Vergessen in der Wüste

Malische Flüchtlinge warten auf das Ende des Krieges
Malische Flüchtlinge auf dem Weg nach Burkina Faso, Mauretanien oder Niger. Foto: Jörg Böthling
Malische Flüchtlinge auf dem Weg nach Burkina Faso, Mauretanien oder Niger. Foto: Jörg Böthling
Mit einem schnellen Erfolg des französischen Militärs schien der Krieg in Mali im Frühjahr zu enden. Doch Tuareg-Rebellen und kriminelle Islamisten machen die Region noch immer unsicher. Viele tausend Menschen sind in die Nachbarländer geflohen - allein 50.000 nach Burkina Faso. Dort kämpfen sie ums nackte Überleben, wie Christian Selbherr und Jörg Böthling feststellten.

Diese Zigarette ist ein purer Genuss für Muphtah ag Mohamed. Vorsichtig hält der Tuareg-Mann sie zwischen Zeigefinger und Mittelfinger, führt sie zum Mund und zieht dann kräftig daran. Er lächelt. "Endlich darf ich wieder rauchen", sagt er. Noch vor wenigen Monaten wäre er dafür in seiner Heimat Mali hart bestraft worden. Denn radikale Islamisten hatten in dem Gebiet zwischen Timbuktu, Gao und Mopti eine Schreckensherrschaft errichtet - Frauen mussten sich tief verschleiern, jungen Straftätern wurden die Hände abgehackt, Alkohol, Musik und Zigaretten waren als angebliche Symbole des ungläubigen Westens verboten.

Ein Tross in Bewegung

"Auch wir Tuareg sind gläubige Muslime", betont Muphtah ag Mohamed. "Aber so etwas hat niemand von uns gewollt." Anfang 2013 rief die malische Regierung Frankreich zu Hilfe. Doch mit dem französischen Militärschlag gegen die Islamisten wurde die Lage in Nord-Mali zunächst kaum besser. Muphtah ag Mohamed erinnert sich: "Der Norden brannte. Der Süden brannte. In so einer Situation hilft dir niemand. Du musst alleine entscheiden, was für dich und deine Leute am besten ist."

Er entschied für sich und seinen Clan, dessen Oberhaupt er ist: "Wir gehen über die Grenze nach Burkina Faso." So, wie sie es schon beim vergangenen Krieg Ende der Neunzigerjahre getan hatten. Auf Lastwagen und in Bussen setzte sich ein ganzer Tross in Bewegung. Nach zwei Tagen Fahrt erreichten sie die provisorischen Auffanglager an der Grenze.

Foto: Jörg Böthling
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Das Tuareg-Komitee in Mentao weist den Geflüchteten einen Platz im Lager zu.

Foto: Jörg Böthling
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Jetzt lebt Muphtah ag Mohamed im Flüchtlingslager Mentao-Ost. Mitten in der trockenen Sahelzone, am Rande der Wüste Sahara. Etwa 17.000 malische Flüchtlinge sind hier gestrandet, über 50.000 sind es insgesamt in Burkina Faso. Weitere 100.000 leben in Mauretanien und im Niger. Im Süden Malis fanden mehr als 200.000 Menschen Zuflucht -oft bei Verwandten und Freunden.

Eine Quasi-Regierung

"Wir sind gerade dabei, uns hier irgendwie zurechtzufinden", sagt Muphtah ag Mohamed. Zusammen mit einigen anderen Männern ist er ins Komitee der Tuareg-Gemeinde gewählt worden. Sie bilden in diesem Flüchtlingslager quasi eine eigene Tuareg-Regierung, die das Zusammenleben organisieren und das Überleben sichern soll. Sie verhandeln mit den Mitarbeitern der Vereinten Nationen, die das Flüchtlingslager leiten.

Und sie sind der erste Ansprechpartner für Neuankömmlinge. Denn noch immer treffen neue Flüchtlinge ein - manchmal mehrere hundert am Tag. Viele haben nur das mitgebracht, was sie am eigenen Leib oder mit den eigenen Händen tragen konnten. Das Tuareg-Komitee weist ihnen den Platz zu, an dem sie sich niederlassen können - gemäß den Vorgaben der UNO.

Foto: Jörg Böthling
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"Eigentlich ist das nichts für uns", sagt Muphtah ag Mohamed. "Wir sind Nomaden und lassen uns nicht gerne in solche Parzellen zwingen." Ihm wäre es lieber, wenn sich seine Leute nach ihrem eigenen Willen ansiedeln könnten. "Gebt uns einen Hektar Land, und wir entscheiden selbst, wo wir unsere Zelte aufschlagen." Doch kaum hat er diese Forderung ausgesprochen, schon schwächt er sie ab - für den Moment ist er zufrieden, überhaupt noch am Leben zu sein.

Wachsende Zeltlandschaft

Täglich wächst die Zeltlandschaft am Rande der Wüste. Mentao besteht inzwischen aus vier einzelnen Flüchtlingslagern, und nahe der Stadt Dori gibt es dazu noch das Camp Goudebo. In einem der Zelte dort sitzt gerade Madina Soufiane. "Es ist fast schon Mittag", sagt sie. "Ich muss das Essen zubereiten." Was wie eine einfache Alltagsaufgabe klingt, umschreibt ganz handfest, mit welchen Problemen die Flüchtlingsfrau zu kämpfen hat.

