Schon 1960 begannen deutsche Firmen mit dem Waffenexport. "Selbst Rüstungsmagnaten wie Flick und Krupp, die sich in Nürnberg noch bei den Kriegsverbrecherprozessen verantworten mussten, durften wieder Rüstungsgüter produzieren", berichtet Hauke Friederichs. Noch 1948 hatte der Sozialdemokrat Carlo Schmid erklärt: Im Grundgesetz müsse eine unverklausulierte Erklärung abgegeben werden, "dass in Deutschland keine Kanonen mehr gebaut werden sollten, weder für uns, sondern auch für andere nicht". 1960 war das bereits Makulatur. Und der Bedarf an Waffen geht nicht zurück. Dafür sorgen vor allem Kriege und Konflikte. 2011 zählte die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung der Hamburger Universität 36 bewaffnete Konflikte und 25 Kriege. Das Buch von Hauke Friedrichs kommt zur richtigen Zeit. Deutschland ist nach den USA und Russland der dritte Waffenexportweltmeister geworden. Die von CDU/CSU geführte Regierung taucht ab, wenn es zur Beratung der Genehmigung des Exportes von 270 Leopard Panzern nach Saudi Arabien kommt.
Dass mit dem Deal für Saudi Arabien alle ethischen Grundsätze verworfen wurden, macht Altbundeskanzler Helmut Schmidt in einem Interview deutlich, das dem Buch vorangeht: "Ich hatte nie die Absicht, Panzer nach Saudi Arabien zu liefern." Schmidt sagt klar: Die Lieferung von 270 Leopard Panzern nach Saudi Arabien sei eine "Neuausrichtung der Exportpolitik". Angeblich geschähe die Lieferung an Saudi Arabien mit dem Einverständnis Israels. Eine solche Zustimmung Israels habe es früher nicht gegeben. "Aber selbst mit Einverständnis Israels hätten wir damals keine Panzer geliefert."
Das Buch enthält in knapper Gliederung einen Überblick über den deutschen und den weltweiten Rüstungsmarkt. Im ersten Kapitel geht es um den Planet der Waffen, den "Weltmarkt ohne Regeln". Es zeigt: Die Firmen und die Bestechungen sind zu gewaltig, als dass man Regeln einhalten könne. Im zweiten Kapitel geht es um die Waffenmessen: die Frühjahrsmesse in Paris, die Herbstmesse in Istanbul.
Kriege sind immer gut für das Ausprobieren neuer Waffen. Deshalb sind Israel und die USA bei der weltweiten Rüstungslobby auch so beliebt. Beide Staaten führen entweder Krieg, oder sie planen ihn. Friedrichs, der als freier Journalist arbeitet, geht auch den globalen Geschäften nach, die deutsche Rüstungsmultis machen, die in Abnahmeländern eigene Niederlassungen gründen. Er liefert Porträts von Kleinstädten in Deutschland, die ganz von der jeweiligen Rüstungsschmiede charakterisiert werden, so Oberndorf, die "Waffenstadt am Neckar".
Ein erschreckendes Buch. Deutsche Waffen können nur auftauchen, wenn sie der Bundessicherheitsrat oder das BAFA (Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle) genehmigt hat. Wenn zum Beispiel in Georgien deutsche Sturmgewehre von Heckler und Koch auftauchen, heißt die Antwort im Bundestag: "Aufgrund der letzten Reaktionen von georgischer Seite auf deutsche Ersuchen erschien eine weitere Verfolgung der Angelegenheit nicht aussichtsreich." Wie die Sturmgewehre von Heckler und Koch nach Georgien gelangten, ist bis heute unklar.
Die Skandale sind vorprogrammiert. Denn die Waffen gelangen überall hin, sogar zu den verbrecherischen Drogendealern in Mexiko oder zu der amerikanischen Privat-Söldnerfirma Blackwater. 2008 ist auch das an den Tag gekommen. In Afghanistan und im Irak waren diese Söldner mit Waffen aus Oberndorf von Heckler und Koch ausgerüstet. "Die Lieferung von Rüstungsgütern ist nach deutschen Gesetzen lediglich an staatliche Stellen, nicht aber an Privatkämpfer möglich." Wie betitelte Immanuel Kant eine Schrift: "Über den Gemeinspruch: das mag in der Theorie richtig sein, tauge aber nicht für die Praxis".
Hauke Friederichs: Bombengeschäfte. Tod made in Germany. Residenz Verlag, Wien 2012, 237 Seiten, Euro 21,90.
Rupert Neudeck