das Thema Transidentität reserviert sind, sondern dieses mit anderen ethischen Konfliktfeldern verbinden.

Die erste Frage ist Teil aller ethischen Diskussionen über sexuelle und geschlechtliche Orientierungen. Etwas provokant formuliert lautet sie: Ist diese faktische geschlechtliche Vielfalt in Gottes Sinn, womöglich gar sein Wille, oder ist sie vielmehr ein Zeichen der menschlichen Sündhaftigkeit und folglich ein Widerspruch zum göttlichen Willen?

Ethische Marschroute

Die zweite Frage verbindet das Thema Transidentität mit den Perfektionierungsdebatten des Enhancement (Verbesserung): Ist es aus theologischer Sicht verboten, erlaubt oder möglicherweise sogar geboten, den eigenen Körper zu verändern? Wie steht es also um theologische Perspektiven auf die geschlechtliche Vielfalt, zu der auch die Transidentität gehört? Natürlich lassen sich einzelne biblische Verse bemühen, um eine scheinbar klare ethische Marschroute vorzugeben: Gott schuf den Menschen als Mann und Frau; in vielen Bibelstellen werden andere sexuelle oder geschlechtliche Lebensformen scharf verurteilt (zum Beispiel 3. Mose 18,22; 5. Mose 22,5; 1. Korinther 6,9). Demnach entsprächen vielfältige Ausprägungen von Sex und Gender nicht Gottes Willen für die Schöpfung. Wie sinnlos wären dann Menschen, die sich durch ihre Homosexualität nicht fortpflanzen? Zweifelt, wer behauptet, sich im falschen Körper zu fühlen, nicht letztlich Gottes guten Schöpfungsplan an?

Wer so argumentiert, beurteilt die heutige Welt anhand einer - vermeintlich - ursprünglich von Gott geschaffenen Ordnung. Man darf demgegenüber spätestens dort skeptisch werden, wo Menschen - von ihren eigenen Interessen geleitet - festlegen, wen diese Schöpfungsordnung favorisiert oder ausgeschlossen haben soll.

Theologisch spricht mehr für eine von Gott geschaffene und avisierte Welt, die sich nicht durch reduzierte Ordnungen, sondern durch Vielfalt auszeichnet. Diese Vielfältigkeit des Lebens konstatiert eben auch die Bibel: vom Wimmelbild der Schöpfungserzählungen über verschiedene Lebensentwürfe und Familienkonstellationen bis zu den ersten Gemeinden, in denen gerade verschiedene Menschen ihren Ort fanden. Plausibler erscheint statt Ablehnung die Wertschätzung von Vielfalt, da sie mehr dem Gesamtklang des biblischen Zeugnisses und des christlichen Glaubens entspricht: Wer ernsthaft glaubt, dass Gott seine bunte Schöpfung liebt, dass Jesus Christus in seinem Wirken diese Liebe bedingungslos jedem Menschen in seiner Eigenheit zukommen ließ und dass Gottes Geist kräftig an allen zwischenmenschlichen Trennungen rüttelt, der kann sich nicht ebenso ernsthaft an Texte klammern, die Menschen ausgrenzen. Erst recht nicht aufgrund physischer oder psychischer Konstitutionen.

Die evangelische Kirche hat sich in dieser Hinsicht auf dem Feld der Bioethik, etwa im Blick auf Lebensanfang und -ende, bereits deutlich entschieden: Die Ebenbildlichkeit des Menschen darf nicht bestimmte körperliche Merkmale oder geistige Fähigkeiten zur Bedingung machen. Menschen dürfen nicht aufgrund ihres Soseins ausgegrenzt werden. Diese sinnvolle Einsicht kann nicht weniger für ein hetero-, homo-, intersexuelles oder transidentes Sein gelten. Das Handeln in der Kirche wie in der Gesellschaft muss deshalb darauf drängen, Vorurteile und Grenzen abzubauen und mehr noch: Menschen müssen in ihrem Sosein nicht nur toleriert, sondern als Bereicherung der Vielfalt willkommen geheißen werden.

Selbst Gott spielen?

Oft wird es theologisch begrüßt, wenn Menschen das Leben mitgestalten. Heftige Diskussionen über die Grenzen dieser Schaffenskraft entzünden sich allerdings immer dort, wo es um den Menschen und seine leibliche Verfasstheit selbst geht. Damit kommt auch die medizinisch-technische äußere Angleichung eines Körpers an das je andere Geschlecht in den Blick. Spielen Menschen, die ihre Körper nach eigenen Wünschen verändern, hochmütig selbst Gott? Verlassen sie damit den Bereich des nach Gottes Willen Erlaubten?

Diese Fragen werden auch an das Enhancement gestellt, das durch Operationen oder pharmazeutische Mittel Verbesserungen des Lebens verspricht. Auch hier geht es den Nutzern um die Anpassung an ein inneres Selbstbild, sei es durch Verschönerungen oder durch mehr geistige oder körperliche Fitness. Medizinisch begründet sind diese "Verbesserungen" nicht (wobei sich der Krankheitsbegriff freilich stets weitet), und doch antworten sie oft auf empfundenes Leiden. Auch die Trans-Gemeinschaft argumentiert ähnlich: Charakterisiert man das Diskrepanzgefühl als Krankheit oder Störung, lässt sich eine notwendige Behandlung gesellschaftlich einklagen. Die Medikalisierung und Pathologisierung eröffnet den transidenten Menschen "die Chance ..., im System der Krankenversicherung Anerkennung zu erlangen", so der Moraltheologe Stephan Goertz. Empfinden sich die Menschen aber selbst gar nicht als "gestört" oder "krank", beziehungsweise sieht die Außenwelt sie nicht so, dann müssen sie ihren Veränderungswunsch zumindest vor sich selbst anders begründen. Lässt es sich ethisch rechtfertigen, dass gesunde transsexuelle Frauen und Männer eine operative und hormonelle Angleichung an sich vornehmen lassen?