Sie muss eine Großfamilie ernähren, mit ihren kleinen Kindern, ihrer eigenen Mutter, den Cousins und einigen Nachbarn, die gerade neu eingetroffen sind. "Ich weiß nicht, wo ich genügend Zutaten herbekommen soll." Die letzte Lebensmittelverteilung liegt bereits einige Tage zurück, die knappe Ration reicht kaum aus für alle. "Hier habe ich nicht mal Milch", sagt Madina Soufiane. "Zu Hause konnte ich einfach unsere Ziegen melken."

Foto: Jörg Böthling
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Viele Flüchtlinge besitzen nur das, was sie am Leib tragen.

Foto: Jörg Böthling
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Die Tuareg, so scheint es, sind die doppelten Verlierer in der Mali-Krise. Erst scheiterte der Versuch der Rebellenbewegung MNLA, eine eigene Tuareg-Nation namens Azawad zu gründen. Dann erwiesen sie sich als zu schwach im Konflikt mit den Islamisten. Während die Islamisten wohl längst auf einen Angriff der Europäer vorbereitet waren und sich in unwegsamen Gebirgsregionen verschanzt haben, kämpfen die Tuareg nun als Flüchtlinge ums nackte Überleben.

Die Herden unterwegs

Wir sind es nicht gewohnt, uns auf fremde Hilfe zu verlassen", sagt Muphtah ag Mohamed. "Bisher konnten wir uns immer selber helfen. Vor allem Dank unserer Tiere." Die Frage, ob Flüchtlinge in den Lagern ihre Schaf- und Ziegenherden halten dürfen, ist einer der größten Diskussionspunkte mit den lokalen Behörden und der UNO. Viele Malier haben ihre Tiere mitgebracht, andere sagen: "Unsere Herden sind noch unterwegs und werden bald hier ankommen."

Im Februar 2013, nach dem schnellen Erfolg der französischen Militäroperation, dachten viele, dass auch die Flüchtlinge bald zurückkehren könnten. "Aber das ist unmöglich", sagt Muphtah ag Mohamed. Man höre von Übergriffen und Racheakten auf Rückkehrer. Jeder verdächtige jeden.

Foto: Jörg Böthling
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Matata Walett Aly ist Vertreterin der Frauen im Lager.

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Muphtah ag Mohamed arbeitet mit im Komitee der Tuareg-Gemeinde in Mentao-Ost.

"Wer jetzt zurückgeht, trifft auf Ex-Rebellen, auf Ex-Jihadisten, auf Ex-Soldaten." Und es fehlen die genauen Informationen. Madina Soufiane sagt: "Es ist ganz schwer, Nachrichten von zu Hause zu bekommen. Das Telefonnetz ist zusammengebrochen. Wir wissen also nicht genau, wie die Lage ist." Für den Moment bleiben sie auf Hilfe angewiesen. Die Vereinten Nationen verteilen Nahrungsmittel, andere Organisationen graben Brunnen, bauen Latrinen oder liefern Zeltplanen und Bauholz für Unterkünfte.

Unendlich dankbar

Über ihre lokale Caritas (OCADES) versucht auch die katholische Diözese von Dori zu helfen, auf deren Gebiet die Camps Mentao und Goudebo liegen. OCADES-Mitarbeiter versorgen die Familien mit Solarkochern und Kleidung, die sie bei einheimischen Händlern kaufen. Tuareg-Oberhaupt Muphtah ag Mohamed sagt: "Obwohl wir Moslems sind, helfen uns die Christen. Dafür sind wir unendlich dankbar."

Bisher seien die Flüchtlinge auch von der gesamten Bevölkerung in Burkina Faso gut aufgenommen worden. Neuankömmlinge berichten, wie ihnen einfache Bauern, die selbst nur wenig zum Überleben haben, auf der Flucht Wasser gaben.

Foto: Jörg Böthling
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Alltag in den Flüchtlingslagern in Burkina Faso. Wann die Tuareg nach Mali zurückkehren können, bleibt ungewiss.

Foto: Jörg Böthling
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Trotzdem ist die Gefahr groß, dass Konflikte zwischen Einheimischen und Flüchtlingen ausbrechen. Was wird passieren, wenn die nächste Dürreperiode das ohnehin schon karge Land heimsucht? Wenn Schafe und Ziegen der Tuareg die Weidegründe und Wasserstellen burkinischer Tiere bevölkern? Und wie soll es weitergehen, wenn der Krieg in Mali noch Monate oder gar Jahre andauert?

Mehr Recht gewünscht

Muphtah ag Mohamed hat seinen Leuten einen klaren Rat gegeben. Sie sollen vorläufig in Burkina Faso bleiben. "Erst müssen die Probleme in Mali dauerhaft gelöst werden. Wir brauchen keine militärische Lösung, und keine politische. Sondern eine soziale." Die Tuareg wünschen sich mehr Rechte als Minderheit in Mali.

"Und der Drogenhandel in Nord-Mali muss beendet werden." Denn der sei der wahre Grund für das Erstarken der Islamisten, die mit dem Schmuggel von Rauschgift und Waffen reich geworden sind. "Wir würden sofort zurück nach Mali gehen. Aber nur, wenn wir nicht wieder alle fünf oder zehn Jahre weggehen müssen. Jedes Mal bauen wir wieder unser Leben auf; und dann fangen wir wieder bei Null an."

Text: Christian Selbherr / Fotos: Jörg Böthling

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