Zunächst zur Frage, ob sie damit Gott spielen: Die Geschlechtsangleichung demonstriert tatsächlich ein tiefgreifendes und kunstvolles menschliches Schaffen. Doch ist es vergleichbar mit Gottes schöpferischem Tun? Es wäre klein von Gottes Schöpfermacht gedacht, wenn Menschen sie in ihrem Tun einfach kopieren könnten. Denn aus der Glaubensperspektive betrachtet lässt Gott in der Schöpfung aus dem Nichts ein Alles entstehen. Menschen dagegen können bei aller Kreativität immer nur aus dem etwas schaffen, was schon vorgegeben ist. Insofern besteht also kaum Anlass zur theologischen Sorge, im schöpferischen Handeln spielt Gott in einer grundsätzlich anderen Liga.

Zu klären bleibt dennoch, ob derartige Eingriffe am Körper ethische Grenzen überschreiten. Wenig plausibel, da realitätsfern sind die zwei Extreme einer radikalen Selbstbestimmung und der Forderung, die von Gott gegebene Natur einfach anzunehmen. Darum braucht es Kriterien für wünschbare, akzeptable oder abzulehnende Veränderungen. Aus theologisch-ethischer Sicht zählt dazu mindestens dreierlei: Erstens muss Leid behoben oder vermieden werden. Anders als beim Enhancement, das oft den Wunsch nach weiteren "Verbesserungen" mit sich bringt, leiden transidente Menschen Studien zufolge nach einer Geschlechtsangleichung tatsächlich weniger und sind zufriedener. Zweitens gilt es, die menschliche Freiheit zu berücksichtigen und zu fördern. Inwieweit die medizinischen Veränderungen dies tun, ist fraglich: Wie sehr sind die "freiwilligen" Wünsche (und die vorausgehenden Leiden) von sozialen Erwartungen, vom Zeitgeist bestimmt? Gendertheoretische Ansätze etwa führen das Verlangen transidenter Menschen, äußerlich Mann oder Frau zu werden, durchaus auch auf die gesellschaftliche Erwartung dichotomer Sex- und Gender-Muster zurück. Als Konsequenz dieser Einsichten sollten langfristig solche einengenden Vorstellungen in der gesellschaftlichen Wahrnehmung aufgebrochen werden. Kurzfristig aber hilft der Verweis auf mögliche soziale Ursachen dem akuten Leiden nicht ab. Deshalb muss es ernstgenommen und die Selbstbestimmung geachtet werden.

Eintreten für Transidente

Ethisch gewichtig ist drittens das Eintreten für die Benachteiligten. Gerade an dieser Stelle tun sich die wohl größten Unterschiede zu den Techniken des Enhancement auf, die aus finanziellen Gründen bislang nur Wenigen zur Verfügung stehen und Ungerechtigkeiten verschärfen. Man mag darüber streiten, ob das transidente Erleben von Diskrepanz zwischen Gefühl und Körper eine auszugleichende Benachteiligung darstellt. Misstrauen, Vorurteile und Ausgrenzungen, wie transidente Menschen sie erleben, sind dies dagegen gewiss und verlangen Antworten von der Kirche als Institution und als Gemeinschaft.

Wie können solche Antworten in der Gemeindepraxis aussehen? Neben Seelsorge und einem sozialethischen Engagement, das sich gesellschaftlich für die Inklusion transidenter Menschen einsetzt, eröffnet auch und gerade das gottesdienstliche liturgische Handeln eine Chance zur Begleitung. Angedacht wird in der Trans-Gemeinschaft etwa die Entwicklung einer neuen Kasualie, um "das Evangelium und das persönliche Leben der Menschen, beziehungsweise Kirche und Lebenswelt in Kontakt" zu bringen, so die Definition des Theologen Christian Grethlein. Erfahren transidente Menschen aber eine innere Lebensschwelle oder nehmen sie selbst vielmehr eine Kontinuität ihrer Transidentität wahr? Äußere Schwellen werden gewiss unverkennbar markiert: etwa durch die öffentliche Darstellung als Transfrau oder -mann, durch den neuen Namen, nicht selten neue Lebensumstände, auch durch Abschiede. Daran lässt sich also weiterdenken, am besten mit den transidenten Menschen gemeinsam. Was bis dahin zumindest nicht falsch erscheint: Transidente Menschen sollten von Theologie und Kirche ermutigt werden, ihre Erfahrungen in die Gemeinde und vor Gott zu bringen. Damit verschaffen sie der Besonderheit ihres Lebens Gehör, mit der sie die christliche Gemeinschaft bereichern. Und gleichzeitig reihen sie sich damit mindestens ebenso sehr in die ganz normalen Erfahrungen von Unsicherheiten und Verwunderungen im und über das Leben ein, die sie mit allen anderen glaubenden Menschen verbinden.

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Stefanie Schardien

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Foto: Markus Konvalin in Lizenz der BRmedia Service Gmbh

Stefanie Schardien

Dr. Stefanie Schardien ist Pfarrerin in Fürth seit Mai 2019 eine der Sprecherinnen des "Wort zum Sonntag".


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